Starkbieranstich:Was sind das eigentlich für Typen?

Das Singspiel versucht zu ergründen, wie Politiker ticken. Derweil zeigt Maxi Schafroth als Debütant auf dem Nockherberg, dass er verstanden hat, was die Natur des Derbleckens ist

Von Wolfgang Görl

Maxi Schafroth hatte soeben seine erste Salvatorrede beendet, es gab Bravo-Rufe, lang anhaltenden Beifall, und an einigen Tischen erhoben sich die Applaudierenden, aber dann signalisierte der Starkbierredner, dass er noch etwas hinzufügen wolle. Es habe, sagte Schafroth, ein Loch in seiner Rede gegeben, eine Lücke, die er jetzt noch schließen werde. Er hätte gerne etwas über die AfD gesagt, aber er wolle nicht über Leute sprechen, die nicht im Saal seien, das verbiete sein Anstand. Er wünsche den AfD-Anhängern, dass "Licht in ihre Herzen komme", denn "wer nicht verstanden hat, dass es auf dieser Welt nur im Miteinander funktionieren kann, der hat nichts verstanden, der hat aus der Geschichte nichts gelernt". Und an alle gerichtet: "Bleibt's beim Miteinander, verliert's die Empathie nicht, und vergesst's mir die kleinen Leute nicht."

Das war ein besonderer Moment, vielleicht sogar der herausragende beim Politikerderblecken auf dem Nockherberg. Für einen Augenblick war es nicht mehr die übliche Starkbiergaudi, bei der Politiker, oft auch zum eigenen Pläsier, mehr oder weniger heftig durch den Kakao gezogen werden. Kurz wehte der Ernst der Wirklichkeit durch den Saal, einer Wirklichkeit, in der Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken. Dies kann, ja muss man vielleicht in einem guten Kabarettprogramm thematisieren. Als Gegenstand einer witzigen Starkbierrede wäre der Tod von Flüchtlingen heikel, wenn nicht unangemessen, auch deshalb ließ Schafroth das Loch und brachte das Thema erst nach der Rede zur Sprache. Sein kurzer Epilog hat gezeigt, dass er sehr gut verstanden hat, was die Natur des Derbleckens ist.

Wer diese begreifen will, tut gut daran, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Derblecken ist eine altbairische Kulturtechnik, deren Ort das Dorf und insbesondere dessen Wirtshaus ist. Verstöße gegen die althergebrachte Moral, aber auch Dummheiten oder Missgeschicke kamen dort an den Biertischen zur Sprache. Wen es traf, der wurde von den anderen getratzt und bespöttelt, am besten so, dass alle, unter Umständen sogar der Derbleckte, darüber lachen konnten. Am lustigsten war es, wenn ein witziger Mensch den Job übernahm, der in Versen oder Gstanzln die Schadenfreude bediente. Da gab es was zu lachen, und wer lacht, bleckt die Zähne. So erklärt sich das Wort "Derblecken", wenn auch nicht mit letzter Sicherheit. Und natürlich war es für die Wirtshaushocker am schönsten, wenn der Derbleckte mit am Tisch saß und, je nach Temperament, mitlachte oder eine Rauferei anzettelte.

Was immer geschah, es blieb in der Wirtsstube. Und so war es ursprünglich auch bei der Salvatorprobe, wo der Volkssänger Papa Geis 1891 mit einigen Gstanzln zum Begründer des Derbleckens wurde. Dessen Charakter änderte sich, als der Bayerische Rundfunk das Ritual erst via Radio und dann im Fernsehen übertrug. Damit war die Intimität des Wirtshauses perdu, mit einem Mal war das Derblecken eine öffentliche Angelegenheit. Seitdem muss der Salvatorredner einen Spagat vollführen: Einerseits die Politiker im Saal, die ja Gäste sind, so humorvoll derblecken, dass sie gezwungen sind, das schadenfrohe Gelächter ihrer Nachbarn mitzumachen, wenn sie nicht als beleidigte Leberwurst dastehen wollen; andererseits gilt es, die Erwartungen der Leute am Fernseher zu berücksichtigen, unter denen nicht wenige eine knallharte Generalabrechnung mit der Politik erwarten.

Maxi Schafroth hat diesen Spagat mit Bravour bewältigt. Er ist in die Rolle des netten Burschen aus dem Allgäu geschlüpft, der den Politikern gerne Freundlichkeiten servieren will, diese aber so hinterfotzig formuliert, dass aus dem Lob ein Sündenregister wird. Dennoch ist Schafroth kein Bußprediger, der gnadenlos Gericht hält, sondern seine ironische Methode folgt dem Prinzip "Killing me softly". Da ist es dann Ehrensache, nur die Anwesenden mit Spott zu übergießen. Und die AfD war nun mal nicht geladen, schlichtweg, weil es der Gastgeber, die Paulaner-Brauerei, nicht wollte - eine Tatsache, gegen die Katrin Ebner-Steiner, die Chefin der AfD-Landtagsfraktion, nun protestierte.

An den Politiker-, Künstler-, Honoratioren- und Großkopfetentischen im Paulannersaal wurde über Schafroths Derblecker-Debüt naturgemäß mehr geredet als über das Singspiel. "Das kleine Glück", die zweite Inszenierung des Regie-Duos Richard Oehmann und Stefan Betz, hatte zwar einige Längen und Schwächen, aber die waren leicht zu verschmerzen angesichts vieler komischer Momente. Stephan Zinner für seine wunderbaren Söder-Parodien zu loben, ist längst überflüssig. Es wäre vielleicht noch vergnüglich gewesen, hätten die Singspiel-Autoren ein wenig mehr an den Dialogen gefeilt, die sich gelegentlich dahinschleppten und pointenlos versickerten. Saukomisch, aber irgendwie auch sehr plausibel ist die Idee, derzufolge Ministerpräsident Markus Söder nicht nur Dusel hat, sondern dieses auch in einem Spind gefangen hält. Dass die anderen Politiker, sobald sie dies spitzgekriegt haben, ihm das Dusel abluchsen wollen, liegt auf der Hand, und daraus entspann sich eine groteske Handlung, die den Darstellern viele Möglichkeiten bot, ihre parodistischen Künste zu entfalten.

Sina Reiß gab eine wunderbar hibbelige Katharina Schulze, ihr Song "Sorry, SPD" war gewiss einer der Höhepunkte des Singspiels. Sehr lustig auch die rumpelstilzchenhafte Andrea Nahles, die Nikola Norgauer auf die Bühne brachte. Auch deren Song "Die rote Ente quietscht nicht mehr" bleibt lange im Ohr, wie überhaupt die Lieder und die Choreografien das Stück in eine amüsante urbane Revue verwandelten, die nicht sonderlich politisch war. Das muss kein Fehler sein: Auch in den großartigen Rosenmüller-Singspielen ging es selten um Tagespolitik, weitaus mehr im Mittelpunkt stand die Frage: Was sind das eigentlich für Typen, die diese Politik praktizieren. Diesem Konzept folgten auch Oehmann und Betz: Wie tickt der Söder, wie tickt der Scheuer, wie tickt die Schulze? Wenn Zinner, Murr oder Reiß das vorführen, weiß man oft nicht: Ist das übertrieben, oder sind die wirklich so komisch? Wahrscheinlich stimmt Letzteres.

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