Süddeutsche Zeitung

Ammersee:Große Gefühle im Museum der Liebe

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Heiratsanträge aus Pappmaché, Briefe auf rosa Papier und Fenchel aus Beton: In einem Tiny House in Dießen versammelt Luise Loué Liebesobjekte und ihre Geschichten - auch die eigenen.

Von Sophia Linnenbrink, Dießen

"Wenn die Leute hierherkommen, ist das immer sehr lang und intensiv. Smalltalk gibt es hier nicht". Die Frau, die das sagt, schenkt Kurkuma-Ingwer-Tee ein. Ihr Name ist Luise Loué. Sie steht vor ihrem Tiny House aus Holz, auf einem Hof zwischen Utting und Dießen. "Liebesobjekt" steht in geschwungenem Schriftzug über der Haustür. Besuch bekommt die Künstlerin in ihrem Tiny House nicht selten. Luise Loué begrüßt hier Menschen, um mit ihnen über Liebe zu sprechen. Denn das Tiny House ist das Museum der Liebe. "Das kleinste Museum der Welt auf Rädern", wie die Künstlerin es auch nennt. Gerade einmal zwölf Quadratmeter ist der Raum groß.

Im Museum der Liebe werden Geschichten über große Gefühle erzählt. Es geht um Liebe aus Freundschaft, Familie, romantischen Beziehungen, oder auch der Liebe zum Haustier. Zu jeder Geschichte gibt es ein zugehöriges Erinnerungsstück, aktuell sind es 130 Stück. Die stammen entweder aus Loués eigenem oder aus dem Leben anderer Menschen, die der Künstlerin die Erinnerungsstücke geschenkt oder geliehen und die Geschichte dazu erzählt haben. In ihrem Buch "Vergiss die Liebe nicht" hat sie all die Geschichten den Objekten zugeordnet.

Vor der Coronapandemie konnten sich bei einer Veranstaltung bis zu 19 Leute im Tiny House gleichzeitig aufhalten. Es wurden Lesungen und kleine Konzerte veranstaltet. Je nach pandemiebedingten Regelungen weicht Luise Loué nun auf kleine Gruppen oder Liveübertragungen aus dem Museum aus. Immer geht es dabei um die Liebesobjekte, im Tiny House sind sie nicht zu übersehen. Nahe dem Eingang neben dem Sessel steht zum Beispiel eine etwa ein Meter große Giraffe aus Pappmaché. Eine Frau namens Caro hat dieses Erinnerungsstück an das Museum gespendet. "Die Giraffe heißt Jackie. Das war ein Heiratsantrag", erklärt Luise Loué. Der Mann, der den Antrag machte, hatte mit seiner Freundin einen Pakt geschlossen: Jedes Mal, wenn sich die Verliebten etwas Berührendes schreiben, müsse das Malen-nach-Zahlen-Bild einer Giraffe weitergezeichnet werden. Drei Monate später war es fertig und der Freund brachte Jackie mit. "Geheiratet wurde nicht", erzählt die Kuratorin fast ein wenig betroffen.

Ein Liebesbrief liegt auf der kleinen Theke, als wäre er gerade mit der Post gekommen. Tatsächlich aber erhielt Luise Loué diesen im Alter von zwölf Jahren. In kindlicher Schreibschrift auf rosa Papier endet der Brief mit den Worten "Du bist bis jetzt meine größte Liebe". Anstatt auf den Brief zu antworten, korrigierte die junge Loué diesen auf Rechtschreibfehler. Sie versuchte es vor einigen Jahren, aber konnte den Mann, der ihr diesen Brief schrieb, nicht mehr ausfindig machen. "Rosa Liebesbriefe brauchen auch eine Lobby", sagt sie heute, und an diesem Vormittag häufiger. Einige der Ausstellungsobjekte stammen von Männern. "Ich finde es total wichtig, die Emotionalität und die Feinfühligkeit von Männern sichtbarer zu machen." Oft würden Männer dafür belächelt. "Das muss sorgsamer behandelt werden." Die MeToo-Beweguung gegen Sexismus und Machtmissbrauch durch Männer "ist total wichtig", sagt die Künstlerin. "Aber es braucht eben auch das Gegengewicht. Wenn wir nur Horrorgeschichten hören und Pornografisierung erfahren, dann fehlen die positiven Beispiele", so Loué. Sie schaut erneut auf das rosa Papier, "das hier ist eben auch Realität!", sagt sie und zeigt auf den Liebesbrief.

