Ausstellung:Alles aus den Fugen

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Am Eingang zum Uttinger B1 ist Pin-up-Poesie mit Kurzkommentaren, Texten und Bildern zur Corona-Pandemie zu sehen. Marlen Peix und Karin Pfab zeigen in dem Ausstellungsraum außerdem eine Installation zu landwirtschaftlichen Monokulturen

Von Katja Sebald, Utting

Eines Morgens war eine hellblaue OP-Maske an die Wand neben dem Eingang zum "Raum B1" gepinnt. Mit schwarzem Filzstift hatte jemand "war nix!" darauf geschrieben.

Harry Sternberg ließ die Maske hängen und wartete ab, was als nächstes passieren würde. Seit drei Jahren mietet er das ehemalige Fremdenverkehrsbüro am Bahnhofsplatz 1 von der Gemeinde, kuratiert dort Ausstellungen und stellt den Raum verschiedenen Künstlern zur Verfügung. Experimentelle Projekte standen von Beginn an auf seiner Wunschliste.

Auf den Zwei-Worte-Kommentar zum Zeitgeschehen folgten bald weitere Kommentare auf Zetteln und schließlich auch per Mail an Harry Sternberg - das Projekt "Pin-up-Poesie" war geboren.

"Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit" steht auf einem der mit Reißnägeln angebrachten Papier, unterschrieben mit "Schiller und Bettine". "Und dann kam die Maske", kritzelte ein anderer Zeitgenosse. "Die Welt ist aus den Fugen...", so beginnt ein handgeschriebener Text auf einem schönen hellblauen Blatt Papier. Neben einem Gedicht von Hermann Hesse findet sich auch Selbstgedichtetes und Merkwürdiges, dazu Fotos und Karten.

"Im Wandel": Karin Pfab (rechts) und Marlen Peix stellen Fotos und Pappmache-Kugeln in Plexiglaszylindern aus. (Foto: Nila Thiel)

Seit Sternberg einen Aufruf an Freunde und Bekannte verschickt hat, bekommt er beinahe täglich weitere Texte, die er ausdruckt und aufhängt. Wer sich spontan beteiligen will, findet in einem ebenfalls an der Wand angebrachten Kästchen Papier und Stift. Sobald es wieder möglich ist, will Sternberg alle Texte in einer Lesung oder Ausstellung präsentieren. Bis dahin bleibt die improvisierte Ausstellungswand im Freien im Wandel.

"Im Wandel" heißt auch die aktuelle Ausstellung hinter den Scheiben des kleinen Häuschens. Marlen Peix und Karin Pfab haben dort dieser Tage eine gemeinsame Installation aufgebaut. Wenn an diesem Samstag um 15 Uhr die Rollladen hochgezogen werden, sollen Besucher und zufällige Passanten dort Einsichten zum Verschwinden der Vielfalt in der Landschaft gewinnen. Karin Pfab, die nicht nur Fotodesign, sondern auch Landschaftsarchitektur studierte, hat frei im Raum schwebend drei Fotografien aufgehängt.

Zu sehen sind jeweils weitläufige Ackerflächen: Eine Aufnahme zeigt eine noch blühende Senfsaat, auf der sich im Novembernebel Reif gebildet hat. Auf dem zweiten Bild ist ein Wintergetreide gerade aufgegangen, auf dem dritten sind am Rand des Feldes bereits die Schneefangnetze aufgestellt. Alle drei Aufnahmen entstanden bei Mammendorf, man könne aber ähnliche Motive überall im Münchner Umland finden, sagt Pfab.

Die Nebelstimmung und vor allem die langen, wie mit dem Lineal gezogenen Saatrillen sollen die Tristesse von landwirtschaftlichen Monokulturen vermitteln, dennoch handelt es sich um sozusagen schöne Fotos.

Die Ausstellung findet sich an der Wand neben dem Eingang zum B1. (Foto: Nila Thiel)

Im Begleittext heißt es dazu: "Die Diskussionen, die Ökonomen und Ökologen über die Qualität unserer Kulturlandschaft führen, sind in erster Linie zahlen- und faktenorientiert. Dabei außer Acht gelassen werden die Eigenschaften einer Landschaft, die über das Faktische hinausgehen - ihre sinnlichen Seiten. Diese sind zwar weder mess- noch zählbar, aber trotzdem vorhanden. Sie sind es, die uns auf der emotionalen Ebene ansprechen, und sie sind es, die unsere Seele berühren. Doch gilt das auch für Monokulturen, also für Flächen, deren oberstes Ziel eine effiziente Bewirtschaftung ist, und die bis in den letzten Winkel durchstrukturiert sind?"

Der emotionalen Ebene und hier insbesondere der verlorenen "Seele" von Landschaften widmet sich Marlen Peix, die in der Vergangenheit ebenfalls hauptsächlich mit Fotoarbeiten in Erscheinung getreten ist. "Ich wollte einmal etwas anderes machen", erläutert sie ihren Beitrag zu der Installation: Sie formte über Luftballons eine Vielzahl von Pappmaché-Kugeln, die sie nun in hohen Zylindern aus Plexiglas präsentiert. Sie sollen "die aus der Landschaft entweichenden Seelen" symbolisieren, so der Ausstellungstext.

Die Pin-up-Poesie beinhaltet Lyrik und Prosa. (Foto: Nila Thiel)

Die Ausstellung "Im Wandel" ist von diesem Samstag, 15 Uhr, bis zum 11. April 2021 zu sehen, das Projekt "Pin-up-Poesie" wird sich darüber hinaus weiter verwandeln.

© SZ vom 13.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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