Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Starnberg:Verfall und Ideen für neues Leben

In der maroden Schalterhalle zeigen Carolina Kreusch und Peter Schaller konträre Arbeiten

Von Katja Sebald, Starnberg

Die von Katharina Kreye, Ulrike Prusseit und Ursula Steglich-Schaupp kuratierte Ausstellungsreihe "nah-fern" entstand 2013 als Übergangslösung für den renovierungsbedürftigen Bahnhof am Starnberger See. Sechs Jahre später ist die ehemalige Schalterhalle baufällig wie nie zuvor und wird nurmehr über ein Baustromprovisorium versorgt, weil die Leitungen den Sicherheitsvorschriften nicht genügen. Die aktuelle Ausstellung mit Arbeiten von Carolina Camilla Kreusch und Peter Schaller ließe sich nun explizit als Antwort auf einen Zustand lesen, der von den Kuratorinnen euphemistisch mit "etwas marodem Charme" beschrieben wird.

Schaller wurde 1960 in München geboren. Schon während des Studiums, das er Ende der Achtziger Jahre bei Fridhelm Klein an der Münchner Akademie absolvierte, fand er sein bevorzugtes Sujet: Waren es zunächst einzelne Teile von Industrieschrott, die er in höchst ästhetischen Bildwelten bannte, hat er sich nach und nach auf verlassene Industrieanlagen oder andere sogenannte Lost Places fokussiert. Die 2002 stillgelegte Maxhütte hat er eigens bereist, um dort Fotos von den Relikten aus der Hoch-Zeit des Eisenbergbaus in Deutschland zu machen. Auch sonst legte er auf Reisen längere Umwege ein, um in einem düsteren Hafen oder auf einem leer stehenden Fabrikgelände zu fotografieren - in den USA beispielsweise die riesigen Getreidespeicher in Buffalo.

Zuhause, in seinem Feldafinger Atelier, verarbeitet er die vor Ort entstandenen Aufnahmen zu gemalten Bildräumen auf der Leinwand. Dort ragen die menschenleeren und meist dem Verfall preisgegebenen Betonbauten in vielen Abstufungen von Grauweiß bis Tiefschwarz aus einem dunklen Wasser oder einer öden Landschaft auf. Stets geht es Schaller dabei um die besondere Ästhetik dieser Bauten, vor allem aber um das Festhalten des Moments, in dem Architektur "umkippt" und vom schnöden Nutzbau zur verlassenen Ruine wird. Seine Bildserie der Industriebauten war bereits in mehreren Ausstellungen zu sehen und hat Schaller über die Region hinaus bekannt gemacht. Neueren Datums sind die beiden großformatigen Gemälde von der "Battersea Power Station". Das markante Gebäude mit den vier Schornsteinen, ein 1983 stillgelegtes Kohlekraftwerk in London, wurde unter anderem von Pink Floyd als Motiv für ein Plattencover und von Alfred Hitchcock als Filmkulisse genutzt. Vor dem abblätternden Putz der Starnberger Schalterhalle wirken die Bilder wie eine Mahnung.

Die Münchnerin Carolina Kreusch hingegen hat jede Menge an kreativen Renovierungsideen für die Schalterhalle: Sie bringt Leuchtfarben, Klebebänder, Gummischläuche, Holzlatten und Spanplatten mit und legt auf dem grünen Fliesenboden ein neues pinkfarbenes Herz für den Bahnhof ab. Ein braungraues Tischtierchen haucht dem Gebäude frische Lebensenergie ein. Neben der Wanduhr mit den müden Zeigern hat sie einen kleinen schwarzen Hilfsmotor montiert. Den Kabelverhau vor dem Baustromverteiler bannt sie optisch mit einer komplizierten Konstruktion aus bunten Holzstäbchen. Ihre auf bezaubernde Weise merkwürdigen Bastelarbeiten korrespondieren auch mit Lüftungsschlitzen, Löchern und Leitungen - ja sogar mit dem Geländer zum Bahnsteig und den Fahrradständern vor dem Fenster. Die aus geometrischen Formen zusammengesetzten "ahnungslosen Teile" sind lustige Kommentare zu den fleckigen Wänden. Es scheint, als hätte man ihr keine bessere Steilvorlage als diesen Ausstellungsraum bieten können.

Carolina Kreusch, Jahrgang 1978, absolvierte zunächst die Fachschule für Holzbildhauerei in Oberammergau. Sie arbeitete danach im Bereich Bühnenbild an der Schaubühne Berlin und studierte schließlich bei John Bock an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Ihre meist vielfarbigen Bild- und Objekt-Arbeiten waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen und wurden in öffentliche Sammlungen aufgenommen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 8. Dezember jeweils donnerstags und freitags von 16 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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