Süddeutsche Zeitung

Freizeit:Wo die wilden Bastler wohnen

Lesezeit: 3 Min.

In einer ehemaligen Andechser Schmiede bauen Regina Kern und Joschi Lerche in ihrer Freizeit Skateboards: über das Wohnzimmerprojekt "Wuid Lebn" und seine Grenzen.

Von Tim Pohl, Andechs

Das Bett steht hinten im Wohnzimmer, die fertigen Bretter sind gleich daneben aufgestapelt. Eine Notlösung. Erst vor Kurzem sind Regina Kern und ihre Kinder bei Kerns Lebensgefährten Joschi Lerche eingezogen. Da er auch schon zwei Kinder hat, blieb wenig Platz für ein Elternschlafzimmer. Das ist aber auch gar nicht so schlimm. Die beiden arbeiten auch gerne mal noch nachts, wenn die Kinder schon schlafen, an ihren Boards. Da wird es schon mal so spät, dass es sehr vorteilhaft ist, dass auch die Werkbank direkt neben dem Bett steht.

Das Paar hat seine Leidenschaft für Longboards, also längere Skateboards, zum Beruf gemacht. Gemeinsam führt es einen Shop mit selbst hergestellten Brettern. "Wuid Lebn" - so haben die beiden ihr Projekt getauft: "Weil wir so wuid leben", sagt Kern und lacht. Es repräsentiere das Lebensgefühl, "einfach Bock zu haben und zu machen", fügt Lerche hinzu. Angefangen hat alles, als Lerches eigenes Longboard während einer Berlin-Reise gestohlen wurde. Kurzerhand nahm sich Kern vor, das Bord detailgetreu selbst nachzubauen und es Lerche zu Weihnachten zu schenken.

Schon unter dem Weihnachtsbaum stellten sie sich die Frage: "Wie können wir das Board noch besser machen?", erinnert sie sich. Innerhalb von zwei Jahren entwickelte sich aus dieser Idee ein Shop, dessen Sortiment sich längst nicht mehr nur auf Longboards beschränkt. Zusätzlich tüfteln die beiden Handwerker noch an "Balance-Boards", bei denen man auf einer Korkrolle balanciert, und sogenannten "Surf-Skates". Letztere sind besonders für Surfer gedacht, die Bewegungsabläufe auf dem Trockenen simulieren wollen.

Hauptberuflich arbeitet er als Bauingenieur, sie als Ergotherapeutin. Den Shop führen sie nebenher. Handwerkliches Vorwissen haben beide mitgebracht: "Die Eigenheiten beim Bretterbau mussten wir uns aber selbst aneignen", erklärt Lerche. Für die beiden Bastler kein Problem. "Wir lieben es, neue Dinge auszuprobieren", sagt Kern, "kaum ist eine Sache fertig, haben wir schon wieder eine neue Idee im Kopf". Designt werden die Bretter am Computer - und dann geht es so schnell wie möglich an die Werkbank. Das neue Board testen die beiden Handwerker dann selbst. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass Lerche mit seinem Board die ersten paar Runden um den Esstisch dreht.

Das Konzept zahlt sich aus. Inzwischen ist ein größerer Skate-Shop aus Hamburg auf "Wuid Leben" aufmerksam geworden und hat eine erste Bestellung abgegeben. Ein Kugellagerproduzent aus Amerika will den europäischen Markt erobern und das Ehepaar nun mit seinen Produkten ausstatten. Die beiden freuen sich sehr über die Unterstützung. Denn neben dem Bretterverkauf starten sie nun auch mit Kursen, um den Kunden gleich auch noch das Skaten beizubringen. "Es ist schön zu sehen, dass wir gerade dieses Wachstum erleben", sagt Lerche. Dennoch stehen die beiden durch den Erfolg auch vor Herausforderungen. "Wenn wir noch weiter wachsen, wird unser Produkt nur profitabel, wenn wir die Produktion auslagern", sagt Kern. Ins Ausland aber wollen sie auf keinen Fall. Was die Bretter so besonders macht, ist gerade die lokale Produktion: "Wir haben bayrische Esche vom Bauern um die Ecke in unseren Brettern. Es ist wirklich ein Naturprodukt."

Produktion auslagern, straffällige Jugendliche wieder eingliedern

Wie viel Wachstum tut dem kleinen Unternehmen also gut? Eine Idee der beiden ist es, die Produktion in eine Einrichtung auszulagern, die straffällige Jugendliche wieder eingliedert. So könnte man der Produktion auch eine soziale Komponente geben. Generell möchten die beiden sich aber auf jeden Fall lieber auf die Qualität als auf die Quantität konzentrieren. So könne man auch einfacher auf Kundenwünsche eingehen: "Wir haben viele Kunden, die uns hier in der Werkstatt besuchen und ihre Sonderwünsche einbringen", erzählt Lerche. Ein Brett kostet 110 Euro, ein Rollenset zwischen sechs und 400 Euro.

Die Einzigen, die sie noch für ihre Boards begeistern müssen, sind die eigenen Kinder. "Sie lachen uns manchmal aus, weil sie mitbekommen, dass wir mehr einkaufen als wirklich verkaufen." Mit dem wachsenden Erfolg wollen die Eltern es ihnen aber nun beweisen. Und zumindest der älteste Sohn möchte nun auch mithelfen - zwar nicht an der Werkbank, sondern auf Social Media. Mit seinen Photoshop-Fähigkeiten soll er die Produkte seiner Eltern bewerben.

Der Erfolg läuft also endlich an, doch die beiden Tüftler lassen nicht locker. Das nächste Projekt könnte ein richtiges Surfbrett werden. Auch über die Konstruktion von einem Straßenroller aus Holz hat das Paar schon nachgedacht. Und das größte Projekt steht auch schon im Raum: Die beiden überlegen, einen Anhänger für ihren Bus zu einer mobilen Werkstatt umbauen - damit sie auch auf Reisen ihrer Leidenschaft nachgehen können.

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