Süddeutsche Zeitung

Ausstellung :Krieg im Wohnzimmer

Rose Stach und Lena Policzka stellen in der Schalterhalle des Bahnhofs ihre "War Carpets" und eine Installation aus, die scheinbar künstliches Leben in Glaszylindern zeigt

Von Katja Sebald, Starnberg

Künstliches Leben oder sterbende Tiere? Medizinischer Fortschritt oder Frankensteins Gruselkabinett? Atmende Mollusken oder gärende Masse? Wachsende Embryonen oder doch nur schmelzendes Sahneeis? Im vergangenen Jahr war Lena Policzka mit ihrem fulminanten Versuchslabor der Star der Jahresausstellung in der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Jetzt ist ihre Abschlussarbeit "250 Gramm Optimatics" zusammen mit den "War Carpets" von Rose Stach in der Reihe "Nah - fern" in der Schalterhalle des historischen Bahnhofs am See zu sehen. Entstanden ist eine Ausstellung, die unter dem Titel "Werden und Vergehen" eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass Kunst nicht nur auf dem großen Parkett, sondern auch im kleinen Rahmen auf drängende Fragen der Gegenwart reagieren kann.

Fast den gesamten Raum nimmt die Installation von Lena Policzka ein: In vier Reihen sind auf schmalen, weiß lackierten Tischen zwanzig Glaszylinder angeordnet. Das Ambiente ist clean und kühl wie in einem Science-Fiction-Film. Es ist dunkel, nur die eigentlich Versuchsanordnung ist in einem gedämpften Licht zu sehen, als ob man das entstehende Leben nicht stören dürfte. Oder das langsame Sterben. Unter jedem Glas bewegt sich etwas, jedes dieser zuckenden Wesen folgt einem eigenen Atemrhythmus. Ist der uralte Menschheitstraum wahr geworden? Ist es nun doch endlich gelungen, künstliches Leben herzustellen? Darf man das? Es ist großes Kino. Der Betrachter ist alleine mit dem, was er sieht - und nicht versteht. Er findet keine Erklärung in diesem Laboratorium, kein Kabel und kein Hinweis auf technische Hilfsmittel sind zu sehen. Die Irritation könnte kaum größer sein. Die ebenso eindringliche wie geheimnisvolle Installation verliert auch dann nicht ihren Reiz, wenn man weiß, dass Polizcka jedes der 20 Objekte zunächst aus 250 Gramm Ton geformt und dann mit Latex abgenommen hat. Und dass jedes einzelne in seinem gläsernen "Brutkasten" von unten "beatmet" wird.

Verstörend sind auch die "War Carpets" von Rose Stach an den Wänden des abgedunkelten Raums: Auf kunstvoll geknüpften Orientteppichen wurde mittels Negativschablonen ein Großteil der Fläche schwarz abgedeckt, als Motive bleiben Panzer, Geschütze oder Maschinengewehre sichtbar. So entsteht ein spannendes Verwirrspiel zwischen Bild und Bildgrund, denn das überaus dekorative Ornament des Teppichs dient jetzt als Camouflage für das martialische Kriegsgerät, der eigentlich schmückende Teppich wird zur bedrohlich schwarzen Kriegshölle. Der Teppich gehört doch ins Wohnzimmer und der Panzer nicht auf den Teppich! Plötzlich findet der Krieg in unseren privatesten Räumen statt - und obendrein werden die Orientteppiche, die seit Jahrhunderten zum Interieur westlichen Wohlstands gehören, auf einmal zu schreienden Symbolen für die aktuellen Krisenherde im Nahen und Mittleren Osten. Vertrautes wird aus seinem Zusammenhang gerissen und uns entgegen unserer Sehgewohnheiten präsentiert. Diesen Kunstgriff wendet Rose Stach auch bei ihren "Clouds" an: Dabei handelt es sich um übermalte Fotografien, die auf den ersten Blick wie romantische Landschaften wirken und sich erst bei genauerem Hinsehen als Bilder von Gefechtsschauplätzen offenbaren.

Die Ausstellung "Werden und Vergehen" im Rahmen der von Katharina Kreye, Ulrike Prusseit und Ursula Steglich-Schaupp kuratierten Reihe "nah - fern" ist bis 12. Juli 2015 jeweils freitags bis sonntags von 14 bis 18 Uhr zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 23.06.2015
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