Stadtwerke-Windstrom aus Norwegen :Verdacht einer windigen Öko-Werbung

SZ-Leser sehen die skandinavischen Geschäfte mit großen Zweifeln und halten sie für Image-Kosmetik mit grünem Anstrich

Stadtwerke-Windstrom aus Norwegen : Münchens Stadtwerke beziehen Windstrom aus Norwegen - und ernten hier wie dort Kritik.

Münchens Stadtwerke beziehen Windstrom aus Norwegen - und ernten hier wie dort Kritik.

(Foto: TrønderEnergi/oh)

"Gegen den Strom" vom 3. April (Seite Drei), "Gegenwind im Norden" vom 14. März sowie Leserbriefe "Eine Energie-Mogelpackung" dazu vom 25. März:

Elektronen-Schwindel

Die Absicht der Münchner Stadtregierung, den Strombedarf durch erneuerbare Energie zu decken, ist an Verlogenheit nicht zu überbieten. Erstens sind die Elektronen, die in Norwegen in Marsch gesetzt werden, nicht die, die in München den Kaffee kochen. Zweitens wird ein Großteil dieser Energie nicht benötigt und zu negativen Preisen an andere Regionen oder Unternehmen "verkauft". Drittens wird ein Großteil der in München benötigten Energie durch Kohle, Atomkraft und Gas gedeckt. Wie denn sonst in den Zeiten, wo Sonne und Wind schwächeln? 40 Prozent erneuerbare Energie, die auch wirklich sinnvoll verwendet wird, gehört in diesen Märchenwald. Viertens gibt es gar keine ausreichende Netzwerkverbindung zwischen Norwegen und München. Fünftens geht den Norwegern inzwischen ein Licht auf, denn die Natur ist den Norwegern für diesen Schwachsinn schlicht zu schade. Fake im großen Stil! Dr. Bernd Huber, München

Irreführendes Greenwashing

"München wird die erste Millionenstadt, die sich allein mit Strom aus erneuerbaren Energien (EE) versorgt", ab 2025; dies dank Windstrom der Stadtwerke München (SWM) in Norwegen, Finnland, Kroatien, Sonnenstrom aus Südspanien. Bejubelt die SZ. Behauptet OB Dieter Reiter auf dem Nachhaltigkeits-Kongress am 4. Februar 2019; darauf angesprochen, dieser EE-Strom komme mangels Leitungen in München ja gar nicht an, antwortete der OB: Ja das wisse er auch, aber diese Aussage sei "nicht sexy". "Wurscht" sei das, sagt der SWM-Chef laut SZ, unwidersprochen, denn der Windstrom speise den europäischen "Strom(speicher)see"; wissend, dass es aus physikalischen Gründen einen solchen "See" nicht geben kann, dass der ferne EE-Strom den europäischen Verbund gar nicht erreicht. "Wenn die vier neuen Windparks in Norwegen einmal laufen, wird München zu 73 Prozent mit grünem Strom versorgt", sagt Bieberbach; was physikalisch unmöglich ist. Schon 2001 hat das Oberlandesgericht München solche Lügen-Werbung untersagt. Dass die SWM EE-Strom andernorts erzeugen, kommt sicherlich (bilanziell) dem Klima zugute, nicht aber der Münchner CO₂-Bilanz (wie die SZ zitiert), denn die CO₂-Bilanzgrenze ist die Stadtgrenze. Und da werden auch keine "grünen SWM-Elektronen" in einem See zwischengespeichert: Jeder Strombezieher an jeder beliebigen Entnahmestelle bekommt stets den Strommix, der gleichzeitig irgendwo anders eingespeist wird: 2018 also rund 24 Prozent Strom aus Braunkohle, 14 Prozent aus Steinkohle, 13 Prozent aus Atomkraft, in München deutlich kleinere 30 Prozent aus erneuerbaren Quellen - unabhängig davon, was der Stromanbieter zu liefern behauptet. Und die SZ? Berichtet ausführlich über diese SWM-Propaganda - und verschweigt zum wiederholten Male die langjährige Kritik gegen dieses "greenwashing". Dr. Helmut Paschlau, Mitglied der Energiekommission der Landeshauptstadt München, München

Windräder im Samen-Gebiet

Indigene Völker werden auch heute noch weltweit massiv unterdrückt und entrechtet. Da sie häufig in Familien- oder Stammesstrukturen leben, sind sie ganz besonders wehrlos gegenüber nationalen und internationalen Interessen. So haben die Münchner Stadtwerke unter Mitwirkung einer momentan rechtsliberalen Regierung in Oslo leichtes Spiel, in traditionellen Weidegebieten der Rentiersamen Windräder zu bauen. Dass damit die einzigartige Kultur des letzten halbnomadisch lebenden Volkes Europas weiter zerstört wird, interessiert nicht. Deutlich stärker interessiert hier der bayerische Wähler. Seit dem populistischen Beschluss der bayerischen Staatsregierung von 2014 zur 10-H-Abstandsregelung von Wohngebieten (also das Maß der zehnfachen Windradhöhe als Mindestabstand; d. Red.), werden in Bayern kaum noch neue Windräder genehmigt. In Norwegen dagegen entziehen die Münchner Stadtwerke schamlos denjenigen die Lebensgrundlage, die sich nicht wehren können und nicht einmal von der eigenen Politik geschützt werden. Stolz können die Stadtwerke auf ihre 100 Prozent regenerativen Stroms so wahrlich nicht sein. Albrecht Riehle, Gauting

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