Andechs:Meditation an der Orgel

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Exzellent Spannung aufgebaut: Kirchenmusikerin Sul Bi Yi. (Foto: Nila Thiel)

Die neue Andechser Kirchenmusikerin Sul Bi Yi gibt einen fulminanten Einstand

Von Reinhard Palmer, Andechs

Sie ist als neue Kirchenmusikerin schon eine Weile in Aktion auf dem Heiligen Berg. Was noch fehlte, war der konzertante Einstand, den Sul Bi Yi nun mit einem anspruchsvollen Programm gab. Die Neugier des Publikums war groß, dementsprechend voll die Andechser Wallfahrtskirche. Es dürften auch viele Konzertneulinge dabei gewesen sein, in Anbetracht der planlosen Applauseinsätze zwischen den Werkteilen.

Nachdem die Stelle von Anton Ludwig Pfell lange unbesetzt geblieben war, muss die 1988 in Südkorea geborene Sul Bi Yi erst einmal wieder Aufbauarbeit in Andechs leisten. Gewiss auch beim Konzertpublikum, das eine meisterhafte Konzertorganistin zu hören bekam, die schon eine beachtliche Anzahl an Wettbewerbssiegen einheimsen konnte. Zuletzt in diesem Jahr beim renommierten Internationalen Rheinberger Wettbewerb in Vaduz (Lichtenstein). Vom Studium her ist Sul Bi Yi ein Münchner Gewächs und als Meisterschülerin des Pädagogen Bernhard Haas der Musik des 20. Jahrhunderts nicht abgeneigt. Und das war auch in ihrem Konzertprogramm andeutungsweise an Werken von Max Reger und Marcel Dupré abzulesen.

Als Interpretin bleibt die 28-Jährige der asiatischen Akribie treu. Die disziplinierte Präzision und Straffheit der Phrasierung zeigte sich unerschütterlich. Besonders deutlich natürlich in Regers Toccata d-Moll op. 59, aber auch in Bachs Präludium C-Dur BWV 547. Regers Virtuosität kam keinen Deut fahrig daher, obgleich die schwungvollen Läufe durchaus dazu einladen. Auch bei der Registrierung blieb sich die zierliche Südkoreanerin treu, der man auf den ersten Blick kaum einen so strengen und kraftvollen tektonischen Aufbau zutrauen würde, durchaus mit einem geschärften Blick für die feinen unterschwelligen Details. Die herausragenden Qualitäten liegen bei Sul Bi Yi jedoch vor allem im Gesamtaufbau: Die Orgelvirtuosin lässt sich viel Zeit für Steigerungen und Verdichtungen. Ganz langsam ging es mit allenfalls spürbarer Phrasenmodellierung an die jeweilige Thematik. Für die feinen Übergänge kam schon mal der Schweller zum Einsatz, vor allem aber eine gemächlich Substanz aufbauende Registrierung, dabei mit besonderen Augenmerk für die thematische Klarheit und die sorgfältig ausbalancierte Intensivierung, gekoppelt an einen einfühlsamen Spannungsaufbau. Das geschah alles recht unspektakulär, denn Su Bi Yi interessieren als Interpretin keine vordergründigen Effekte.

Die Kirchenmusikerin versteht es aber auch, sinnierende Sätze und Passagen mit weiblicher Hingabe konsequent und in feinsinnig austarierten Klangfärbungen auszuspielen, ohne sich zu unnötigen agogischen Eingriffen hinreißen zu lassen. Dieses geduldige Hineinhören hatte etwas Meditatives und sprach seelentief an. Regers versponnene Fuge aus op. 59 begann mit diesem Zugriff, ebenso Bachs "Wachet auf ruft uns die Stimme" BWV 645 - in transparenter Disposition und mit klar ausgesungenem Choralthema in Bläserklang. Beim Thema von "Variation sur un Noël" von Dupré nahm sich Yi weit zurück und breitete zarten Gesang aus. Der trat aber sogleich im Kontrast zu kraftvollen traditionellen Variationen, die sich in dem Werk mit zeitgemäßen Veränderungen von atmosphärischen Klängen abwechseln. Und Yi fächerte ein weites Spektrum von unkonventionellen Ausdrucksformen auf, etwa mit verworrenem Blubbern, mit Schabernack, majestätischem Fluss oder Tanztaumel. Wohl auch ganz nach dem Geschmack der Zuhörer, gemessen am großen Schlussapplaus, dem eine Zugabe aus Mendelssohns f-Moll-Sonate folgte. Das Publikum heißt Sul Bi Yi willkommen, was die lange Gratulanten-Schlange nach dem Konzert nur noch verdeutlichte.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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