Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Asylhelfer in Inning geben auf

Der ehrenamtliche Helferkreis schrumpft und fühlt sich von Staat, Landratsamt und Gemeinde ausgenutzt. Die Politik kümmere sich nur um die Verteilung, nicht um die Integration.

Von Astrid Becker

Sie sind verzweifelt, überfordert und unglaublich wütend auf die deutsche Asylpolitik. Deshalb will der Helferkreis Asyl der Nachbarschaftshilfe Inning als erster im Landkreis seine Arbeit zum 31. Dezember 2020 niederlegen. Das verkündete das sogenannte Koordinationsteam am Dienstag in der Inninger Gemeinderatssitzung. Auslöser für die Entscheidung ist wohl der Beschluss des Bauausschusses, die Baugenehmigung für die Containeranlage zu verlängern - eigentlich nur eine reine Formsache, wie in vielen anderen Gemeinden derzeit auch. Doch der Frust bei den Helfern sitzt weitaus tiefer. Sie fühlen sich von Staat und Regierung, aber auch vom Landratsamt und der Gemeinde alleingelassen und ausgenützt - und sie dürften kein Einzelfall sein.

Als die Flüchtlingswelle 2014, 2015 ihren Höhepunkt und damit auch den Landkreis erreichte, war der Wille zu helfen auch in der Gemeinde Inning groß. Etwa 150 Bürger engagierten sich beim Helferkreis Asyl, den die drei Gemeinderätinnen Anja Wagatha (CSU), Angelika Wenisch (SPD) und Sibylle Gerhardt (Grüne) ins Leben gerufen hatten. Mittlerweile ist die Zahl der Ehrenamtlichen in Inning geschrumpft - auf nur mehr etwa 20. Allein dieser Personalstand zeigt, wie überlastet die Helfer sein müssen.

Denn die Anforderungen an sie werden immer größer und immer mehr. Längst, so war in der Gemeinderatssitzung von den Koordinatorinnen zu hören, gehe es nicht mehr um Erstversorgung von Menschen, die aus ihren Ländern nach Deutschland geflohen seien und darum, ihnen zu helfen, sich hier zurecht zu finden. Das Team ist auch dafür zuständig, Arbeitsgenehmigungen für sie zu bekommen, damit das bisher harmonische und friedliche Zusammenleben in der Gemeinde funktioniere. Doch allein der bürokratische Aufwand dafür, bedingt durch die komplexe Rechtslage, scheint für die Helfer kaum mehr zu bewältigen zu sein.

In Inning zum Beispiel hatten sich ursprünglich vier Ehrenamtliche in diesem Bereich engagiert, übrig geblieben ist nur mehr Christa Niehaus. Sie sagt: "Bei vielen ist einfach nach vier Jahren die Luft raus." In Inning seien sehr viele Geflüchtete ohne Anerkennung untergebracht. Es gebe etwa zwölf Firmen, die immer wieder nachfragten, ob Flüchtlinge für sie arbeiten könnten. Doch bis eine Erlaubnis dafür vorliege, und wenn es nur für einen Minijob sei, vergehe meist viel zu viel Zeit: "Arbeitgeber wollen aber nicht warten." Die Folge sei eine Absage auf die Bewerbung, die Niehaus für die Flüchtlinge schreibe, was wiederum für die Arbeitssuchenden eine psychische Belastung sei.

Viele von ihnen hätten hohe Schulden, schon allein, weil sie einen Anwalt bräuchten, der sich um ihre rechtlichen Probleme kümmere: "Wir als Helferkreis haben versucht, einen Juristen zu finden, der uns unterstützt - man findet aber keinen mehr." Wenn bereits ein Abschiebungsbescheid vorliege, werde es noch komplizierter: "Für solche Fälle ist München zuständig, das bedeutet für uns unendlich viele Telefonate, viele Emails." Falls jemand gar ins Gefängnis müsse, aus welchen Gründen auch immer, zöge dies einen unglaublichen Aufwand nach sich, sagt auch Ute Hörri. Sie ist extra von der Gemeinde für ein paar Stunden die Woche eingestellt worden, um den Helferkreis zu unterstützen. Aber auch für sie wird die Arbeit immer mehr.

Im Falle einer Haft zum Beispiel verliere der Asylbewerber seine Krankenversicherung: "Wir müssen dann eine Krankenversicherung für ihn suchen, wenn er wieder entlassen wird, oft auch eine Bank, damit er sein Geld bekommt und dergleichen." Hinzu kämen Privatinsolvenzen, die es einzuleiten gelte, weil die meisten Flüchtlinge ihren Verpflichtungen wegen fehlender Einkommen nicht mehr nachkommen könnten, Traumabehandlungen, Vaterschaftsanerkennungen, die erstritten werden müssten, oder Abtreibungen, die die Helfer begleiten müssten: "Irgendwer muss ja übersetzen", so Hörri.

Fazit: Das können 20 Ehrenamtliche nicht schaffen. Massive Kritik üben sie daher an der Asylpolitik: "Dort kümmert man sich zwar um die künftige Verteilung von Flüchtlingen in Europa, nicht aber um die Menschen, die bereits hier sind", sagt das Koordinationsteam, zu dem neben Hörri und Niehaus auch noch Anja Wagatha, Bettina Gabler, Jutta Göbber, Manuela Englberger und Gabriele Kaller von der Nachbarschaftshilfe gehören, die als Trägerverein des Helferkreises fungiert. Deren stellvertretende Vorsitzende Sabina Eisenmann hatte bis vor kurzem ebenfalls dazugehört. Sie hat ihr Amt bereits aufgegeben - aus denselben Gründen.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2019
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