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Abschied von Heinrich Oberreuter:Der Direktor geht, das Orakel bleibt

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Er provozierte gerne - besonders seine Parteifreunde aus der CSU, denn er beherzigte immer den Grundsatz, dass zutreffende Analyse nichts mit Sympathie zu tun hat. Nach 18-jähriger Amtszeit ist Heinrich Oberreuter als Leiter der Akademie für Politische Bildung Tutzing verabschiedet worden.

Gerhard Summer

Norbert Lammert weiß es besser. "Oberreuter kann man nicht in den Ruhestand schicken", hat der Bundestagspräsident im März bei einem Symposium der Universität Passau gesagt. Denn das wäre noch schöner: dass ein Mann, der sein Leben der Politikwissenschaft gewidmet hat und die CSU besser kennt als sie sich selbst, die Wahlanalyse im Fernsehstudio anderen überlässt und sich sinnlosen Hobbys hingibt. Nein, ein leidenschaftlicher Berufsprophet wie Heinrich Oberreuter, 69, zieht sich nicht aufs Altenteil zurück. Man kann allenfalls von ihm Abschied nehmen als Direktor der Tutzinger Akademie für Politische Bildung.

Was am Montagabend rund 350 Gäste im neuen Hörsaal der kleinen Denkfabrik am Starnberger See ausgiebig taten, darunter Oberreuters designierte Nachfolgerin Ursula Münch, etliche Minister und noch mehr Abgeordnete und Journalisten. Ministerpräsident Horst Seehofer war als Festredner geladen und dazu sein mutmaßlicher Herausforderer Christian Ude und auch der vormalige Kultusminister Hans Maier, Oberreuters einstiger Lehrer am Münchner Geschwister-Scholl-Institut.

Es war an diesem Montag viel die Rede von einer Institution im politischen Deutschland, vom Vordenker Oberreuter, der sich um die Demokratie und die Diskussionskultur verdient gemacht und jahrzehntelang den guten Ruf der Akademie garantiert habe. 18 Jahre tat er das. Am 31. Oktober läuft Oberreuters Amtszeit aus.

Ob die an diesem Abend stark vertretene CSU immer so viel Freunde an den Kommentaren ihres Parteifreunds hatte, darf bezweifelt werden. Denn der Mann mit Multitasking-Talent und zeitweiligem 16-Stunden-Tag, der den Dreisprung zwischen Akademie, Lehrstuhl in Passau und Auftritten in Fernsehstudios hinbekam, machte aus seiner Sympathie für diese Partei zwar nie einen Hehl. Aber er beherzigte auch immer den Grundsatz, dass zutreffende Analyse nichts mit Sympathie zu tun hat.

Entsprechend deutlich fielen oft seine Statements zur CSU aus. Denn das ist, was Oberreuters Ruf als Politorakel vom Starnberger See und Dauerlieferant origineller Statements begründet hat: die Fähigkeit, prägnant zu sagen, was die Betroffenen lieber gewunden oder gar nicht hören wollen. Der Herr Professor redet Klartext. Zuweilen provoziert der gebürtige Breslauer auch einfach gern. In der CSU grummelte es deshalb öfters, angeblich waren Edmund Stoiber und auch Seehofer gar nicht angetan von einigen Oberreuter-Aussagen.

Davon ist beim Abschied natürlich keine Rede, auch nicht von der einzigen wohl wirklich schmerzlichen Niederlage des Politologen: 2002 scheiterte seine Berufung an den Politik-Lehrstuhl am Geschwister-Scholl-Institut in München nach viel Wirbel.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2011
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