Der lange Weg in den Regiestuhl:Die Frauen-Quote wirkt langsam

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Gegenwärtig dreht die Feldafingerin Felicitas Darschin die kurzen Spielfilme für "Aktenzeichen XY...ungelöst". Hier ist sie mit Bettina Sandrock zu sehen, mit der sie über ihre Arbeit im Craft Bräu Dießen gesprochen hat. (Foto: Nila Thiel)

Felicitas Darschin hat schon als Kind ihre Filmbegeisterung entdeckt und einen Blitzstart in ihrem Traumberuf hingelegt. Doch dann folgten magere Jahre in einem männerdominierten Geschäft. Nun dreht sie für „Aktenzeichen XY ...ungelöst“ und gilt in einer unsicheren Branche mit 42 noch als Jungregisseurin.

Von Armin Greune, Dießen

Wer Filme liebt, träumt nicht selten davon, selbst welche zu drehen. Doch die beruflichen Chancen, im Regiestuhl Platz zu nehmen, sind denkbar gering: Als sich Felicitas Darschin vor gut zwanzig Jahren dafür bewarb, standen an der staatlichen Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) acht Studienplätze für Spielfilmregie 500 Kandidaten gegenüber. Aber selbst mit dem Diplom in der Tasche muss man einen langen Atem mitbringen, um im Kino-, Fernseh- und Streaming-Business Fuß zu fassen. Angesichts der hohen Produktionskosten finden sich kaum Geldgeber, die mit Hochschulabsolventen und Newcomern ein Risiko einzugehen bereit sind. Jahrelanges Klinkenputzen ist fast unausweichlich, dies gilt besonders für Frauen in der Branche: Deren Anteil nimmt zwar seit einem Jahrzehnt allmählich zu – aber liegt immer noch deutlich hinter dem der Männer zurück.

Felicitas Darschin ist also zwar keine Ausnahme mehr, gehört aber einer Minderheit an. Gegenwärtig dreht die 42-jährige Feldafingerin die kurzen Spielfilme, die im ZDF-Klassiker „Aktenzeichen XY...ungelöst“ authentische Kriminalfälle rekonstruieren. Heuer hat die Regisseurin einen Block mit fünf Real Crime-Stories fertiggestellt, die bis Oktober ausgestrahlt wurden. Im kommenden Jahr kann sie gleich drei Blöcke inszenieren, was kreativen Spielraum und endlich wieder materielle Sicherheit verspricht, sagte Darschin jüngst beim Craft-Talk in der Dießener Brauereigenossenschaft. Das Krimi-Genre habe sie schon lange angezogen.

Mit 42 Jahren gilt die Filmemacherin noch als Jungregisseurin. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Bereits als Schulkind habe sie eine starke cineastische Neigung entwickelt, erzählte sie Bettina Sandrock und dem etwa 40-köpfigem Publikum. Daran hatten ihre Eltern Anteil, aber auch ein väterlicher Freund, der im Gautinger Kino als Vorführer arbeitete. „Die Filmplakate, die er mir schenkte, hängen zum Teil noch heute bei mir“, sagte Darschin. Schon früh war ihr klar, dass sie einmal auf der Leinwand Geschichten erzählen wollte. Mit 15 nahm sie erstmals als Praktikantin bei Dreharbeiten am Starnberger See teil, 2007 schloss sie ihr Regiestudium mit dem Diplom ab.

