Den Ammersee zum historischen „Künstler- und Bauernsee“ zu deklarieren, ist ein netter Versuch, eine künstlerische Tradition zu konstruieren und den Gegensatz zum Prädikat „Reichensee“ des Starnberger Sees zu untermauern. Aber der Zweck heiligt die Mittel, geht es doch den Initiatoren des Klassikfestivals „Ammerseerenade“, dem Ehepaar Doris M. Pospischil und Hans-Joachim Scholz, um eine enge Verbindung zu Land und Leuten, die heute seltener der Bauernschaft angehören. An dem Ansatz ist nichts auszusetzen, denn nur so kann ein Festival auf dem Land funktionieren. Vor allem, wenn es um die mittlerweile unpopuläre klassische Musik geht.
Einst das Flaggschiff der Kultur hierzulande, ist die Klassik dank desaströser Bildungspolitik auf Schützenhilfe der wenigen Klassikbegeisterten angewiesen, die sich zu der Mission berufen fühlen, die selbst erfahrene Bereicherung mit anderen Menschen zu teilen. Ein ehrgeiziges Unternehmen, zumal wenn dabei die ganze Region um den Ammersee herum angesprochen werden soll. Aber das ist wohl notwendig, um genügend Publikum und Sponsoren für alle Veranstaltungen zu mobilisieren sowie um die jeweils nötige Infrastruktur für die diversen Inhalte zu finden. Zu bewundern ist dabei der Erfindungsreichtum der Macher und die enorme Spannweite des Angebots, was die Konzertformate und auch die Öffentlichkeitswirksamkeit betrifft. Mit dem „Liberation Concert“ in der Klosterkirche St. Ottilien (28. September) als Kulminationspunkt und Abschlussknaller des Festivals, ist ein höchstrangiges und großformatiges Image-Element entstanden, das ein überregionales Publikum anlockt und auch internationalen Vergleichen standhält.
Als Startschuss des Festivals geht dem Orchesterkonzert gegenüber der geradezu volkstümliche Kapellentag voraus. Ohne Eintritt lernt man geradezu alle kleinformatigen Genres von Volksmusik bis zum Literaturkonzert auf Wanderschaft kennen. Der Zuspruch des Publikums war in diesem Jahr zum zehnten Mal enorm. Schwieriger ist es schon, den so abgesteckten Rahmen mit stimmigen Veranstaltungen zu füllen, die einem möglichst breiten Publikum die Klassik nahebringen, ohne die Klassikfans zu unterfordern. Im Andechser Florianstadl kam am Samstag zum Auftakt die Herausforderung an den veranstaltenden Verein hinzu, den enormen Saal mit Publikum zu füllen. Der italienische Geiger Alessandro Quarta, bereits zum dritten Mal dabei, bewährte sich nicht nur als Publikumsmagnet. Mit der Deutschlandpremiere seiner Komposition „I 5 Elementi“, ging es um die Schöpfung und die Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer und Äther. Begleitet vom Streichquintett „I Solisti Filarmonici Italiani“ und dem Pianisten Giuseppe Magagnino schmetterte Quarta einen Solistenpart, der das Publikum zu frenetischen Ovationen euphorisierte.
Ein Traumstart mit einem Haken: Mit Klassik hatte die Musik wenig zu tun. Allenfalls am Rande mit klassischer Unterhaltung. Mit Verstärkertechnik ging so ziemlich alles an klanglichen Feinheiten verloren, für die die gespielten Instrumente einst geschaffen wurden. Die stets schönharmonischen musikalischen Bilder Quartas stehen vielmehr in der Tradition der Filmmusik großer Fantasy-Epen und sind auf pathetische Effekte angelegt.
Kirill Troussov und Schwester Alexandra Troussova übernehmen die künstlerische Leitung
Es geht fast immer um melancholisch-elegisch weitschweifende Melodien, die über meist ostinate Begleitfiguren gelegt werden. Mit den Techniken der Rückungen und Imitation kamen Steigerungen und Verdichtungen zum Einsatz, für Kontraste sorgten rhythmisch rockende Passagen, den letzten Kick gab stets der Sprung um eine Oktave in die Höhe mit sattem Sound aller Instrumente. Die Ekstase war dann perfekt. Das Element Feuer gab noch Anlass für spielakrobatische Einlagen. Das Publikum tobte. Dem Kenner dürften indes die Worte des Kritikers Eduard Hanslick zu Liszts h-Moll-Sonate in den Sinn gekommen sein: „eine Genialitätsdampfmühle, die fast immer leer geht“.
Wie es inhaltlich weitergeht, ist selbst mit dem imposanten Programmbuch nicht leicht zu erraten, sind dort nicht alle Programme aufgeführt. „Classic for Winds“ (19. September) profitiert zumindest von der akustischen Tragweite der Breitbrunner Kulturkirche Heilig Geist. An Bord der MS Utting (20. September) geht es eher um die landschaftliche Schönheit in Begleitung unterhaltsamer Musik. Akustisch gedämpfte Atmosphäre erwartet wohl die Konzertbesucher des Schweinsbratenkonzerts (18. September in Türkenfeld).
Zu hoffen bleibt, dass es den von 2025 an neuen künstlerischen Leitern des Festivals, Kirill Troussov (Violine) und seiner Schwester Alexandra Troussova (Klavier), gelingt, auch in den kleinen Kammerkonzerten zum ursprünglichen Anspruch zurückzukehren und auch mit anspruchsvoller Klassik für Euphorie zu sorgen. Wer das renommierte Geschwisterduo kennenlernen möchte, hat an diesem Montag, 16. September, (19 Uhr, Otto-Hellmeier-Kulturhaus in Raisting) mit Werken von Tomaso Antonio Vitali, Johannes Brahms und Henryk Wieniawski Gelegenheit dazu.