Süddeutsche Zeitung

Verkehr am Ammersee:Minibus auf Bestellung

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Gemeinde Dießen will den Autoverkehr im Ort reduzieren und denkt über die Einführung eines Anruf-Bussystems nach.

Von Armin Greune, Dießen

Ist der öffentliche Busverkehr im Ort so spärlich, weil dafür kaum Nachfrage besteht? Oder finden sich bloß deswegen so wenig Nutzer, weil das Fahrplanangebot recht dürftig ist? Ein bisschen ist es wie die Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war. Auf jeden Fall wird derzeit über kein Thema im Dießener Gemeinderat ausdauernder und leidenschaftlicher gestritten, als über den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Unzweifelhaft ist, dass dem seit mehr als 25 Jahre bestehenden Ortsbus-Konzept mit festen Haltestellen und Fahrplänen nur sehr beschränkter Erfolg beschieden ist: Abgesehen vom Pendelverkehr zu den Schulen liegt die Auslastung gerade einmal bei acht Prozent. Das so entstandene, jährliche Defizit von rund 150 000 Euro teilt sich der Markt mit dem Landkreis Landsberg.

Offenkundig ist aber auch, dass Dießen unter übermäßigem motorisierten Individualverkehr leidet - und dass weder Parkplätze noch Straßen für die Flut der Autos ausreichen. Auch für alternative Verkehrsführungen, die etwa die Anlieger von Herren- und Johannisstraße entlasten könnten, fehlt es im Ort einfach am Platz. Und eine weiträumige Umfahrung, die vielleicht mehrere Gemeinden am Ammerseewestufer umfasst, ist genauso wenig in Sicht. Die daraus resultierende Entlastung für Dießen dürfte ohnehin minimal ausfallen, da dort der größte Teil der Autos innerörtlich oder im Quell- und Zielverkehr unterwegs ist. Ganz abgesehen von der Grundsatzfrage, ob es angesichts Klimakrise und Artensterben zeitgemäß ist, Flächen zu versiegeln, um sie dem Fetisch Pkw zu opfern.

Bemühungen mit kommunalen Zuschüssen das Umsteigen aufs Fahrrad zu fördern, stoßen in Dießen schon wegen der Hanglage an topografische Grenzen. Mehr Erfolg verspricht sich ein Teil des Gemeinderats von einem On-Demand-Bussystem, das für die Nutzer bei Bedarf zeitnah bereit steht. Diesen Zwitter zwischen Busnetz und Taxi hatte das Start-up-Unternehmen "Omobi" im Oktober dem Gremium vorgestellt: Die Firma betreibt seit einem Jahr in und um Murnau ein digital gesteuertes Nahverkehrssystem auf Abruf mit Minibussen.

In der jüngsten Sitzung schätzte Florian Köhler, ÖPNV-Beauftragter am Landratsamt Landsberg, welche Kosten damit für Dießen verbunden sein könnten. Dabei ging er von einem täglichen Zeitrahmen von 6 bis 22 Uhr, einem 100 Quadratkilometer großen Netz und einer zusätzlichen Verbindung nach Herrsching aus; dafür wären wohl drei achtsitzige Kleinbusse erforderlich. Neben den einmaligen Softwarekosten von 155 000 Euro rechnete Köhler mit jährlichen Aufwendungen von 480 000 Euro, für die vier Jahre lang bis zu 65-prozentige Zuschüsse des Freistaats zu erwarten wären. Er verwies zudem auf den Landsberger Nahverkehrsplan, der auch einen Bus nach Herrsching vorsehe, aber frühestens 2028 umgesetzt werden könnte.

Hannelore Baur (SPD) kritisierte, dass Köhlers Rechnung keine Einnahmen im Fahrkartenverkauf einbezieht. Sie machte sich für das On-Demand-Konzept stark, von dem Fahrgäste in den entlegenen Ortsteilen Dießens profitieren könnten: Fachleute hielten dies für das Nahverkehrssystem der Zukunft. Für Michael Hofmann (Bayernpartei) war es hingegen "an den Haaren herbeigezogener, politisch motivierter Nonsense" und "hochdefizitär, weil die Leute selber fahren wollen". Ähnlich äußerte sich Michael Lutzeier (Die Partei), der meinte, mit dem Geld könnte man besser viele Taxifahrten oder ein Tragflächenboot über den Ammersee finanzieren. Unterstützung erhielten die beiden Skeptiker von den Vertretern der Freien Wähler, Roland Kratzer (CSU) und Herbert Kirsch (DB). Eine 13:9-Mehrheit votierte jedoch dafür, konkrete Preisanfragen bei Omobi und anderen Anbietern einzuholen.

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SZ vom 06.07.2021
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