Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Unterschätzte Bäuerinnen

Beim Landfrauentag in Andechs ist man sich über den hohen gesellschaftlichen Wert der Branche einig. Gleichzeitig gibt es immer weniger Bauernhöfe. Wie bleibt das Image dennoch positiv?

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Andechs

Sie organisieren Veranstaltungen, Oster- oder Christkindlmärkte. Sie greifen dem Nachbarn unter die Arme, wenn er Hilfe benötigt und der Anteil an Angehörigen, die zuhause gepflegt werden, ist unter den Landwirten am höchsten. "Die Landfrauen sind eine ganz wichtige Säule in den Dörfern", sagte Kreisbäuerin Beatrice Scheitz auf dem Landfrauentag in Andechs am Dienstag.

Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Landfrauen-Interessensvertretung im Bauernverband bekamen sie viel Lob. Da die Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Michaela Kaniber, aus terminlichen Gründen erst am Nachmittag kommen konnte, übernahmen Landrat Stefan Frey und die CSU-Landtagsabgeordnete Ute Eiling-Hütig die Grußworte.

Frey hob die "tiefe Verwurzelung" und das Heimaltgefühl der Bauern hervor. Eiling-Hütig betonte, die ehrenamtliche Arbeit, die die Landfrauen seit nunmehr 75 Jahren leisten, sei bewundernswert, da sie meist sieben Tage die Woche arbeiten müssten. Auch der Familienzusammenhalt sei bei Landwirten immer noch sehr hoch. Jede Generation kümmere sich und unterstütze einander. "Das ist sehr besonders", so Eiling-Hütig.

2008 gab es noch 422 Bauernhöfe im Landkreis, jetzt nur noch 389

Doch das Lob konnte auf der Veranstaltung nicht über die Probleme in der Landwirtschaft hinwegtäuschen. Viele Landwirte geben auf, weil sie keinen Nachfolger finden oder weil sie durch Gesetze, Verordnungen und Preisdruck zu sehr eingeschränkt werden. Nach Angaben von Kreisbauernverband-Geschäftsführer Thomas Müller gab es 2008 noch 422 Bauernhöfe im Landkreis, derzeit sind es noch 389. Da sich der Kreisverband aber sehr stark im sozialen Bereich engagiere und zudem "Austragler", Ehepartner, Grundstückseigentümer oder Pächter im Verband dabei sind, habe man noch immer 626 Mitglieder.

"Viele arbeiten anderswo, weil man mehr Freizeit hat und mehr verdient", fasst es die Maisinger Bäuerin Margarete Kaspar zusammen. Von ihren fünf Kindern haben vier studiert. Dass ihr ältester Sohn trotz aller Widrigkeiten vor einem Jahr die Landwirtschaft übernommen hat, darauf ist sie sehr stolz.

Allerdings braucht ihrer Meinung nach jeder Landwirt heutzutage ein zweites Standbein, um noch rentabel arbeiten zu können, beispielsweise Blumenfelder. Seit 20 Jahren ist ihr Hof der einzige im Dorf, in dem noch aktive Landwirtschaft betrieben wird. Zwar sei sie sehr gut vernetzt mit anderen Bauernhöfen in den Nachbarorten und man helfe sich gegenseitig. Aber die ehrenamtliche Arbeit würden heutzutage die Feuerwehr oder die Dorfjugend leisten. Sie selbst könne nur noch unterstützend tätig sein. Wie sie erklärt, muss sie zwischen 17 und 19 Uhr in den Stall und die Kühe melken. Da könne man nicht pünktlich zu Vereinsversammlungen gehen. Kaspar weiß, wovon sie spricht. Sie ist in Pöcking Gemeinderätin und kommt öfters zu spät zu den Sitzungen, weil sie im Stall noch nicht fertig ist. "Das ist immer eine Herausforderung."

Für die Tutzinger Bürgermeisterin ersetzt die Landwirtschaft das Fitness-Studio

Die Tutzinger Bürgermeisterin Marlene Greinwald ist ebenfalls Bäuerin. Sie betreibt einen von zwei Bauernhöfen im Ort. Bei 10 000 Einwohnern gebe es dörfliche Strukturen ohnehin nur noch in den Ortsteilen, erklärt sie. Doch auch da machen Greinwald zufolge immer mehr Bauernhöfe dicht. Diese Entwicklung sei der Bevölkerung oft nicht bewusst. "Da geht eine Riesenkultur verloren." Sie hat den Hof an ihre Tochter übergeben und kümmert sich selbst nur noch um die Pferde. "Das ist mein Fitness-Studio. Das tut mir gut."

Die stellvertretenden Kreisbäuerin Annette Drexl ist eine von zwei aktiven Bäuerinnen in Schlagenhofen. Dort funktioniere das Dorfleben noch, betont sie. Weil es keine Vereine und keine Nachbarschaftshilfe gibt, übernehmen die Landfrauen das soziale Leben. Sie laden zum Stammtisch ein, zu Dorftreffen, zum Jagdverbandstreffen und organisieren Kirchweih oder Christkindlmarkt. In der vergangenen Woche hatte Drexl 30 Afrikanerinnen zu Gast, auch um Kinder mit Behinderung oder Menschen in einer Lebenskrise kümmert sie sich. "Wir helfen uns."

Scheitz ist selbst keine Bäuerin, aber in einer Landwirtschaft aufgewachsen. Sie ist seit einem Jahr Kreisbäuerin. "Man trägt den Hof im Herzen", sagt sie. Für die einheimischen jungen Menschen ist es ihrer Erfahrung nach wegen der hohen Preise "unheimlich schwierig" im Dorf zu bleiben. "Das schadet dem dörflichen Leben." Daher motiviert sie Neubürger zum Mitmachen, die keine Landwirte sind, beispielsweise über Handarbeitskurse oder zum Kuchen backen. "Das funktioniert gut, auch über die Generationen hinweg."

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