Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Dießen:Idyll und Inferno

"Zu schön, um wahr zu sein": In Martins Gensbauers "Kunstfenster" zeigt er eigene Plein-Air-Arbeiten, Elke Jordan stellt nachempfundene Landschaften aus, Gregor Netzer präsentiert seine "Nekrographien"

Von Katja Sebald, Dießen

"Zu schön, um wahr zu sein" heißt die aktuelle Ausstellung im Kunstfenster Dießen. Für die stillen und leeren Landschaftsbilder der Malerin Elke Jordan mag dieser Titel ja durchaus zutreffend sein. Für Gregor Netzers "Nekrographien" und für die "Landschaften", die Martin Gensbaur direkt vor seinem Fenster an der viel befahrenen Staatsstraße sieht, müsste man den Ausstellungstitel aber eigentlich umdrehen: Zu wahr, um schön zu sein.

Elke Jordan malt Szenerien, die schöner als die Wahrheit sind. Sie lässt sich zwar in der Natur inspirieren, das eigentliche Bild entsteht im Atelier jedoch nicht nach Skizzen oder Fotografien, die sie an realen Orten macht, sondern aus der Erinnerung oder in einer Art Nachempfinden des Gesehenen. Alles Störende wird bei dieser Umsetzung zu Gunsten einer surreal anmutenden Leere und Weite weggelassen. Für die Präsentation im Kunstfenster entstand eine neue Arbeit mit dem Titel "Hören die Landschaft" in einem für sie ungewöhnlich kleinen Format: Eine stille Szenerie in matten Grün- und Beigetönen wie vom Novembernebel weichgezeichnet. Im Ausstellungsraum selbst ist eine Flusslandschaft in Erd- und Sepiatönen zu sehen und in der angrenzenden Werkstatt eine großformatige, eher sommerlich anmutende und ebenfalls menschenleere Wiese.

Der passionierte Angler Gregor Netzer fertigt seit einiger Zeit Abdrücke von seinen Fängen, bevor er sie zubereitet. Dafür bedeckt er den Fisch mit einem Papier, das er mit Graphit bestäubt. Dieses Verfahren mag vielleicht an die "Anthropometrien" von Yves Klein erinnern, die Abdrücke von nackten, mit blauer Farbe bedeckten Frauenkörpern - oder vielleicht auch an das wundersame "Vera icon", das Gesicht Jesu Christi auf dem Schweißtuch der Veronika. Weil jedoch die Tiere bei Netzer zum Zeitpunkt des Abdrucks nicht mehr lebendig sind, bezeichnet er seine Bilder als "Nekrographien". Für die Ausstellung in Dießen dienten ihm ein Hecht und ein Steinbutt als "Modelle", außerdem erstmals ein Feldhase. Als Mahnmal für den bundesweit als gefährdet eingestuften Feldhasen sind diese "Sterbebilder" allerdings nicht zu sehen. Die traurige Wahrheit ist: Sie entstanden vor der Zubereitung von sage und schreibe vier Exemplaren für ein großes Abendessen.

Auch in den Bildern von Martin Gensbaur liegen Idyll und Abgrund stets nah beieinander. In klassischer Pleinair-Manier malt er eine Bank mit Blick über den Walchensee: Es könnte ein Postkartenmotiv sein, aber Gensbaur hat auch den Strommast des nahen Kraftwerks im Bild, der die schöne Aussicht verstellt. Im Freien direkt vor seinem Haus in Dießen zu malen, das hat Gensbaur zumindest versucht. Auf der Website des Kunstfensters sieht man ihn mit der Staffelei auf dem Bürgersteig, während sich direkt neben ihm Lastwagen und Omnibusse die schmale Straße hinunterschieben. Die Situation vor dem Kunstfenster gleiche nicht selten einem Inferno, sagt Gensbaur. Er behalf sich daher mit Fotos und entschied sich für eine Maltechnik, die in krassem Gegensatz zum Dargestellten steht. Die kleinen Fresken zeigen formatfüllend Lastwagenplanen und Autokolonnen, sozusagen Verkehrschaos als Lüftlmalerei. "Vielleicht wird die Welt ja erträglicher, wenn sie nur schön genug gemalt ist", sagt Gensbaur dazu. Aber das wäre dann wohl wirklich zu schön, um wahr zu sein.

Die Ausstellung "zu schön um wahr zu sein" im Kunstfenster Dießen, Hofmark 13, wird am Sonntag, 1. Dezember 2019, um 15 Uhr eröffnet und ist danach am Wochenende 6., 7., 8. Dezember 2019, jeweils von 15 bis 19 Uhr zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2019
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