Süddeutsche Zeitung

Andechs:Spontane Erfindung

Christoph Schönfelder brilliert mit Improvisationen an der Orgel

Von Reinhard Palmer, Andechs

In der liturgischen Musik ist Improvisation eine Gebrauchsmusik. Sonst hätte das Fach an der Orgel wohl auch nicht bis heute überdauert. Im 17. und 18. Jahrhundert gehörte Improvisieren in der Ernsten Musik zur meisterhaften Beherrschung eines jeden Musikinstruments dazu, ging dann aber verloren. An der Orgel ist sie bis heute eine hohe Kunst, und insbesondere deshalb so anspruchsvoll, weil es hier gilt, mit Händen und Füßen viele Stimmen zugleich zu bedienen und zu registrieren. Der 26-jährige, preisgekrönte Meister der Improvisation, Christoph Schönfelder, setzte dem Andechser Orgelherbst an der Jann-Orgel in der klösterlichen Wallfahrtskirche zum Abschluss am Samstagabend ein Sahnehäubchen auf. Schönfelder subsumierte dabei die vierteilige Konzertreihe mit Werken vom 18. bis 20. Jahrhundert mit Formen aus allen dabei berührten Epochen. Worüber er zu improvisieren hatte, entschied eine Abstimmung unmittelbar vor dem Konzert, was den Auftritt zu einer echten sportlichen Herausforderung machte.

Der Schwerpunkt lag auf dem Barock, beginnend mit Präludium und Fuge - einer Pflichtübung für jeden Organisten - über das Kirchenlied 290 "Herzliebster Jesu, was hast Du verbrochen". Schönfelder machte daraus eine feierliche Eröffnung mit einem kraftvollen, harmonisch reichen Präludium im dichten Stimmengeflecht. Bei der vierstimmigen Fuge synkopierte Schönfelder das Thema, dem er einen dichten Kontrapunkt entgegensetzte. Der fulminante Schluss kreierte den maximalen Kontrast zur nachfolgenden Barockpartita über "Jesu meine Freude". Bis zum strahlenden Toccata-Finale gelang es Schönfelder, einen schlüssigen Bogen zu schlagen, auch wenn diese Improvisation insgesamt doch etwas langatmig ausfiel.

Das Finale sollte der eingängigeren Romantik gehören, daher zog Schönfelder seine "Zwei moderne Fresken" vor. Das Kirchenlied 339 "Ihr Christen, noch erfreuet Euch" gab das Thema für ein chromatisch reiches Bild von geheimnisvoller Spannung vor.

Der romantische Schlussakt wollte sich nicht so recht vom Barock emanzipieren. Der Bachchoral "Christus, der ist mein Leben" lieferte das Thema. Mit Organo pleno beginnend ging es Schönfelder darum, mit allmählichen Rücknahmen immer wieder den Boden für erneutes Anschwellen der Substanz und der Intensität zu bereiten, um mehrere satte Höhepunkte anzureihen - bis zu einer strahlend-glücksseligen Spannungsauflösung im Schlussakkord.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2018
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