Erfahren und bewahren: Diese beiden Worte beschreiben recht trefflich, worum es Angela Schuster in der Hauptsache geht. Die 63-Jährige würde am liebsten alle Geschichten, die es über ihre Heimatgemeinde Berg zu erzählen gibt, aufsaugen wie ein Schwamm – die Großen aber auch die Kleinen, welche einem im ersten Augenblick gar nicht so wichtig erscheinen. Denn manchmal sind gerade sie ein wichtiges Mosaiksteinchen für ein großes Ganzes.
Schuster liebt das Stöbern in der Vergangenheit, aber sie findet es auch spannend, neue Ideen auszuhecken: Da ist zum Beispiel die Ortsbroschüre „Berg-Blick“, die viermal im Jahr erscheint und kostenlos bei den Bürgern im Briefkasten landet. Das Konzept dafür hat sie gemeinsam mit dem Münsinger Verleger-Ehepaar Bettina Hecke und Fritz Wagner in die Hand genommen und der bisherigen Ortspostille so nicht nur ein neues Outfit, sondern auch ein neues Konzept verpasst. So ist der „Berg-Blick“ dank Schuster nicht mehr nur ein Mitteilungsblatt der Gemeinde, sondern auch der Vereine, die hier ihre Neuigkeiten unter die Leute bringen können. Schuster koordiniert die Beiträge für die Broschüre und hat darin stets auch eine feste Kolumne mit kulturhistorischen Spaziergängen durch die Gemeinde am Starnberger See verfasst, die sie jetzt in einem Buch unter dem doppeldeutigen Titel „Berg Wanderungen“ veröffentlicht hat.
Erzählt Angela Schuster aus ihrer Jugend in Berg, so erfährt der Zuhörer, dass sich die großen Abenteuer ungezwungener Jahre irgendwo zwischen dem begehbaren Bunker im Berger Schlosspark, der Rottmannshöhe und Schloss Elsholz abgespielt haben. „All diese Bauten standen leer – und sie waren unsere Spielplätze“, erinnert sie sich. „Nur abends, wenn es dunkel wurde, mussten wir nach Hause kommen. Das war die absolute Freiheit.“
Bis zur siebten Klasse spielte sich der kindliche Aktionsradius also vorwiegend in der Gemeinde Berg mit ihren 15 Ortsteilen ab. Wie die anderen Berger Kinder hatte auch sie die Alte Volksschule in Aufkirchen besucht, in der einst der Schriftsteller Oskar Maria Graf das Alphabet erlernt hatte und in der heute die Gemeindebücherei untergebracht ist. Erst danach zog es die Dorfkinder in die weiterführenden Schulen – Schuster zum Beispiel besuchte die Realschule Wolfratshausen.
Ihrem Großvater hat es Angela Schuster zu verdanken, dass sie heute überhaupt in Berg leben darf. Denn er und die Großmutter waren 1948 nach Berg gekommen. Sie lebten hier zuerst in einem Bauwagen, weil das Haus in München ausgebombt worden war. 1950 hat der Großvater dann ein Gebäude mit einem ansehnlichen Grundstück in Oberberg gekauft, auf dem Grundstück leben Schuster und ihr Mann heute noch. Der erwachsene Sohn lebt mittlerweile in München.
Der Bauboom und astronomische Quadratmeterpreise hatten in Berg zur Zeit des Großvaters noch nicht Einzug gehalten. „Der Quadratmeter Grund hat, glaube ich, fünfzig Pfennige gekostet“, weiß die Enkelin aus Erzählungen. Und: „An Berg war zur damaligen Zeit noch niemand interessiert.“ Doch ihre Großeltern liebten den Ort von Anfang an. Sie pflanzten einen großen Obstgarten und die Großmutter gärtnerte aus Leidenschaft, „wenn auch nicht immer mit Erfolg“, sagt Schuster.
Ähnlich wie ihre Großeltern liebt auch Angela Schuster ihren Heimatort, der ihr historisch so viel Interessantes zu bieten hat. Ausgelebt und in ihrer Berufswahl berücksichtigt hat sie das Interesse für die Historie allerdings erst später. Zuerst machte sie eine kaufmännische Lehre, war Steuergehilfin und arbeitete dann 26 Jahre lang bei Giesecke und Devrient, einem Münchner Unternehmen, das als einziger privater Banknotenhersteller bekannt geworden ist. Dort baute sie den Bereich Controlling mit auf. Irgendwann, so sagt sie, hatte sie „keine Lust mehr auf Schlipsträger“.
Sie wollte etwas ganz anderes machen – und tat es auch. Sie wurde Sekretärin an der Grundschule in Beuerberg. Dann wechselte sie als Protokollführerin ans Amtsgericht Starnberg, bis sie schließlich dem bezahlten Arbeitsalltag den Rücken kehrte und sich auf das besann, was man Passion nennt: Leidenschaftlich trägt sie heute dafür Sorge, dass Wissen nicht verschwindet, sondern überliefert wird, aufgeschrieben, weitergegeben. Darum hat sie im Archiv der Gemeinde Berg angefangen. Seit vier Jahren arbeitet sie dort an einem Tag in der Woche ehrenamtlich. Derzeit versuchen die Mitarbeiter, die Software neu einzurichten. Was heißt, es muss jedes historische Blatt in die Hand genommen und archiviert werden. Eine „Mammutaufgabe“, die Schuster schon darum toll findet, weil so unheimlich viel Interessantes ans Tageslicht kommt, in alten Geschichten, Fotos und Chroniken von Privatleuten, die es zu sichten gilt.
Mit ihrem Buch sind auch die Wanderungen durch die Gemeinde für den „Berg-Blick“ abgeschlossen. Künftig will Angela Schuster die Leser mit historischen Geschichten der etwas anderen Art in der Ortsbroschüre überraschen.