Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Starnberg:Zweifel an sexuellem Übergriff

Busfahrer wird vom Vorwurf freigesprochen, an einer Haltestelle einer 17-Jährigen gegenüber zudringlich geworden zu sein

Von Christian Deussing, Starnberg

Die Vorwürfe waren massiv, vor Gericht haben sie sich nicht bestätigt: Ein Linienbusfahrer sollte laut Anklage auf der Bank einer Haltestelle im Landkreis einer 17-Jährigen gegenüber übergriffig geworden sein. Die Tat sollte sich im Januar 2018 abgespielt haben und wurde am Donnerstag vor dem Jugendschöffengericht Starnberg nochmals verhandelt. Denn bereits vor zehn Monaten musste sich der Busfahrer wegen sexueller Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Doch nun wurde der Angeklagte freigesprochen, weil das Gericht und auch die Staatsanwältin nach widersprüchlichen Aussagen des heute 19-jährigen Opfers erhebliche Zweifel an dessen Schuld hatten.

Der Angeklagte stritt erneut die Vorwürfe ab und gab an, das Mädchen als regelmäßigen Fahrgast ein bisschen kennengelernt und mit ihr über Familie, Freunde und Beruf geplaudert zu haben. Damals habe sie an der Endhaltestelle neben einem Jugendlichen auf der Bank gesessen, erklärte dazu der Verteidiger. Er betonte, dass sein Mandant ein "jovialer und gesprächiger Typ" sei und dass dieser der 17-Jährigen nur ins Ohr geflüstert habe, ob die daneben sitzende Person ihr Freund sei. Der Angeklagte räumte lediglich ein, dass dabei vielleicht eine Sekunde lang seine Lippe versehentlich das Ohr berührt habe.

Dagegen blieb die 19-Jährige bei ihrem Vorwurf, von dem Busfahrer sexuell belästigt worden zu sein. "Er steckte mir die Zunge ins linke Ohr und kreiste 30 Sekunden darin herum", behauptete die junge Frau und erzählte mit brüchiger Stimme: "Ich war so schockiert und bewegungsunfähig." Dennoch wunderte sich Richter Ralf Jehle, dass sie trotz dieser geschilderten Tat kurz darauf allein in den Bus dieses Mannes gestiegen und noch fünf Stationen mitgefahren sei - statt Hilfe zu holen oder lieber den nächsten Bus zu nehmen.

Das Gericht fragte sich auch, warum sie auch erst drei Wochen nach der Attacke eine Strafanzeige erstattet hatte. Dazu habe ihr Freund sie aufgefordert, nachdem sie ihm von dem Vorfall an der Haltestelle erzählt habe. "Denn ich habe immer gezittert und geschrien, wenn er meinem Ohr nahekam", berichtete die Auszubildende in dem Prozess.

In dem langen Verfahren hatten das Gericht vergeblich versucht, den wichtigen Zeugen ausfindig zu machen, der am 24. Januar 2018 neben der Jugendlichen auf der Bank gesessen hatte. Ein Busfahrer-Kollege des Angeklagten hatte sich sogar mit Durchsagen an der Suche beteiligt, woraufhin sich ein Schüler bei diesem Fahrer meldete - doch der Jugendliche hatte einen falsche Namen und eine falsche Adresse angegeben. Der Kollege kennt die Situation an der Haltestelle und erklärte, dass an dieser Station immer mehrere Busse stünden und dort einem der anderen Busfahrer die Attacken hätten auffallen müssen. Denn die Sitzbank sei sehr gut einsehbar, sagt der 36-Jährige dem Gericht.

Auch die Staatsanwältin plädierte schließlich auf einen Freispruch "im Zweifel für den Angeklagten" - obwohl es Merkmale für beide Versionen gebe. Für den Verteidiger war jedoch eindeutig, dass die Beschuldigungen unglaubwürdig und nicht nachvollziehbar seien. Der Anwalt überlegt jetzt, wegen falscher Verdächtigung gegen die Zeugin vorzugehen. Nach dem Freispruch war der Busfahrer sichtlich erleichtert, wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und umarmte vor dem Gerichtsgebäude seinen Anwalt.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2019
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