„Wenn man 38 Jahre alt ist, einen guten Beruf, eine Familie und ein schönes Zuhause hat, denkt man, man ist angekommen. Und dann kam die Fischerei daher und hat meine Wahrnehmung noch mal auf den Kopf gestellt.“ Lucia Rüth lächelt, während sie das sagt. Ganz im Gegenteil zum weitverbreiteten Vorurteil, Angeln sei ein Altherrensport, stehen zwei junge Frauen in dicken Latzhosen in der Isar und werfen die Ruten aus. Tatsächlich sind Rüth und Viola Langenstein nicht die einzigen Anglerinnen: Die Disziplin zieht Jahr für Jahr mehr junge Leute an - und eben auch viele Frauen. Gerade geht die Saison wieder los: Die Schonzeiten für viele Fische sind vorüber.
Rüth steht vor dem offenen Kofferraum voller Angelequipment in der Tiefgarage der Bayerischen Staatskanzlei, wo sie als Landtagsbeauftragte arbeitet. Sie streift die Latzhose über ihrem Kleid ab, tauscht die Gummistiefel gegen Ballerinas und richtet ihre Perlenkette. Langenstein muss sich ihre Latzhose im Moment noch leihen - die erhältlichen Standardgrößen sind nämlich auf Männermaße ausgelegt, ihre Größe ist aktuell nicht erhältlich. Als sich die beiden Juristinnen auf den Weg ins Büro machen, kann niemand mehr erahnen, dass sie vor gut einer halben Stunde noch bis zu den Waden im Wasser gestanden haben.
„Ich finde die Fischerei einen wertvollen Ausgleich zur Arbeit hier in der Staatskanzlei“, sagt Rüth, „deshalb habe ich die Damen, die dafür infrage kamen, einfach mal angesprochen.“ Darunter war auch Langenstein, die im Fünfseenland lebt, also dort, wo es schon dem Namen nach nicht an auch fürs Angeln geeigneten Gewässern fehlt. „Anfangs habe ich es als Scherz abgetan, dass ich einen Angelschein machen soll. Irgendwann habe ich dann aber ernsthaft darüber nachgedacht“, erinnert diese sich.
Gesagt, getan: Im Sommer vergangenen Jahres meldete sich die 37-jährige zum Angelkurs des Landesfischereiverbands an, lernte alles von Gerätekunde über Fischbiologie bis hin zu den rechtlichen Rahmenbedingungen. Denn das Tierwohl und der Naturschutz sind maßgebliche Bestandteile der Fischerei. Angelstunden am Gewässer dürfen natürlich auch nicht fehlen. Mit allen theoretischen und praktischen Einheiten kann es drei bis fünf Monate dauern, bis man reif für die Fischereiprüfung ist. Mit dem Führerschein ist diese aber nicht vergleichbar: Sie besteht lediglich aus Multiple-Choice-Fragen.


Danach ist Langenstein den Isarfischern beigetreten, einem Verein, bei dem auch Rüth Mitglied ist. „An den ersten Fisch, den ich im Rahmen der Ausbildung gefangen habe, erinnere ich mich wahnsinnig gut“, erzählt Rüth schmunzelnd. „Ich war so aufgeregt, dass ich ganz vergessen habe, wie ich die Rute halten sollte.“ Dass sie das erste Mal etwas an der Angel hatte, liegt bei Rüth schon länger zurück, sie hat die Prüfung bereits vor drei Jahren abgelegt.
In Rüths Familie hat sich die Leidenschaft fürs Spinn- und Fliegenfischen ausgebreitet wie ein Lauffeuer: Die neueste Anglerin der Familie ist gerade mal sieben Jahre alt. „Es ist toll, den Kindern so zu zeigen, dass Fischstäbchen nicht von Käpt'n Iglo paniert und aufgetischt werden“, sagt Rüth. „Das ist ein Fisch, den man lebend aus dem Wasser zieht.“
Langenstein kommt dagegen nicht so häufig zum Fischen, sie fühlt sich noch wohler, wenn jemand Erfahrenes dabei sei. Das erste Gewässer, das die Isarfischer ihr zugeteilt haben, ist die Regattastrecke in Oberschleißheim. Unter Angelneulingen sind auch Tageslizenzen beliebt, etwa für den Starnberger See oder den Ammersee. Wer es auf eine Dauerlizenz für beliebte Gewässer wie die Isar abgesehen hat, muss sich auf einer langen Warteliste einreihen. „Beim Fischen an der Isar wird man fast immer von neugierigen Passanten angesprochen. Das Interesse ist groß, gerade, wenn Leute fischende Frauen sehen“, sagt Langenstein.

In der Tat nimmt die Zahl der Frauen in der Fischerei erst so langsam zu. Ihr Anteil an den Neufischern liegt bei etwas mehr als zehn Prozent, im Vergleich zu den vorherigen Jahren ist das ein hoher Wert. Den bislang letzten großen Ansturm hat der Sport während der Corona-Pandemie erfahren, als man viel Zeit hatte und Hobbys ohne zwischenmenschliche Kontakte suchte. Woran liegt es dieses Mal, dass Angeln zwischen Sportarten wie Padel und Pilates zurück im Trend ist? Zwischen Bürojob, Alltagsstress und diversen politischen Krisen scheinen die Menschen einen Ausgleich in der Natur zu suchen - und ihn im Angeln zu finden. „Wenn man einen Schreibtischjob hat, der viel Konzentration erfordert, ist es toll, gelegentlich die Natur zu spüren“, findet Rüth. „Man ist nah dran am Jahreskreislauf und kommt von den Gedanken des Alltags weg.“
Angeln ist bei den beiden Juristinnen längst mehr als nur ein Hobby. „Was mich besonders berührt, ist die Hilfsbereitschaft unter den Fischern“, berichtet Langenstein. „Bei winterlichen drei Grad standen Menschen stundenlang an meiner Seite, um mir das Angeln beizubringen – und freuten sich ehrlich über meine ersten Erfolge“, sagt sie. „Das habe ich so noch nicht erlebt.“ Sie und Rüth arbeiten in Nebentätigkeit am Standardkommentar für das bayerische Fischereirecht, Rüth ist außerdem ehrenamtlich tätig als Justiziarin im Oberbayerischen Fischereiverband. Für die Zukunft wünschen sich die beiden noch mehr Frauen neben ihnen am Ufer - Angeln ist eben keine reine Männersache.