Modernes Arbeiten:Die Bürogemeinschaft in der Scheune

Modernes Arbeiten: Mucbook-Gründer Marco Eisenack bietet Start-ups auf dem "Ponyhof der Pioniere" in Inning eine Spielfläche.

Mucbook-Gründer Marco Eisenack bietet Start-ups auf dem "Ponyhof der Pioniere" in Inning eine Spielfläche.

(Foto: Arlet Ulfers)

Co-Working-Spaces - das ist doch etwas für New York, Berlin oder München, aber nicht für den ländlichen Raum. Oder etwa doch?

Von Pauline Graf, Inning

In der Scheune auf dem Billerberg im Inninger Gewerbegebiet stehen keine Heuballen für Kühe und Pferde mehr - dort stehen jetzt Ledersofas im Retrolook. Von der Decke baumelt eine Diskokugel, an den Wänden hängen Lichterketten. Und dann hüpft Marco Eisenack vom Münchner Stadtmagazin Mucbook auf die Holzplatten-Bühne. Fast hätte er einen der Lavendeltöpfe umgetreten. "Hey, wir stellen uns jetzt alle mal mit Namen und persönlichem Hashtag vor", sagt er und blickt erwartungsvoll in die schweigende Runde.

Etwa 60 Zuhörer sind an diesem Tag für eine Art Symposium auf den Billerberg nach Inning gekommen. Noch steht hier der alte Ruppanerhof. Die Ledersofas sind allerdings nur ein Vorbote, der Pferdehof wird sich in den nächsten Jahren noch viel stärker verändern. Stefan Höglmaier, der Gründer von Euroboden, einem der führenden Immobilieninvestoren Europas, plant hier hochmoderne Büroräume, Werkstätten und Ateliers. Doch bis der große Umbau des Geländes beginnt, darf das Stadtmagazin Mucbook mit seinem ,,Spinoff"-Unternehmen Clubhouse den Billerberg zu einem "Ponyhof der Pioniere" machen. Früher haben hier die Pferde gewohnt, heute tun das junge Unternehmer.

Das Inninger Gewerbegebiet liegt unweit vom Ortskern - mit einem Bus sei es "easy zu erreichen", wie Mucbook-Gründer Marco Eisenack findet. Start-ups und Selbstständige quartieren sich hier im "Ponyhof der Pioniere" für eine Woche kostenlos ein - sogar schlafen können sie hier. Das "läuft derzeit schon ganz gut", so Eisenack, und erntet bei dem Symposium ein Nicken aus der letzten Reihe, wo ihm die jungen Wissenschaftlerinnen Verena Heise und Heidi Seybold zuhören. Seybold führt später stolz durch das kleine Haus auf dem Gelände, in dem die 33-Jährige mit Kollegin Heise die Woche vor der Veranstaltung verbracht hat: "Wir kannten uns davor gar nicht persönlich, weil ich aus München komme und Verena aus Oldenburg", so Seybold. Aber hier hätten sie in einer Woche eine gemeinsame Webseite zusammenbasteln können. Gönner Marco Eisenack lächelt zufrieden.

In Inning soll ein bisschen Silicon-Valley-Atmosphäre entstehen

In ein paar Monaten soll es schon vorbei sein mit der Zwischennutzung des Geländes, danach wird hier bis 2024 unter architektonischer Leitung von Euroboden die "Plattform by the lake" entstehen. "Deine Plattform am See" - so hat das Münchner Unternehmen das 20 000 Quadratmeter große Areal umgetauft. In die geplanten 50 bis 100 Räumen können sich verschiedene Betriebe und Privatpersonen einkaufen - für 4000 Euro pro Quadratmeter. Dort können dann Einzelbüros entstehen, Konferenzräume - oder sogenannte Co-Working-Flächen.

Abgeguckt aus dem Silicon Valley beschreibt der Begriff des Co-Workings eine moderne, zeitlich flexiblere Arbeitsform in großen Gemeinschaftsräumen, in denen mehrere Unternehmen eben "zusammenarbeiten", zusammen Kaffee kochen, Mittagessen und in der Pause Tischkicker spielen - denn, wie Euroboden-Gründer Stefan Höglmaier findet: "Arbeiten heißt heutzutage nicht mehr nur Schreibtisch."

Modernes Arbeiten: "Arbeiten heißt heutzutage nicht mehr nur Schreibtisch": Stefan Höglmaier von Euroboden plant am Billerberg moderne Büros und Werkstätten.

"Arbeiten heißt heutzutage nicht mehr nur Schreibtisch": Stefan Höglmaier von Euroboden plant am Billerberg moderne Büros und Werkstätten.

(Foto: Arlet Ulfers)
Modernes Arbeiten: Ein Bild aus der Gründungsphase: 2013 ist in Dießen das "Denkerhaus" entstanden.

Ein Bild aus der Gründungsphase: 2013 ist in Dießen das "Denkerhaus" entstanden.

