Machtlfing:Eltern protestieren gegen Öffnung der Behindertenwerkstätten

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Eigentlich arbeitet Manuel Hartmann in den Behindertenwerkstätten in Machtlfing in der Wäscherei. Hier fertigte er Schlüsselanhänger an. Seit Beginn der Corona-Krise war er wegen seiner Vorerkrankungen weder im Wohnheim noch an seinem Arbeitsplatz, sondern lebt daheim bei seinen Eltern in Tutzing. (Foto: Privat)

In früheren Lockdowns blieben sie geschlossen, nun müssen sie wieder öffnen. Eltern von Mitarbeitern befürchten eine Infektionsgefahr.

Von Carolin Fries, Andechs

Manuel Hartmann liebt seine Arbeit in der Wäscherei in den Behindertenwerkstätten der IWL in Machtlfing. "Er hat schon immer ein Faible für Waschmaschinen gehabt", erzählt sein Vater Manfred Hartmann. Doch seit März schon war der 34-Jährige, der das Lowe-Syndrom hat, nicht mehr dort - zu groß sei das gesundheitliche Risiko, sollte er sich mit dem Coronavirus infizieren, sagt sein Vater. Während der Lockdowns im Frühjahr sowie im Dezember waren die Werkstätten und Fördereinrichtungen genau wie die Schulen geschlossen, so hatte es das Gesundheitsministerium verfügt. Plötzlich soll alles anders sein. Seit Montag "findet eine Beschäftigung und Betreuung von Menschen mit Behinderung unter Berücksichtigung coronaspezifischer Anforderungen statt", heißt es in der Allgemeinverfügung der Staatsregierung.

Eltern protestieren dagegen. Manfred Hartmann hält die Öffnung schlicht für unvereinbar mit den verschärften Maßnahmen in Bayern zur Eindämmung der Pandemie. "Die Arbeitgeber werden aufgefordert, Home-Office anzubieten. Aber Behinderte lässt man zusammen arbeiten." Diese wiederum hätten selbstverständlich Kontakt zu ihren Familien und Eltern, die aufgrund ihres Alters oft schon zur Risikogruppe zählen. Manfred Hartmann ist 72 Jahre alt. Er ist mit seiner Sorge nicht alleine. Ein anderer Vater aus dem Landkreis will seine Tochter mit Trisomie 21 auch nicht zur Arbeit schicken.

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Etwa 200 Personen, darunter polizeibekannte Corona-Leugner, versammelten sich in den beiden Städten. Das Robert-Koch-Institut sieht Anzeichen einer Stabilisierung der Corona-Lage im Freistaat.

Beim Sozialverband VdK ist das Problem bekannt. "Auch bei uns sind Anfragen von Eltern eingetroffen, die ihre erwachsenen Kinder mit Behinderung momentan nicht in den Werkstätten arbeiten lassen wollen", sagt Jan Gerspach, Leiter des Bereichs "Leben mit Behinderung". "Wir können nachvollziehen, dass Werkstätten wie andere Arbeitgeber im produzierenden Gewerbe öffnen und Personen, die nicht gefährdet sind, arbeiten möchten. Aber es muss für Personen, die als Risikopatienten gelten, die Möglichkeit geben, von der Arbeit befreit zu werden." Bayerns Behindertenbeauftragter Holger Kiesel hatte sich im Dezember gegen pauschale Schließungen ausgesprochen. Diese sollten vielmehr differenziert nach dem Infektionsgeschehen geschehen.

Aus Sicht der Eltern stellt jedoch schon der Weg in die Werkstätten ein Problem dar. Die Mitarbeiter werden größtenteils in Kleinbussen zu neunt inklusive Fahrer befördert. Laut Allgemeinverfügung muss in den Bussen zwar mindestens jeweils ein freier Platz zwischen den Fahrgästen eingehalten werden, zusätzlich zum getragenen Mund-Nasen-Schutz. Aber weil es zu wenig Busse und Fahrer gebe, habe das Sozialministerium das Tragen von höherwertigen FFP2-Masken ohne freie Plätze zwischen den Passagieren als gleichwertigen Schutz eingeräumt, sagt IWL-Geschäftsführer Martin Becker. Das ärgert Vater Manfred Hartmann: "Es hat ja schon zwei Corona-Fälle in den Werkstätten gegeben und in einem Fall fand die Übertragung wohl im Bus statt."

Nach einer Inventur am Montag beginnt an diesem Dienstag der Betrieb für die 180 Mitarbeiter in Machtlfing nach einer Inventur am Montag. (Foto: Nila Thiel)

In Machtlfing beginnt der Betrieb für die 180 Mitarbeiter nach einer Inventur am Montag an diesem Dienstag. Ausgeschlossen sind Mitarbeiter mit einer einschlägigen Grunderkrankung, die einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung bedingen kann, sowie Personen, die nicht in der Lage sind, die notwendigen Hygiene- und Abstandsregelungen einzuhalten. Wer nicht zur Arbeit erscheint, muss sich krank melden und nach drei Tagen ein ärztliches Attest vorlegen.

IWL-Chef Martin Becker findet das richtig. "Arbeit gehört zu einem erfüllten Leben", sagt er. Und Menschen mit einer Behinderung zählten nicht per se zur Risikogruppe. Der Betreuungsschlüssel in den Werkstätten liege bei eins zu zwölf, ergänzt der Machtlfinger Betriebsleiter Alexander Härtl. Das Einhalten der Corona-Regeln in den Werkstätten funktioniere "sehr gut". Wie viele Mitarbeiter an diesem Dienstag kommen werden, könne er nicht sagen. Auch Becker ist gespannt.

© SZ vom 12.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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