Benefiz-Konzert für die Ukraine:Sehnsucht nach Frieden

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Auf Benefiztournee durch die bedeutendsten Konzertsäle Polens und Deutschlands: Das Kyiv Symphony Orchestra. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das 80-köpfige Kyiv Symphony Orchestra begeistert im Andechser Florian-Stadl mit selten gehörten Werken ukrainischer Komponisten.

Von Reinhard Palmer, Andechs

Am Ende wurde es höchst emotional. In Orchesterkonzerten werden zwar für gewöhnlich keine Zugaben gespielt, aber hier im Andechser Florian-Stadl war sie geradezu ein Muss: die ukrainische Nationalhymne. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ging das etwa 80-köpfige Kyiv Symphony Orchestra mit seinem italienischen Chefdirigenten Luigi Gaggero - auch ein gefragter Zimbalist und Schlagwerker - auf Benefiztournee durch die bedeutendsten Konzertsäle Polens und Deutschlands. Da der Krieg Mittel in gigantischen Ausmaßen verschlingt, musste eine Verlängerung her, die mit einem Anruf beim Kulturmanager Florian Zwipf-Zacharia begann und flugs als Rotary-Club-Benefizreihe startete.

Eine nicht gerade alltägliche Gelegenheit, das klangsatte Orchester auch außerhalb der Großstädte zu hören und ukrainische Komponisten kennenzulernen. Hierzulande sind sie kaum bekannt und auch deshalb stilistisch schwer in Bezug zu den Entwicklungen in Westeuropa zu setzen. Ihre Musik kann wohl am treffendsten zwischen dem elegischen Norden und der robusten russischen Schule verortet werden. Schon die Ouvertüre der Oper "Taras Bulba" - nach einer Erzählung des Ukrainers Nikolai Gogol - von Mykola Lyssenko (1842 - 1912) offenbarte die musikalischen Wurzeln in der symphonischen Größe eines Rimski-Korsakow, bei dem Lysenko studiert hatte. In den narrativen sowie folkloristischen Passagen konnte der Ukrainer mit ureigener Handschrift zwischen mitreißender Beherztheit und heroischer Dramatik überzeugen.

Mit Leichtigkeit, Leidenschaft und Temperament: "Peace shall defeat War"

Nach diesem Einstieg erklang Beethovens Romance op. 50 geradezu feierlich. Die breite Auslegung vermochte die erst 25-jährige aus Kiew stammende Geigerin Yelyzaveta (Elisabeth) Zaitseva für empfindsame Leichtigkeit in ihrem Solistenpart zu nutzen. Zunehmend offenbarte sie aber auch Leidenschaft und Temperament. Kiew war die musikalische Heimat von Borys Ljatoschynskyj (1895 - 1968), dessen viersätzige vierte Symphonie mit dem Titel "Peace shall defeat War" klingend das vorwegnahm, was in der Ukraine derzeit geschieht. Den Frieden ließ das Orchester aber nicht als zarte Vision, sondern als wiederkehrende leidenschaftlich-melodische Sehnsucht erklingen, die letztlich das dröhnend-aggressive Schlachtengetümmel - von Gaggero auf die Spitze getrieben - zu verdrängen vermochte. Erst im Sieg kehrte er in filigraner Zartheit in den letzten Tönen zurück.

Das Kiewer Symphonieorchester unter Leitung von Luigi Gaggero - hier mit Solistin Dioana Tishchenko - gastierte auf Einladung der Rotarier im Andechser Florianstadel. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Ausdehnung der musikalischen Äußerungen jeweils bis zur Schmerzgrenze griff auch Ljatoschynskyj-Schüler Yevhen Stankovych (geb. 1942) auf. Seine atonale Streichersinfonie Nr.4 "Sinfonia lirica" von 1977 entwickelte sich langsam, durchmaß aber enorme Klang- und Ausdrucksräume von extrem zurückgenommenen Klangspuren über elegisch-melodiöser Verträumtheit bis hin zu Akzenten in aggressiver Wildheit. Hier setzte sich die emotionale Berg- und Talfahrt fort und zeigte vor allem, dass ukrainische Komponisten mehr Aufmerksamkeit verdienen.

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