Süddeutsche Zeitung

Erwachsenenbildung:Störende Sternchen

Die Volkshochschule am Ammersee macht beim Gendern im Programmheft eine Rolle rückwärts.

Von Renate Greil

Dass sie im Jahr 2022 über Gendersternchen diskutieren muss, ist für die Dießener Gemeinderätin und Verbandsrätin Hannelore Baur (SPD) unbegreiflich. Das Sternchen, gesprochen als Glottisschlag, wird als Mittel zu einer geschlechtergerechteren Sprache eingesetzt. Im Programmheft der 2020 neu gegründeten Volkshochschule Ammersee-West verwendet Geschäftsstellenleiterin Heike Gerl das Asterisk Schriftzeichen. Daran störte sich ein Verbandsrat des Zweckverbandes der VHS Ammersee West mit Sitz in Utting. Dieser umfasst die Gemeinden Dießen, Windach, Eching, Greifenberg, Schondorf und Utting.

Bei der jüngsten Verbandssitzung Anfang Mai wurde deshalb über einen Antrag vom Dezember 2021 des Dießener Michael Hofmann (Bayernpartei) beraten. Er hatte moniert, dass die im Programmheft verwendeten Gendersternchen wie beispielsweise Anfänger*innen "falsches Deutsch" seien. Weiter begründete er seinen schriftlichen Antrag, dass so "eine sehr umstrittene Ideologie" verbreitet werde und man sich dem "Zeitgeist" beuge. In der Verbandsversammlung sitzen neben den zwei Bürgermeisterinnen und vier Bürgermeistern der sechs Mitgliedsgemeinden noch weitere sieben Gemeinderäte und Gemeinderätinnen. Überraschenderweise stimmte die Mehrheit mit acht zu vier Stimmen dennoch für den Antrag - und verbannte damit künftig die Gendersternchen aus dem Programmheft. Baur kommentiert das so: "Dass ein Gemeinderat der Bayernpartei so einen Antrag stellt, ist schon schrecklich, aber dass der Antrag mit Mehrheit übernommen wird, ist für mich als Frau nicht mehr nachvollziehbar."

Dass Hofmann nun der VHS vorschreibt, wie diese Frauen anzusprechen hat, empört die Dießener Gemeinderätin Miriam Anton (Grüne), die stellvertretend an der Sitzung teilnahm. Anton war fest davon ausgegangen, dass "dieser unsinnige Antrag abgelehnt wird". Sie ist der Ansicht, dass die VHS-Leiterin selbst entscheiden sollte, wie sie ihr Programmheft gestaltet. Uttings Bürgermeister Florian Hoffmann, der dem Zweckverband vorsteht, findet für sich persönlich das Gendersternchen beim Lesen schwierig. Er favorisiert die Paarbezeichnung, beispielsweise Anfängerinnen und Anfänger. Aber Rathauschef Hoffmann schränkt gleich selbst ein, dass es hier Platzprobleme im Programmheft geben wird.

In aller Regel kommunizieren bei den Volkshochschulen Frauen mit Frauen. Ähnlich wie bei allen bayerischen Volkshochschulen meldet Leiterin Gerl für das abgelaufenen Herbstsemester ein Verhältnis von achtzig Prozent Teilnehmerinnen und zwanzig Prozent Teilnehmer. Dies gilt mit einer leichten Differenz zu Gunsten der Dozenten auch für die Kursleiterinnen. Für das neue Programmheft wurde laut Gerl beschlossen, dass es zukünftig einen Hinweis geben wird, dass man sich mit den jeweils gewählten Formulierungen an alle Personen (m/w/d) wendet mit dem Ziel, dass sich alle gleichermaßen angesprochen fühlen. Üblicherweise finden sich solche Formulierungen, wenn das generische Maskulinum verwendet wird.

Viele Volkshochschulen folgen bereits den Empfehlungen des Bayerischen Volkshochschulverbands, der bei der Umsetzung gendergerechter Sprache den Genderstern und die Variante des Gender-Doppelpunktes als wünschenswert vorschlägt. Auch der bayerische Kultusminister Michael Piazolo hatte vor Kurzem bei der Landestagung des Bayerischen Volkshochschulverbands die Rolle der Volkshochschulen bei der Demokratieerziehung gelobt. "Sie klären auf, geben Orientierung und optimieren die Urteilskraft. Damit stärken die Volkshochschulen eine offene, tolerante und demokratische Gesellschaft", sagte Piazolo. Christine Loibl, Leiterin der VHS Starnberg, sieht es beispielsweise als "wissenschaftlich erwiesen, dass die weibliche Form nicht mitgedacht wird". Vor einem Jahr hat sie daher bei der VHS Starnberg das Gendersternchen eingeführt, denn "geschlechtergerechte Sprache ist wichtig". Auch bei der VHS Herrsching werde das Gendersternchen verwendet, bestätigt die dortige Leiterin Michaela Wirries. "Wir versuchen darauf, zu achten", sagt sie. Bei der VHS Gilching gibt es laut Mitarbeiterin Imke Gloth "noch keine ganz konsequent einheitliche Linie", aber in Zukunft werde das Gendersternchen auch dazu gehören.

Nicht aber am Ammersee-Westufer. Dort steht die VHS-Leiterin Gerl nun vor einer schwierigen Aufgabe: Sie muss, ohne das Asterisk Schriftzeichen zu verwenden, eine gendergerechte beziehungsweise gendersensible Schreibweise umsetzen. Darauf wird schließlich weiterhin Wert gelegt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5586053
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.