Ausstellung in Starnberg:Hautnah am Fan

Lois Hechenblaikner findet seine Fotomotive auf Konzerten volkstümlicher Musik. Die Stars interessieren ihn dabei nicht

Von Sabine Bader, Starnberg

Lois Hechenblaikner interessieren die Brüche, die Widersprüche in einer Gesellschaft, in den Menschen. Dabei liegt es ihm freilich fern, sich über andere zu erheben. Vielmehr nimmt er seine Gegenüber ernst und versucht, sich mit ihnen auf eine Ebene zu begeben. Er will die Menschen, die er porträtiert, dort abholen, wo sie stehen. Das bezeugen auch seine Fotografien. Hechenblaikner stammt aus Tirol, was ihn geprägt hat. "In Tirol versteht man mich, aber nicht gern. . .," sagt er. Die schöne Landschaft, die Bergkulisse - alles so harmonisch und friedlich. Die Fotografien des 61-Jährigen sind es nicht. Sie wagen den Blick hinter die Kulissen, wollen vom Menschen einfangen, was ihn bewegt. Seit den 1990er-Jahren beschäftigt sich Hechenblaikner mit der kulturellen Umdeutung der Landschaft zum emotionalen Konsumartikel durch Großveranstaltungen und Konzerte volkstümlicher Musik.

Hansi Hinterseer, die Kastelruther Spatzen oder die Zillertaler Schürzenjäger interessieren den Fotografen nicht. Er richtet den Fokus auf die Fans: Wie ticken die? Wer kratzt den letzten Notgroschen zusammen, um zu einem Konzert der Kastelruther Spatzen reisen zu können? Was bewegt die Frau, die ihrem Idol mit einem lebensgroßen Papp-Hinterseer hinterherreist? Ist es wirklich die Musik, die das Publikum zusammenbringt oder vielmehr die Sehnsucht nach simpler Überschaubarkeit in einer immer komplexer werdenden Welt?

Was die Fans eint, ist der Wunsch nach Gemeinsamkeit. Darum haben die Ausstellungskuratoren im Museum Starnberger See auch den treffenden Titel "Volks Musik - die Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit als Massenphänomen" gewählt. Auf 300 Quadratmetern präsentiert Hechenblaikner seine Fotos: Von jedem Porträtiertem will Hechenblaikner den Namen wissen, will erfahren, woher der Fan kommt und was er beruflich macht. Und er zeigt die Leute so, wie sie fotografiert werden möchten. Am kommenden Donnerstag wird die Ausstellung im Museum Starnberger See um 19 Uhr eröffnet. Zur Vernissage spielt Hans Well von der Biermösl Blosn mit zwei Töchtern.

Benjamin Tillig ist seit Mai neuer Leiter des Museums Starnberger See. Das Thema seiner ersten Ausstellung hat der vormaligge Chef des niedersächsischen Wilhelm-Busch-Museums sehr bewusst gewählt: "Ich habe mich mit dem Haus hier auseinandergesetzt", sagt er am Montag in einer Pressekonferenz. "Es geht auch hier um Heimat." Schließlich gehöre das frühere Heimatmuseum im historischen Lochmannhaus noch immer dazu. Als er Hechenblaikner fragte, ob der sich vorstellen könne, seine Bilder in Starnberg zu zeigen, kannte er den Tiroler noch nicht persönlich, fand aber dessen neuestes Fotobuch spannend. Vorsichtig habe man sich angenähert, erzählt Tillig: "Lois war anfangs sehr skeptisch." Schon allein die Tatsache, dass sich beide heute duzen und das Wagnis eingingen, die Ausstellung gemeinsam zu konzipieren, zeigt, dass vom Misstrauen heute nicht mehr viel übrig ist.

Starnberg: Starnberger Museum: Ausstellung Volks Musik von Lois Hechenblaikner

Fotograf Lois Hechenblaikner.

(Foto: Nila Thiel)

Auch die Texte volkstümlicher Musik haben die Ausstellungsmacher genau analysiert. Die Worte ähneln einander so sehr, dass es die Kuratoren sich dazu verleiten ließen, Stempel mit den Textzeilen anfertigen zu lassen, die in den stereotypen Liedern immer wieder vorkommen. Mit ihnen können sich die Ausstellungsbesucher "eigene" Liedertexte zusammenstempeln.

Dass Hechenblaikner selbst kein Fan dieser Musik und der Interpreten ist, mit denen er sich seit Jahren so eingehend beschäftigt, wird deutlich, als er von einem Konzert berichtet und meint: "Ich möchte manchmal von der Gruppe Schmerzensgeld für die Beleidigung meines Gehörs fordern." Museumsleiter Tillig wiederum glaubt, dass die "unterkomplexe Musik" auf Viele schlicht erholsam wirkt.

Manchen Menschen begegnete Hechenblaikner über die Jahre hinweg mehrfach. Auch der geistig behinderte René zählt dazu. Ihn lernte der Fotograf im August 2009 kennen und begleitete ihn länger. René ist Hinterseer-Fan und will ein Autogramm von seinem Idol. Er reist ihm nach, steht vor dessen Haus, wird von Hinterseer angezeigt und ist bitter enttäuscht. René verarbeitet seine Hinwendung und Frustration in riesigen Collagen. Hechenblaikner hat sie erworben und präsentiert sie in einem eigenen Ausstellungsraum.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: