Süddeutsche Zeitung

Marketing:Wie die Provinz versucht, die Münchner zu locken

Nicht nur Bad Kissingen will Menschen aus München zum Umzug bewegen - die Landkreise setzen auf die größte Schwäche der Stadt.

Von Pia Ratzesberger

Ein Mann steht im Nebel, hinter ihm die Hochhäuser. Er hat eine Kapuze über den Kopf gezogen und es regnet. Selbstverständlich muss es regnen. Das Gesicht des Mannes ist nicht zu erkennen, nur sein Parka bewegt sich im Wind und es würde einen nicht wundern, wenn die Hochhäuser im Hintergrund nun langsam in sich zusammenfielen und der Mann begänne, um sein Leben zu rennen. Die Szenerie erinnert an eine Dystopie, an Filme wie The Day After Tomorrow, und nur die sanfte Stimme der Sprecherin lässt vermuten, dass man auch eine Werbung für eine Telefonseelsorge vor sich haben könnte. Die Stimme fragt den Zuschauer: "Wo ist das Leben hin, dass Sie sich so gewünscht haben?"

Die Bilder sollen einem vermutlich vermitteln, dass man dieses Leben in der Großstadt nicht finden wird. Die Großstadt muss ein trister Ort sein, zumindest wenn man von Bad Kissingen aus auf die Metropolen der Welt blickt.

Der Landkreis in Franken wirbt mit diesem Film um neue Bewohnerinnen und Bewohner, und er zeigt nicht wie andere Werbefilme, wie schön das Leben in Bad Kissingen wäre, sondern wie vermeintlich unzumutbar das Leben anderswo ist. Er zeigt Bilder vom Times Square in New York, wobei Bad Kissingen dort (noch) keine Werbung für sich macht, sondern alleine in Frankfurt und in München. Letzteres ist zwar doppelt so weit von Bad Kissingen entfernt wie Frankfurt, doch im Süden scheint der Landkreis trotzdem Potenzial zu sehen.

In diesen Wochen hängen in der Stadt verschiedene Plakate, auf denen dann zum Beispiel steht: "Coole City. Aber wie viel Geld ist am Ende des Monats noch übrig?" Der Link auf dem Plakat soll zeigen, wo mehr Geld übrig bleibt und wo ein besseres Leben wartet. Er führt zu besagtem Imagefilm, an dessen Ende ein Paar sich aneinander schmiegt und die Kinder im Grünen spielen. Es hat dann aufgehört zu regnen.

Der Landkreis Bad Kissingen ist nicht die einzige Gegend, die versucht, München von einem Leben in der Provinz zu überzeugen. Vor fünf Jahren zum Beispiel hatte Mühldorf am Inn eine Kampagne gestartet, auf den Plakaten war damals eine junge Familie zu sehen. Über deren Köpfen stand: "Ich war ein Münchner." Mühldorf am Inn warb "mit doppelter Lebensqualität zum halben Preis".

Das ist eine Rechnung wie sie viele Kommunen aufstellen, in denen immer weniger Menschen leben und immer mehr Immobilien leer stehen. Es braucht auch gute Argumente, um einem Großstädter aus der Maxvorstadt mit Fixie zu erklären, warum er sein weiteres Leben in Münnerstadt im Landkreis Bad Kissingen verbringen sollte.

Mühldorf am Inn würde heute keine Kampagne mehr starten

Die Marketingagenturen aber wissen, dass wenn, vor allem eine Sache die Liebe der Münchnerinnen und Münchner zu ihrer Stadt mindern kann. Es sind die Mieten. Eine Wohnung mit vier Zimmern bekommt man in Münnerstadt für 500 Euro kalt. In München bekommt man für den Preis ein Zimmer mit Teppich und Campingkocher. Bleibt allerdings noch die Frage, was man in Münnerstadt soll, außer wohnen. Auch wenn der Landkreis eine Bloggerin aussandte, um 20 Berufe in 20 Wochen vorzustellen, beeindruckt das Land noch immer mehr mit seinen Mieten als mit seinen Stellenausschreibungen.

Der Landkreis Wunsiedel hat zu Beginn des Jahres deshalb auf das gleiche Argument gesetzt, damals standen in der Innenstadt ein kleiner und ein großer Glaskasten. Im ersten kauerte sich eine Frau auf einer Decke zusammen (München), während im zweiten eine Frau auf einem Sessel thronte (Wunsiedel). Kommt ins Fichtelgebirge, dort könnt Ihr Euch noch breit machen, war die Botschaft.

Es lässt sich nicht nachvollziehen, ob der eine oder die andere wegen dieser Aktion tatsächlich beschlossen hat, von München nach Wunsiedel zu ziehen. Die Kommunen fragen nicht ab, warum man umzieht. Doch im Landkreis gibt es eine sogenannte Willkommensagentur und deren Leiterin kümmert sich alleine um Interessierte und ihre Fragen. Sie hat in den vergangenen Monaten zum Beispiel mit einer Verwaltungsangestellten aus München gesprochen oder einem Ehepaar. Er ist Metzger und sie ist Erzieherin. Sie können sich die Mieten in der Stadt schon lange nicht mehr leisten.

Und so mag die Werbung für ein Leben am Land auf einen Großstädter auf den ersten Blick albern wirken, aber sie legt auch eine Wahrheit offen, die man gerne verdrängt, solange man selbst noch nicht betroffen ist. Schon heute sehen viele Menschen keine andere Möglichkeit, als aus München wegzuziehen - und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es in Zukunft immer noch mehr sein werden.

In Mühldorf am Inn würde man heute keine Kampagne mehr starten wie noch vor fünf Jahren, heißt es aus dem Rathaus. Von dort sind es etwa 82 Kilometer nach München, mittlerweile würden genügend Menschen zuziehen. Die Preise für Immobilien hätten sich in den vergangenen Jahren durchaus nach oben verschoben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4273938
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.01.2019/ratz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.