(Foto: Georgine Treybal)

Das kalifornische Co-Working ins Fünfseenland zu holen, ist keine neue Idee: Schon seit 2013 treffen sich zum Beispiel in der alten Dießener Polizeiwache, dem heutigen "Denkerhaus", Teams verschiedener Unternehmen, um "im Netzwerk neue Ideen zu generieren und gemeinsam umzusetzen", so die Webseite des Co-Working-Anbieters. Das Denkerhaus laufe gut, die Nachfrage sei groß, vor allem ortsintern, wie Dießens Zweiter Bürgermeister Roland Kratzer bestätigt: "Das sind innovative Dießener, die bei der Arbeit mal eine Tür zumachen wollen - was ihnen zu Hause vielleicht nicht immer möglich ist." Denkerhaus-Gründer Hans-Peter Sander hat trotzdem Sorgen: "Das Home-Office ist derzeit unser größter Konkurrent", sagt er. "Wer nicht ins Firmenbüro fahren möchte, darf seit Corona zu Hause arbeiten - und bezahlt nicht stattdessen einen Platz im Denkerhaus." Denn 55 Euro, so viel zahlt man zum Beispiel für das Ein-Personen-Büro im Denkerhaus dann doch am Tag. Trotzdem hat das Modell Nachahmer gefunden. Vor vier Monaten zum Beispiel haben in Tutzing Miguel Messner und Cara Kintscher ihren Co-Working-Space "Ecoality" aufgemacht, den die beiden auf ihrer Webseite selbst als "besseres Café" beschreiben. Kosten hier für den Meetingraum pro Stunde: 34 Euro.

Modernes Arbeiten: Die jungen Tutzinger Gründer Miguel Messner und Cara Kintscher haben den Co-Working-Space "Ecoality" aufgemacht.

Die jungen Tutzinger Gründer Miguel Messner und Cara Kintscher haben den Co-Working-Space "Ecoality" aufgemacht.

(Foto: Ecoality)

Zurück nach Inning unter die Diskokugel am Billerberg. Stefan Höglmaiers "Plattform am See" erscheint online in ihren computeranimierten, mit weißem Licht überfluteten Bildern wie ein futuristischer Kosmos, in dem man fast seinen ganzen Alltag verbringen könnte, wenn man das denn will - auch nach Feierabend: Es soll einen Basketballplatz geben, einen Gemeinschaftsgarten, vielleicht sogar Wellnessbereiche und einen Pool auf dem Dach. Bei dem künftig hier ansässigen Gewerbe betont Höglmaier "die große Nutzervielfalt" - von Heilpraktikern über Ingenieure bis zu Architekturbüros, die breite Spannweite sei ihm wichtig. Und wenn es mal nicht so reibungslos läuft: "Paartherapeuten werden voraussichtlich auch dabei sein", wie Höglmaier ankündigt.

"Es ist doch eine völlige Mär, dass es nach vorne gedachten Spirit nur in Städten gibt."

Doch funktioniert das überhaupt, so ein urbanes Konzept auf dem Land? Inning ist schließlich nicht Schwabing. Wie holt man da die einheimische Bevölkerung mit ins Boot? Der Euroboden-Chef antwortet entspannt: "Es ist doch eine völlige Mär, dass es nach vorne gedachten Spirit nur in Städten gibt", sagt Höglmaier. Euroboden könne den Inningern schon vermitteln, dass das Projekt auch für sie von Interesse sei: "Wir wollen nicht nur, aber auch Einheimische an den Billerberg einladen." Und Marco Eisenack prognostiziert: "Nicht nur junge, urbane Menschen werden sich hier einmieten wollen. Bei uns geht es weniger ums Alter, sondern mehr um eine Lebenseinstellung." Die bunte Mischung aus Großstädtern und Bewohnern der Region sei ihm wichtig, denn er ist überzeugt: "Kreativität braucht Begegnung - und Austausch", so Eisenack.

Modernes Arbeiten: Noch sieht der ehemaliger Ruppanerhof in Inning so aus wie der Pferdehof, der er tatsächlich bis vor Kurzem noch war.

Noch sieht der ehemaliger Ruppanerhof in Inning so aus wie der Pferdehof, der er tatsächlich bis vor Kurzem noch war.

(Foto: Arlet Ulfers)
Modernes Arbeiten: 2024 will der Immobilienentwickler Euroboden dort moderne Gewerbeflächen bauen.

2024 will der Immobilienentwickler Euroboden dort moderne Gewerbeflächen bauen.

(Foto: Muck Petzet Architekten/oh)
Modernes Arbeiten: Auf dem Gelände sollen Büroräume und Geschäfte, aber auch Freizeitmöglichkeiten entstehen.

Auf dem Gelände sollen Büroräume und Geschäfte, aber auch Freizeitmöglichkeiten entstehen.

(Foto: Muck Petzet Architekten/oh)

Der Inninger Bürgermeister Walter Bleimaier war bei der Veranstaltung in der Scheune auf dem Billerberg nicht dabei. Bei den Fotos, die ihm danach gezeigt wurden, habe er aber schmunzeln müssen: "Ja, sag einmal - denken die eigentlich, dass wir immer noch in Scheunen wohnen und in Lederhosen rumrennen?" Dieses Konterkarieren der landwirtschaftlichen Gebäude mit hippen Elementen wie den Vintage-Ledersofas, da habe man wohl ein romantisch-uriges Landambiente erzeugen wollen. Das Projekt am Billerberg findet er aber sehr gut. "Euroboden kam vor einigen Jahren zu uns - und der Handel lief fair ab", sagt er. Und auch die Inninger hätten auf dieses Projekt Lust. Aber: "Welche Pioniere da rumlaufen, weiß hier in der Gemeinde keiner", sagt Bleimaier. "Was genau abgeht, hat keiner realisiert." Aber das komme ja vielleicht noch.

Ein kurzer Besuch an der Tankstelle an der Bundesstraße 471 direkt am Gewerbegebiet. Dort ist man den Pionieren auf der künftigen "platform by the lake" räumlich am nächsten. Was bekommt man dort von dem neuen Arbeiten am Billerberg mit? "Dieses Gewerbegebiet war lange recht ruhig, ich arbeite hier seit 20 Jahren", erzählt die Betreiberin. "Aber jetzt mit dem Großprojekt mit diesem englischen Namen kommen vielleicht mehr Kunden," hofft ihr Kollege. "Und das täte uns allen gut."

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