Süddeutsche Zeitung

Alter Bahnhof Hechendorf:Einsatz mit Herzblut

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Isabel Mühlfenzl und ihre Tochter Caroline erwecken das alte Gebäude wieder zum Leben. Sie lassen sich von explodierenden Kosten, einem Wasserrohrbruch und verbrannten Unterlagen nicht bremsen

Von Christine Setzwein, Hechendorf

Die Dame kann resolut sein, das ist unverkennbar. Obwohl Isabel Mühlfenzl eher zierlich ist, vermittelt sie den Eindruck, dass sie bekommt, was sie will. Momentan bekommt sie einen neuen Bahnhof. Genauer gesagt ist sie die Eigentümerin des alten Bahnhofs Hechendorf, der gerade saniert und restauriert wird. Eigentlich hätten die Arbeiten längst fertig sein sollen. Aber wie es halt so ist mit alten Gemäuern: Es kommt immer anders, als man denkt.

Von ihrem Haus in Hechendorf kann Isabel Mühlfenzl direkt auf das mehr als 110 Jahre alte Gebäude schauen. Seit 1966 lebt die Familie Mühlfenzl in der Gemeinde Seefeld. Ehemann Rudolf war Fernsehchefredakteur des Bayerischen Rundfunks, guter Freund von Franz Josef Strauß und Rundfunkbeauftragter der neuen Bundesländer. Als solcher wickelte er den Deutschen Fernsehfunk sowie die Hörfunksender der DDR ab. Auch Rudolf Mühlfenzl erfuhr ganz schnell, wie überzeugend Isabel sein konnte. Obwohl er als Leiter des BR-Wirtschaftsfunks keine Frau in seinem Ressort haben wollte, wurde die damals 34-jährige Isabel Redakteurin in ebendieser Redaktion. 1964 heirateten die Beiden. Rudolf Mühlfenzl starb 2000 im Alter von 80 Jahren. Tochter Caroline ist in Hechendorf aufgewachsen und lebt in Luxemburg, ist dort Buchhändlerin.

Aber zurück zum Bahnhof Hechendorf. Von außen schaut das Gebäude, das 1903 anlässlich der Eröffnung der Eisenbahnstrecke Pasing-Herrsching gebaut wurde und das die Gemeinde Seefeld 2001 der Bahn abgekauft hat, schon recht ansehnlich aus. Die Wände sind weiß gekalkt, ein Großteil der Fenster erneuert. Die Gitter vor den Fenstern im Erdgeschoss symbolisieren das ehemalige Wappen Hechendorfs: unten die Wellen des Pilsensees, aus dem sich Wasserpflanzen nach oben ranken. Auch im Inneren geht es voran. In der Gewölbehalle mit dem hölzernen Dachstuhl fehlen noch Fußbodenheizung und Fenster - "die alleine kosten 55 000 Euro", sagt Mühlfenzl. In den Wohnungen und Büros in den Seitenflügeln sind bereits die Sanitäranlagen eingebaut. Besonders schön ist der Blick aus der großen Dachgeschosswohnung: Vor einem liegen das Aubachtal, der Pilsensee und die Alpen.

"Ich hätte nicht gedacht, dass das alles so teuer wird", sagt Mühlfenzl. Für Kauf und Generalsanierung waren 1,3 Millionen Euro vorgesehen. "Jetzt brauchen wir noch mal 600 000 Euro." Wir, das sind Mutter und Tochter Mühlfenzl. Anfang 2016 waren sie noch voller Optimismus, bis zum Sommer 2016 sollte alles fertig sein. Das Herzblut, mit dem die zwei Frauen an das Projekt herangingen, hatte zuvor den Gemeinderat Seefeld überzeugt, ihnen den Zuschlag zu erteilen. In der Gewölbehalle sind ein Restaurant mit kleinem Laden und eine Buchhandlung geplant. Vor der Halle sollen die Gäste künftig auf einer Terrasse mit Laube ihren Espresso, Wein oder Aperol Sprizz genießen können. Für die Halle hat Mühlfenzl bei einem italienischen Künstler ein Wandbild aus Fliesen in Auftrag gegeben. Es ist längst fertig, zeigt den Pilsensee, den Bahnhof mit Dampflok, Kühe, die Toerring-Rose aus dem einstigen Wappen Hechendorfs und im Hintergrund die Berge.