Wer das Museum der Liebe besucht, kommt an einem zentralen Liebesobjekt nicht vorbei: Dem Fenchel. "Damit habe ich auch meine eigene Liebesfähigkeit zelebriert", erklärt die Kuratorin. Es ist eine Fenchelknolle, den ein Amorpfeil durchbohrt. Dahinter steckt die Geschichte eines Südtirolurlaubs mit ihrem Expartner. "Es hat zwei Wochen geregnet. Wir schliefen viel, aber nicht miteinander. Es wurde zunehmend schwieriger", erinnert sich die Künstlerin. Den Grund für die Schwierigkeiten unterstellte sie dem Fenchel, den sie im Urlaub in großen Mengen aßen, er habe libidosenkende Stoffe. Als Zeichen ihrer Liebe schenkte sie ihrem Freund den Fenchel als Kunstobjekt. Die Beziehung hielt noch sechs Monate, dann erfuhr Loué, dass ihr Partner sie betrog.

Luise Loué hat das Motiv, das sie damals ihrem Expartner schenkte, zum Logo des Museum gemacht. "Das hat mir geholfen, meine eigene Liebesfähigkeit zu zelebrieren." Auf einem Tisch vor dem Tiny House steht ein Exemplar, im Innenraum des Museums liegt noch ein gestricktes Exemplar und ein Besucher schenkte ihr sogar eine in Beton gegossene Fenchelknolle. Besucher, die Luise Loué im Museum der Liebe buchen, können die Geschichten der Liebesobjekte auf verschiedene Art erleben. Zum Beispiel veranstaltet die Künstlerin Comedyabende, an denen sie die Geschichten humorvoll erzählt. An anderen Tagen kommen kleine Besuchergruppen, aufgrund der Pandemie aktuell vorrangig Familien und Paare, für Führungen oder Lesungen im Tiny House vorbei.

Die Idee, sich der Liebe in dieser Form zu widmen, hatte Loué schon 2007. Als sie sieben Jahre später in Mutterschutz ging, widmete sie sich ihrem geplanten Projekt. "Ich will immer etwas tun", erzählt sie. Deshalb begann sie, zunächst ihre eigenen Liebesgeschichten von der Kindheit bis in die Gegenwart aufzuschreiben. Drei Monate habe das gedauert. "Der Prozess des Schreibens war eine Verarbeitung." Ihre Sicht auf die Liebe sei lange schwarz-weiß gewesen. "Es gibt so viele verschiedene Abstufungen von Verbindungen. Die Liebesgeschichten zeigen, was zwischen schwarz und weiß alles möglich ist."

Zu dem Tiny House, das von Anfang an im Sinne des Liebesmuseums zu Veranstaltungszwecken gebaut wurde, hat Loué eine besondere Beziehung. "Dieses Haus steht für Selbstliebe und meine Sicherheit." Für Ausstellungen war sie mit dem Tiny House auch in Berlin und Detmold unterwegs. Hin und wieder wird es auch vermietet, zum Beispiel an Musikschaffende, die im Tiny House schon Lieder geschrieben haben. Luise Loué bittet alle, ihre Erinnerungsstücke nicht wegzuschmeißen. Das Museum der Liebe nimmt weiterhin Liebesobjekte zu Ausstellungszwecken entgegen.

Den Name Luise Loué hat sich die Künstlerin übrigens selbst gegeben. "Es ist angenehm, damit eine Barriere zu haben. Liebe ist ja ein sehr persönliches Thema", erklärt die Künstlerin. Luise gefalle ihr schlicht besser als ihr bürgerlicher Name und Loué komme durch ihre Liebe zu Frankreich. Zudem heißt das Wort "geliehen" auf französisch. "Das passt ja auch gut", sagt sie lachend und blickt auf ihr Tiny House.

Das Museum der Liebe in Dießen (Triebhof 3) ist ganzjährig auf Anfrage geöffnet. Mehr Informationen unter www.museumderliebe.de.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2021
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