„Ich bin die Schnellste im Studium gewesen“, sagt Darschin rückblickend. Auch im Beruf legte sie einen Blitzstart hin: Ihr Langspiel-Debütfilm „Zwerg Nase“ wurde 2008 beim Fünfseen-Kinderfilmfestival mit dem Publikumspreis „Kleiner Star“ ausgezeichnet und eröffnete die Kinderfilmreihe beim Münchener Filmfest. Noch im selben Jahr konnte sie den ARD-Fernsehfilm „Im besten Alter“ drehen – doch in der Folge blieben lukrative Aufträge aus. Bis man ihr anbot, Alexandra Helmigs Bühnenstück „Frau Mutter Tier“ fürs Kino umzusetzen. Die mit Julia Jentsch, Brigitte Hobmeier und Kristin Sukow hochrangig besetzte Ensemblekomödie kam 2019 ins Kino und fand bei der Kritik viel Beachtung. Dennoch sei sie damit „nicht in den Brot- und Butter-Markt gekommen“, zu dem etwa TV-Serien gehören, sagt Darschin: „Danach ging lange leider wieder wenig voran.“ Eine Branchenkrise ließ die Zahl der Fernsehproduktionen insgesamt deutlich zurückgehen und gerade die Regiejobs bei den marktbestimmenden Krimis blieben männlichen Kollegen vorbehalten. Sie freue sich, dass sich das nun mit Aktenzeichen XY geändert hat: „In dem Team fühle ich mich sehr wohl.“

Effektives Arbeiten: Das sind 15 oder 16 Drehtage für 60 Minuten Film

Im Februar wird sie die Arbeit an der seit Jahrzehnten erfolgreichen Serie fortsetzen: An 15 oder 16 Drehtagen entstehen dann in einem Block rund 60 Minuten Material für mehrere Folgen, was ziemlich effektives Arbeiten erfordere. Die Produzenten ließen ihr relativ große Gestaltungsfreiheit. Erklärtes Ziel der Filmhandlung sei, eine „hohe Opfer-Empathie herzustellen“, schließlich gelte es, die Zuschauer zu motivieren, gegebenenfalls zur Aufklärung der Straftaten beizutragen. Als Newcomerin fühle sie sich bei der Produktionsfirma Securitel „sehr gut angenommen“, betont Darschin. Inzwischen hat sie noch eine weibliche Kollegin, außerdem führen vier bis fünf Männer bei den anderen Filmbeiträgen Regie. Securitel arbeitet ausschließlich für das ZDF und ist wiederum eine Tochter der neuen deutschen Filmgesellschaft ndF, eines Branchenriesen, der in erster Linie TV-Formate produziert.

Lange Zeit sind bei bestimmten Formaten fast ausschließlich Männer mit der Regie betraut worden. Obwohl seit den 1990er Jahren beide Geschlechter fast gleich stark unter den Absolventen an den Filmhochschulen vertreten sind, wurde vor zehn Jahren nur jede zehnte fiktionale Abendsendung bei ARD und ZDF von Frauen inszeniert, wie der Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie für 2014 feststellte. Für Regisseurinnen unter 40 Jahre gab es sogar keinen einzigen TV-Auftrag bei den großen Sendeanstalten. Mehr als 300 Frauen schlossen sich daraufhin der Initiative „Pro Quote Regie“ an, um gegen schleichende, meist unbewusste Ausgrenzungsmechanismen in den deutschen Produktionsstrukturen zu protestieren.

Langfristig mit Erfolg: 2023 wurde immerhin ein Drittel der Sendungen von ARD und ZDF von Frauen inszeniert, bei RTL waren es ein Viertel. Wie die jüngste Studie des Regieverbands ergab, liegen die weiblichen Kollegen aber bei den aufwendigeren Produktionen noch weiter zurück: Bei Budgets über fünf Millionen Euro und mit Bundesmitteln geförderten Filmen liegt der Frauenanteil jeweils bei 28 Prozent. Vor wenigen Wochen vermeldete die ARD-Tochter Degeto, dass sie nun die geforderte Parität erreicht habe: Im vergangenen Jahr wurden 47 Prozent ihrer Produktionen von Frauen inszeniert. Dessen ungeachtet wurde und wird Felicitas Darschin und den Kolleginnen in ihrem Alter „von potenziellen Auftraggebern oft ein Loch in der Vita vorgeworfen“.

Degeto hatte sich als erste der Branche vor neun Jahren selbst eine Frauenquote von 20 Prozent bei der Besetzung von Regie-Stellen auferlegt. Auch, wenn sich andere Produktionsgesellschaften noch nicht zur Parität verpflichtet haben, werde sie inzwischen fast überall „unter der Hand“ umgesetzt, sagt Darschin: Nun sei „eine Mauer durchbrochen, die lange Bestand hatte“. Die eindeutigste Diskriminierung habe sie selbst ausgerechnet bei einer Frau erfahren: „Eigentlich arbeite ich lieber mit Männern“, habe ihr einmal bei einer Bewerbung die Redakteurin eines öffentlich-rechtlichen Senders erklärt. „Eine Geschlechtsangleichung will ich für den Auftrag nicht betreiben“, habe sie damals bissig geantwortet – und danach nie mehr etwas von dieser Redakteurin gehört.

Jahrelange Durststrecken überbrückte Darschin mit Porträtfotografien von Schauspielern

An Begeisterung, Einsatz und Energie für ihr Metier hat es Darschin nie gefehlt. Die jahrelangen finanziellen Durststrecken als Regisseurin überbrückte sie mit Porträtfotografie für Schauspielerinnen und Schauspieler. Außerdem arbeitet sie als freiberufliche Dozentin: Seit zwölf Jahren unterrichtet sie an der HFF und anderen Medien-Ausbildungsstätten. Viele Lehraufträge brachen ihr allerdings im Lockdown weg, weil die Medienakademie München wegen der Pandemie Bankrott anmelden musste.

In all den Jahren blieb sie aber auch leidenschaftliche Filmemacherin; Darschin erstellte Exposés und Konzepte für Werbung, drehte Dokumentationen fürs lokale oder österreichische Fernsehen und bewarb sich unermüdlich um Fördermittel zur Projektentwicklung. „Ich sitze ungern still mit den Händen im Schoß“, sagt die Regisseurin – und so entstand gleich eine ganze Reihe von Drehbüchern für künftige Filme: Unter dem Arbeitstitel „Mein innerer Delphin“ möchte sie ein Drama um eine Geschlechtsangleichung fürs Kino inszenieren, „Der Andere in mir“ könnte ein Psychothriller für die Leinwand werden. Gemeinsam mit dem Autor Jochen Greve entwickelt sie unter dem Arbeitstitel „Dunkel in mir“ gerade eine Thrillerserie für die etablierte Produktionsgesellschaft „Zeitsprung Pictures“.

Das Filmgeschäft bleibe eine „unsichere Branche“, sagt die Regisseurin

Doch die Finanzierung eines Films erfordere viel bürokratischen Aufwand: Für Fördermittel und Fernsehanstalten wären „jede Menge Anträge auszufüllen“, erklärt Darschin. Oft fehle es nicht an gutem Willen, doch das TV- und Filmgeschäft bleibe „eine wahnsinnig unsichere Branche“, in allen Bereichen sei eine hohe Zahl von Blindbewerbungen die Regel. Früher habe die Chance für ausgebildete Autoren, ein Drehbuch zu realisieren, bei 1:1o gelegen, inzwischen betrage sie wohl eher 1:40. Um ihre berufliche Situation zu verdeutlichen, wählt die Filmemacherin einen Handwerker zum Vergleich: „Stellen sie sich vor, sie wären Klempner und montieren für einen Kunden ein paar Rohre. Und dann hören sie von ihm wochen-, monate-, auch mal jahrelang: nichts. Höchstens mal: Ja... ich überleg mir noch, ob mir’s gefällt“, sagt Darschin: „Die Kommunikationsmoral in der Branche ist oft sehr fragwürdig.“ Auch wenn die Quotenregelung es nun zumindest jüngeren Regie-Kolleginnen leichter mache, sich dort durchzusetzen, brauche man noch immer viel Geduld und Kampfgeist. Und das gilt für Frauen und Männer sowie alle dazwischen und außerhalb.

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