Die Liebe zu Italien währt schon lange: Die Mühlfenzls haben eine Zeitlang in Rom gelebt, sogar dort geheiratet. Noch heute hat Isabel Mühlfenzl Freunde dort, wie auch in Griechenland, Südfrankreich und in den USA. Die Tochter aus einer "verarmten Adelsfamilie" in Frontenhausen hat Wirtschaftswissenschaften und Philologie studiert, wollte dann unbedingt Journalistin werden, obwohl der Vater es verboten hatte. Aber Isabel wusste, was sie wollte - und setzte es durch. 1964 bis 1970 verfasste sie zahlreiche Dokumentationen über wirtschaftswissenschaftliche und weltpolitische Themen in Hörfunk und Fernsehen, 1970 bis 1992 war sie Wirtschaftsredakteurin im Fernsehen und Moderatorin von "Telekolleg Volkswirtschaft", "Plusminus", "ABC der Wirtschaft", "Profile" und "Blickpunkt Wirtschaft". Seit 1970 war sie zudem an den Universitäten Rochester, New York und Stanford tätig, arbeitete mit dem Nobelpreisträger Milton Friedmann zusammen. Dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan durfte sie die Sicht der Europäer auf die Welt erläutern. Und wie war Reagan? "Zum Niederknien." Und Trump? "Ich kenne ihn von früher", das muss reichen. Seitdem das Land so gespalten ist, fliegt sie nicht mehr so gerne in die USA.

Auch heute schreibt Isabel Mühlfenzl, die 1959 in Volkswirtschaftslehre promovierte, noch Artikel, zum Beispiel für die Ludwig-Erhard-Stiftung. 2013 erschien ihr Buch "Die goldenen Jahre - 50 Jahre Wirtschaftsgeschichte". Aber momentan beschäftigt sie ihr Bahnhof. Man hätte annehmen können, dass es nicht mehr viele böse Überraschungen geben könne, nachdem bei der Entkernung versteckte Stromleitungen aufgetaucht waren und alte verschmutzte Kohlen im Außenbereich entsorgt werden mussten. Doch vor einigen Wochen bemerkte ein Passant ein Rauschen im Gemäuer. Wegen der großen Kälte war im Keller ein Rohr geborsten. Das Wasser stand fast bis zum Erdgeschoss. Dazu kamen private Verzögerungen. Tochter Caroline hatte im Herbst einen schweren Unfall in ihrem Büro in Luxemburg. Ein Elektriker hatte ein Kabel falsch angeschlossen. Beim Anschalten der Kaffeemaschine bekam sie einen Stromschlag, wurde bewusstlos. Das Büro fing Feuer, und "alle Papiere zum Bahnhof verbrannten", so Mutter Isabel. Nachdem die Tochter wieder fit war, musste sie sich um eigene Projekte kümmern und hatte keine Zeit für Hechendorf. Und noch ein Rückschlag: David Hauer, der früher das "Va bene" in Pähl betrieb und Mühlfenzls Wunschkandidat als Gastronom des Restaurants war, hat abgesagt. Er hat mittlerweile im Dießener Bahnhof ein "Va bene" eröffnet und etabliert. Da ist es fast schon gar nicht mehr der Rede wert, dass Rowdys über das Gerüst in das Gebäude eingestiegen waren und Wände und Fenster beschmiert hatten.

Die vielen Rechnungen, die Bürokratie, die Verhandlungen mit Bewerbern für die Gastronomie, mit der Bank und der Bahn, die immer noch einen Raum im Bahnhof nutzt, der ihr gar nicht mehr gehört - das alles konnte und kann Isabel Mühlfenzl nicht alleine stemmen, selbst wenn Tochter Caroline jetzt wieder mithilft. Deshalb kümmert sich jetzt die Rechtsanwältin und Vertraute Angelika Steitz um die Akten.

Im August wird Isabel Mühlfenzl 90 Jahre alt. Warum tut sie sich so ein Projekt überhaupt noch an? Weil sie dem jahrelangen Verfall des Gebäudes nicht mehr zuschauen wollte, sagt sie. Weil sie verhindern wollte, dass das alte ortsbildprägende Gemäuer abgerissen und ein scheußlicher Neubau hochgezogen wird. Es ärgert sie schon, wenn sie jeden Tag auf das knallbuntgestreifte Nachbarhaus schauen muss.

Es gibt jetzt einen neuen Eröffnungstermin: 1. Mai, "spätestens", hofft Isabel Mühlfenzl.

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Quelle:
SZ vom 13.03.2017
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