Kühle Getränke gehen ihm nicht mehr aus, seit er in einer der 21 Wohnungen über dem Supermarkt wohnt. Und für frische Frühstückssemmeln braucht Sven Hilgenberg nur einmal ums Haus gehen. „Einfach (um)bauen“ lautete das Motto der Architektouren am vergangenen Wochenende. Als eines der vorbildhaften Projekte, die an diesem Tag besichtigt werden konnten, hatte die Bayerische Architektenkammer „Supermarkt und Wohnen“ ausgesucht, realisiert von der Max-von-Bredow-Baukultur GmbH. Das „Ensemble aus Supermarkt und Wohnung zeigt, wie zwei unterschiedliche Nutzungstypologien wie Gewerbe und Wohnungen gelungen vereint werden können“, heißt es in der Beschreibung.
Hilgenberg öffnete seine Zweizimmerwohnung für die zahlreichen Besucher: Moderne Architektur und Einrichtung, ein Wohnzimmer kombiniert mit Küche, die Decke besteht aus hellen Holzplatten, die Sonne strahlt durch ein Oberlicht, ebenerdige Dusche und ein kleines Schlafzimmer. Auf der großen Dachterrasse mit Holzboden stehen gemütliche Loungemöbel. Trotz der nördlichen Ausrichtung sei die Wohnung hell, und „den Supermarkt merkt man gar nicht“, erklärte er. Projektleiter Hubert Anneser, der gemeinsam mit Architekt Christian Schühle durch das Gebäude führte, hatte zuvor von „der Gegend angepassten moderaten Mietpreisen gesprochen“. Konkret bedeutet das für den Mieter, dass er inklusive aller Nebenkosten 1370 Euro im Monat bezahlt.
Auf dem Supermarktparkplatz hatten die Architekten einen Infotisch aufgebaut und Baupläne an die Fassade geheftet. Die Planungen seien eine Herausforderung gewesen, erinnerte sich Anneser. Während in Städten die Kombination aus „Einkaufen unten, Wohnen oben“ nichts Neues mehr sei, habe sie sich auf dem Land noch nicht durchgesetzt. Die Bedenken wegen des Lärms seien groß gewesen.
Außerdem mussten die Architekten einen Mehrwert dafür finden, dass es außer 14 Einzimmerwohnungen auf der begehrten Südseite auch fünf Zweizimmerwohnungen auf der Nordseite geben werde. Nicht zuletzt hatte der Bürgerentscheid „Rettet den Kuckuckswald“ die Planungen verzögert. Nachdem dieser von einer Zweidrittelmehrheit abgelehnt worden war, konnte 2022 mit dem Holz- und Modulbau begonnen werden. Entworfen hat ihn der Vorarlberger Architekt Hermann Kaufmann. Beteiligt waren außerdem die HKS-Architekten.
Anfang September 2023 hat der 900 Quadratmeter große Supermarkt im Erdgeschoss eröffnet. Ihm ist eine Bäckerei mit kleinem Café angegliedert. Das Gebäude wurde in Holzrahmenbauweise realisiert. „Das speichert dauerhaft CO₂“, erklärt Anneser.
Im ersten Stock liegen die 21 Wohnungen. Durch die Kombinutzung entstand Wohnraum ohne zusätzliche Versiegelung, erklärte Anneser. Als „besonders nachhaltiges Projekt im Sinne einer zukunftsfähigen Baukultur“ erhielt der Wohn-Supermarkt von der Bayerischen Architektenkammer das Prädikat „Klima-Kultur-Kompetenz“.
Auch wenn Wohnen und Einkaufen unter einem Dach vereint sind, bleiben die beiden Lebenswelten komplett getrennt. Auf der Südseite liegt der Parkplatz des Supermarktes. Zur Anlieferung fahren die Lastwagen rückwärts in eine Garage. Abgeladen wird im Inneren; so dringt kein Lärm nach draußen. Aufzug, Eingänge für die sogenannten Starterwohnungen und die dazugehörige Parkgarage befinden sich auf der Rückseite. Bei der Auswahl der Mieter hat die Gemeinde Wörthsee mitgewirkt. Den Einzimmerwohnungen auf der Südseite sind überdachte Loggien vorgelagert. „Sie bilden einen Puffer zwischen Innenraum und dem Supermarkt“, erklärte Anneser.
Damit die Nordwohnungen aufgewertet werden, haben sie Dachterrassen bekommen. Weitere Zuckerl für die Mieter sind die gemeinschaftlich nutzbare Fahrradwerkstatt im Erdgeschoss, eine Gemeinschaftsloggia und -dachterrasse mit Teeküche, Tischen und Stühlen.
Ein Wermutstropfen: Für den Bau mussten alte Buchen weichen. „Schade um die Bäume“, gab Anneser zu, wies aber auf die Ersatzpflanzungen und den mit viel Holz realisierten Baukörper hin. „Er steht mit einer großen Ruhe da und regt nicht auf“, lobt Anneser.