Ausstellung:Dem Vergessen entrissen

Lesezeit: 2 min

Jecheskiel David Kirszenbaum in seinem Atelier in Paris, um 1952. Einige seiner Karikaturen sind nun im Foyer der Sparkasse in Starnberg ausgestellt. (Foto: © Nachlass Kirszenbaum, Tel Aviv)

Die Nazis haben fast das gesamte Werk des jüdischen Künstlers Jecheskiel David Kirszenbaum zerstört. Eine Ausstellung in Starnberg zeigt Karikaturen aus Zeitschriften, die geblieben sind.

Von Patrizia Steipe, Starnberg

Eine der bekanntesten Karikaturen von Duwdiwani, so der Name, mit dem Jecheskiel David Kirszenbaum seine Zeichnungen signierte, zeigt einen dicken Händler im Stresemann-Anzug, der in einem Bauchladen Raketen, Munition und sogar eine kleine Haubitze feilbietet. Er trägt eine Gasmaske und hält ein Schild mit der Aufschrift "Zeitgemässe Gebrauchsartikel". "Die einzige Branche, in der das Geschäft noch flutscht", steht darunter. Damit kritisierte der jüdische Künstler in der Satirezeitschrift "Roter Pfeffer" das Geschäft mit den Rüstungsgütern mitten in der Wirtschaftskrise von 1932.

90 Jahre später wirkt die Zeichnung äußerst aktuell, auch wenn sich die jetzigen Zeiten mit denen der Weimarer Republik nicht vergleichen lassen. "Jecheskiel David Kirszenbaum (1900-1954) - Karikaturen eines Bauhausschülers zum Zeitgeist der Weimarer Republik", lautet der Titel einer Ausstellung der Volkshochschule Starnberger See und Herrsching, die bis zum 29. November im Foyer der Starnberger Kreissparkasse zu sehen ist.

In der Weimarer Republik war der Künstler Kirszenbaum recht bekannt. Geboren in Polen, kommt er aus seinem Schtetl 1920 als Bergmann ins Ruhrgebiet, bevor er am Bauhaus in Weimar unter Malern wie Paul Klee und Wassily Kandinsky studiert. Kirszenbaum geht nach Berlin, reüssiert in großen Ausstellungen. Parallel zum Malen wird er von namhaften Satire-Zeitschriften wie "Jugend" als Karikaturist beschäftigt. "Duwdiwani" nennt er sich dort. Es ist der hebräische Begriff für Kirschbaum, erklärte VHS-Dozent und Kunsthistoriker Stefan Müller bei der Eröffnung der Ausstellung am Dienstag.

In diesem Stil malte und zeichnete der jüdische Künstler Jecheskiel David Kirszenbaum (1900-1954). (Foto: © Nachlass Kirszenbaum, Tel Aviv)

Eine erfolgreiche Zukunft für Kirszenbaum scheint ausgemachte Sache zu sein, doch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kommt es anders. Der Jude darf nicht mehr Malen, nicht einmal mehr Malutensilien erwerben. 1933 flieht er mit seiner jüdischen Frau nach Paris. "Dort erkennt man sein Talent. Er wird mit Kusshand an der École de Paris aufgenommen", berichtet Müller. Mitglied ist auch Marc Chagall, dessen Malstil an den von Kirszenbaum erinnert. 1940 wird Paris besetzt, und die Juden werden auch dort verfolgt. Kirszenbaum wird verhaftet, kann fliehen und sich bis zum Kriegsende verstecken. Seiner Frau gelingt das nicht. Sie stirbt in Auschwitz.

Fast sei es den Nazis gelungen, sein komplettes Schaffenswerk zu vernichten und alle Erinnerungen an den Künstler auszumerzen, so wie sie "alles gegeben hatten, um das Andenken von Künstlern wie Kirszenbaum zum Vergessen zu bringen", sagte Müller. Hunderte Gemälde von Kirszenbaum wurden vernichtet. Die Karikaturen in den Zeitschriften haben jedoch überlebt.

Einem Großneffen ist es zu verdanken, dass das Werk Kirszenbaums wiederentdeckt wurde, dass er "dem Vergessen entrissen wurde", wie es Müller bezeichnete, und dass die Biografie des Künstlers so weit wie möglich nachgezeichnet werden konnte.

Die Ausstellung der Volkshochschule Weimar ist mit ergänzenden Erläuterungen versehen. (Foto: Jana Islinger)

Die Ausstellung ist im vergangenen Jahr in Weimar im Rahmen des Jubiläumsjahrs "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" konzipiert worden, erklärt VHS-Leiterin Christine Loibl. Mittlerweile tourt die Schau durch ganz Deutschland. Die Karikaturen werden ergänzt durch Fotos und Erläuterungen, um die politischen und gesellschaftlichen Umstände, die den Karikaturen zugrunde lagen, zu erläutern.

Anfangs sind Kirszenbaums Karikaturen noch heiter, er spießt gesellschaftliche Phänomene wie die Frauenemanzipation oder die Ideen für eine Prohibition auf, auch das Bauhaus und seine Künstlerkollegen sind Gegenstand seiner Satire, im Laufe der Jahre beschäftigt er sich immer stärker mit politischen Themen. "Die Zeichnungen werden bissiger und schwieriger", findet Müller. Die linksliberalen Zeitschriften für die Duwdiwani arbeitet, nehmen besonders gerne die konservative Rechte aufs Korn. Allerdings ist es nicht die NS-Führungsriege, die von Kirszenbaum aufgespießt wird. "Er beschäftigt sich eher mit der zweiten Riege", weiß Müller.

Nach dem Krieg geht der Künstler 1948 nach Brasilien, wo er sein Kriegstrauma verarbeitet. 1949 kehrt er nach Frankreich zurück und erwirbt die französische Staatsbürgerschaft. 1954 stirbt er an einer Krebserkrankung. "Über seine letzten fünf Lebensjahre ist wenig bekannt", bedauert Müller.

Zu der Ausstellung gibt es einen Film und Podcast über das Leben von Jecheskiel David Kirszenbaum sowie eine Hörausstellung für Blinde und Sehbehinderte; beide sind über einen QR-Code abrufbar.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: