Weinexperimente am AmmerseeMach' es wie die alten Römer

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Strohgelb mit grünen Reflexen – diese Farbe ist typisch für die Weißweine von Uli Ernst.
Strohgelb mit grünen Reflexen – diese Farbe ist typisch für die Weißweine von Uli Ernst. (Foto: Nila Thiel)

Seit 2018 pflanzt der Biobauer Uli Ernst in Utting Reben in einem Gebiet, das keinesfalls eine klassische Weinbauregion ist. Er setzt als erster Winzer in Bayern auch deshalb ausschließlich auf pilzresistente Sorten.  Aber schmecken die überhaupt? Eine Weinprobe hoch über dem Ammersee.

Von Astrid Becker, Utting

Uli Ernst wirkt sehr zufrieden. Ein Lächeln hat sich in sein Gesicht gegraben, wenn er über Wein spricht. Seinen Wein. Seit mittlerweile fünf Jahren hat sich der 52-jährige Uttinger einem in dieser Region längst vergessenem landwirtschaftlichem Genre zugewandt: dem Weinanbau. Auf insgesamt rund dreieinhalb Hektar hoch über dem Ammersee, genauer gesagt an dessen Westufer, hat er seine Reben gepflanzt. Gerade eben ist die Ausbeute des Winzers aus dem Jahrgang 2024 in Flaschen abgefüllt und auf den Markt gekommen – so viele verschiedene Weine wie bisher bei Uli Ernst noch nie.

Da ist der spritzige Secco, den er vor drei Jahren zum ersten Mal gemacht hat. Da ist sein Sauvignac, den er 2023 trocken und feinherb „ausgebaut“ hat, wie es in der Fachsprache heißt, und 2024 nur noch feinherb. Und da sind seine Neuen: der trockene Souvignier Gris, der liebliche Muscaris und der  Rotling aus Solaris, Muscaris und Cabernet Jura. Lauter Rebsorten, von denen vermutlich viele Weintrinker bisher nur wenig oder gar nichts gehört haben.

Uli Ernst ist das bewusst. Mehr als das sogar. Er steht in seinem Lager und schenkt erst einmal einen Secco ein. In ein Glas, in das „Ammersee Winery“ graviert ist, also der Name seines Weinguts, das sich etwas außerhalb von Utting an der Straße nach Schondorf befindet.  Von diesem Hof aus steuert Uli Ernst sein gesamtes Imperium. Denn so könnte man das, was der Mann mit den lockigen braunen Haaren und den braunen Augen zusammen mit Frau Corinne betreibt, durchaus nennen: eine mehr als 90 Hektar umfassende Bio-Landwirtschaft mit Ackerbau, Rindern und frei laufenden Hühnern. Da ist aber auch noch der Hochseil-Klettergarten und das Labyrinth „Ex Ornamentis“, beides ebenfalls in Utting. Und da sind zudem seine vielen Felder in der Region rund um den See, auf denen Kunden sich selbst Blumen schneiden können. Ganz nebenbei gibt Ernst für die Andreas-Hermes-Akademie für Unternehmer deutschlandweit und in Afrika betriebswirtschaftliche Kurse und Persönlichkeitstrainings.  Weil er nun einmal der Ansicht ist, dass ein Betrieb mehrere Standbeine braucht, um sicher für die Zukunft gerüstet zu sein, hat er viele Jahre lang davon geträumt, der erste Winzer vom Ammersee zu werden.

Der Secco wird im Lager verkostet.
Der Secco wird im Lager verkostet. (Foto: Nila Thiel)

Das klingt erst einmal ein wenig verrückt, zumal das Fünfseenland alles andere als ein klassisches Weinanbaugebiet ist. Darum geht es auch in dem Gespräch im Lager mit Ernst beim Glas Secco. Insgesamt etwa 30 000 Flaschen liegen derzeit auf dem Hof des Winzers, fein säuberlich verpackt und in Gitterkisten gestapelt – aus dem neuen Jahrgang und noch einige wenige aus den Jahren zuvor. Der Secco 2023, mittlerweile der zweite von Ernst, schmeckt, so viel sei schon mal verraten, nach einem lauen Sommertag auf der Terrasse mit Freunden. Leicht, fruchtig, blumig – und feinherb. Das heißt, mit einer Restsüße von 9,5 Gramm versehen, die ihn bei seiner wahrnehmbaren, aber angenehmen Säure recht süffig wirken lässt. Hergestellt ist er wie Prosecco. Für die Bildung der Perlage durchläuft Ernsts Secco also eine zweite Gärung, allerdings in Drucktanks, nicht in der Flasche, wie es bei Sekt oder Champagner der Fall wäre.

Die wichtigste Rebsorte ist Sauvignac

Die dafür verwendete Rebsorte ist Sauvignac, den Ernst bei seinem Partner, dem Weingut Fischborn Bergeshof im rheinhessischen Dexheim ausbauen lässt. Genauer gesagt von Martin Fischborn, der dort im Keller das Sagen hat: „Ich könnte das allein nicht, bin aber immer dabei, wenn es um unsere Weine geht“, sagt Ernst. Der feinherbe Jahrgang 2024 seines Weißweins aus Sauvignac schmeckt nach Limette, Stachelbeere, Honigmelone und einem Hauch Paprika – und verweist damit klar auf die klassischen Rebsorten, aus denen Sauvignac gekreuzt wurde: Sauvignon Blanc mal Riesling und einem nicht näher bestimmten weiteren Resistenzpartner.

Mittlerweile gibt es eine neue Lage bei Uli Ernst: den Weinberg „Seeblick“.
Mittlerweile gibt es eine neue Lage bei Uli Ernst: den Weinberg „Seeblick“. (Foto: Nila Thiel)
Seinen Wein keltern lässt Uli Ernst in Rheinhessen im Weingut Fischborn Bergeshof in Dexheim. Klar, dass Kellermeister Martin Fischborn 2022  bei der Premierenverkostung des Sauvignac  in Utting mit dabei war.
Seinen Wein keltern lässt Uli Ernst in Rheinhessen im Weingut Fischborn Bergeshof in Dexheim. Klar, dass Kellermeister Martin Fischborn 2022  bei der Premierenverkostung des Sauvignac  in Utting mit dabei war. (Foto: Arlet Ulfers)

Mit Sauvignac hat bei Ernst alles angefangen. Noch heute nimmt die Sorte den größten Teil seiner Anbaufläche ein. 2022 hatte er den ersten Wein für den Verkauf daraus abgefüllt: Rund 6000 Halb-Liter-Flaschen waren es damals, auch so ein Markenzeichen von Ernst. Viele bürokratische Hürden hatte er bis dahin nehmen müssen: Als er 2014 die ersten Reben setzt, trägt der Sauvignac noch den sperrigen Namen „CAL.6-04“, was nichts anderes bedeutet, als dass er in Bayern noch gar nicht für den Anbau zugelassen war.

Ernst durfte zunächst – so die Gesetzeslage damals – nur wenige Reben setzen, erst 15, später versuchsweise, wie es zu diesem Zeitpunkt hieß, 99. Nach einer Gesetzesänderung ging plötzlich mehr: 2018 pflanzte Ernst dann schon 3000 Rebstöcke. Seither werden es immer mehr. Und der Winzer vom Ammersee ist längst ein Pionier im Weinbau geworden.

Ernsts Erfolgsrezept sind pilzresistente Rebsorten

Das hat auch mit der Auswahl seiner Rebsorten zu tun: Niemand sonst dürfte bislang hierzulande zu 100 Prozent auf die sogenannten „Piwis“ setzen. Also auf relativ neue Züchtungen, die gegen typische Pilzerkrankungen wie den Echten Mehltau (Oidium), den Falschen Mehltau (Peronospora) oder auch die Grauschimmelfäule, also Botrytis, nahezu komplett resistent sind. Diese Pionierleistung ist gleich mehreren Faktoren geschuldet: Zum einen, weil es kaum mehr Menschen wie Ernst gibt, die komplett neu mit dem Weinbau anfangen. Zum anderen aber spielen am Ammersee auch die höheren Niederschläge und knapperen Sonnenstunden als in klassischen Weinanbaugebieten eine entscheidende Rolle. Diese klimatischen Bedingungen erhöhen die Gefahr von Pilzkrankheiten an den Reben und damit auch den eigentlich notwendigen Einsatz von synthetischen Pestiziden und Herbiziden. Das aber würde nicht zu Ernst passen: „Das dürfte ich als Biobauer gar nicht machen.“

2018 werden Sauvignac-Reben erstmals in größerem Stil gesetzt. Damit sie gedeihen, muss der Boden jedes Jahr - hier 2019 - sorgfältig bearbeitet werden.
2018 werden Sauvignac-Reben erstmals in größerem Stil gesetzt. Damit sie gedeihen, muss der Boden jedes Jahr - hier 2019 - sorgfältig bearbeitet werden. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Franz Xaver Fuchs)

Klar also, dass für Ernst gar nichts anderes infrage kam als „Piwis“. Ernst mag diese Bezeichnung aber nicht so recht. Er spricht neuerdings lieber von „Zukunftsweinen“.  „Auch wenn richtigerweise von Pilzresistenz die Rede ist, kommt das Wort ‚Pilz‘ drin vor – und das klingt in den Ohren vieler im Kontext mit Wein eklig.“ Wie Ernst denken zunehmend mehr Winzerinnen und Winzer. Es gibt mittlerweile sogar einen Verband, in dem sich diejenigen zusammengeschlossen haben, die neben klassischen Sorten auch auf diese resistenteren Varianten setzen. Ernst ist selbstredend dort Mitglied.

Sein neuester Clou ist ein Rotling

Darüber spricht er beim Rotling. Ernst schenkt ihn auf seinem Weinberg „Seeblick“ aus, der seinen Namen zu Recht trägt. Zwischen seinen Rebzeilen hat er ein Bistrotischchen aufgebaut und einen Weinkühler. Der Blick fällt von oben nicht nur aufs Wasser, auf dem gerade ein Ausflugsdampfer vorbei schippert: „Den habe ich extra bestellt“, scherzt Ernst.  Sondern auch auf die Rebsorten, aus denen diese besondere Weinspezialität gemacht ist: auf die beiden Weißweinsorten Solaris und Muscaris und auf den roten Cabernet Jura. Die Trauben dieser drei Rebsorten sind für den Rotling – in unterschiedlichen Anteilen – zusammen vergoren worden.

Der Rotling hat eine tiefrote Lachsfarbe - und wird in den Gläsern des Weinguts kredenzt.
Der Rotling hat eine tiefrote Lachsfarbe - und wird in den Gläsern des Weinguts kredenzt. (Foto: Nila Thiel)

Diese Machart ist typisch für Rotling, was ihn grundlegend vom Rosé unterscheidet, der nur aus Rotweinsorten gewonnen wird.  Der Rotling von Ernst ist dabei recht dunkel geraten, in der Farbe etwa wie tiefroter Lachs. Absicht, sagt Ernst: „Diese Weinfarbe ist gerade in.“ Entscheidender als das dürfte aber der Geschmack sein – nach reifen Erdbeeren, versetzt mit Roten Johannisbeeren, in der Nase einem Blütenduft, den man gar nicht näher benennen kann und einer sanften Würzigkeit. Angenehm.

Bio-Wein hat quasi römische Tradition

Ehe man aber weiter darüber philosophieren kann, drängt Ernst zum Aufbruch. Er will noch auf seinen Römerberg. Die Lage trägt den Namen zu Recht, haben in dessen Nähe Archäologen doch ein römisches Badehaus entdeckt. Auch wenn Ausgrabungen dazu fehlen, ist davon auszugehen, dass zu dem Badehaus auch eine Villa Rustica gehörte. Ernst ist sich dessen sogar ganz sicher: Sein Vater habe hier schon recht große Kalksteine gefunden – Baumaterial der Römer, wie er meint. Jedenfalls ist das alles Grund genug für Ernst, auf die große Weinanbautradition an dieser Stelle hinzuweisen: „Wir wiederbeleben quasi das, was die Römer hier auch schon gemacht haben.“ Oder wie er auf seiner Homepage schreibt: „Die Idee der Römer, hier Wein anzubauen, war damals und ist heute, verdammt gut!“. Eines ist dabei aber sicher: Wenn dem wirklich so war, war der damalige Wein ebenso wie der heutige rein Bio. Spritzmittel, wie sie im konventionellen Anbau eingesetzt werden, gab es ja zur Zeit der Römer noch nicht.

Wo früher Bier konsumiert wurde, geht es jetzt um Wein.
Wo früher Bier konsumiert wurde, geht es jetzt um Wein. (Foto: Nila Thiel)

An einem runden Holztisch unter schattigen Linden gießt Ernst seinen Souvignier Gris ein. Es ist ein Ort, der jenseits aller antiken römischen Geschichten auch eine neuzeitliche hat: Hier stand laut Ernst früher die Klopfer-Alm, ein Biergarten der einstigen Wirte vom „Schondorfer“ im gleichnamigen Nachbarort. Von deren Nachkommen hat Ernst seinen Römerberg gepachtet. Dann geht es um seinen neuen Souvignier Gris. Diese Rebsorte ist eine Kreuzung aus der Hybridsorte Seyval Blanc und Zähringer, die geschmacklich irgendwo zwischen Scheurebe, Riesling und Sauvignon Blanc anzusiedeln ist. Es könnte gut sein, dass er sich noch zum Star unter den Ernst-Weinen entwickelt – zumindest bei denjenigen, die trockene Weißweine mit mineralischer Note zu schätzen wissen. Und Grauburgunder. Denn damit kann dieser Wein durchaus mithalten.

Zum Schluss gibt es noch einen Muscaris, ein lieblich ausgebauter Wein, der von einer Sorte stammt, die aus der pilzresistenten Solaris-Rebe und Gelbem Muskateller gekreuzt wurde. Und genau daran denkt man auch: an die Aromen vom Gelbem Muskateller mit seinen exotischen Früchten, Maracuja etwa. Pfirsich ist noch dabei, überreife Zitronen und natürlich ein dezenter Anklang an Muskat in Nase und am Gaumen. Genau das sagt man auch – und Ernst ist gleich noch zufriedener mit seinem Wein. Er vertreibt ihn übrigens übers Internet und direkt auf seinem Hof. Die Gastronomie weiß ihn mittlerweile auch zu schätzen:  etwa das „Lenas am See“ in Utting oder der „Fischer am Ammersee“ in Stegen. Darauf ist er auch stolz. Man kann es ihm nicht verdenken.

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