Stadtrat:Über Unwichtigkeit und Bedeutung des Wiesn-Stadtrats

Prominente Besucher auf dem Oktoberfest, 1993

Immer da, wo es rundgeht: Wiesn-Stadträte wie Hermann Memmel 1993 (rechts neben OB Ude).

(Foto: SZ Photo)

Kaum Einfluss, aber viel Ruhm: Aus unerklärlichen Gründen ist der Posten im Stadtrat so beliebt, dass er sogar zu Rücktritten führt.

Von Franz Kotteder

Glückliches München! Eine deiner größten Brachflächen, an die 42 Hektar groß, in einer der teuersten Gegenden der Stadt, hältst du eigensinnig von jeder Bebauung frei, und das nur wegen 16, maximal 17 Tagen im Jahr. Gerade hast du wieder einen Zaun um diese Wiese herumgebaut, damit dort Hunderte von Arbeitern in zweieinhalb Monaten ungestört aufbauen können, was dann im Herbst 17 Tage lang Gaudi und Vergnügen bereitet. Viele Millionen gibst du dafür aus, für diese lächerlichen 17 Tage.

Man möchte meinen, dass all diese gigantischen Anstrengungen doch nun wirklich einer höheren Aufgabe würdig wären. Aber nein, diese 16, maximal 17 Tage sind dir nun einmal sehr wichtig. Und deinen Kommunalpolitikern geht es so gut, dass sie sich um einen Titel ohne Mittel balgen, der offiziell etwas sperrig "Verwaltungsbeirat für Veranstaltungen des Referats für Arbeit und Wirtschaft" lautet und der außer etwas Ruhm und Ehre sowie immerhin Freibier kaum etwas einbringt. Und dennoch schrumpfen dadurch ganze Stadtratsfraktionen, verlieren gar ihren Mehrheitsstatus.

Es handelt sich dabei natürlich um das Amt des "Wiesn-Stadtrats", wie es landläufig genannt wird. Und es ist im Rathaus einer der begehrtesten Posten überhaupt. Es ist ja quasi eine Art Heimatminister auf kommunaler Ebene, man wird durch das Amt zu einer Art Mini-Söder. Der große Söder darf immerhin noch an Landesentwicklungsplänen herumspielen.

Der Münchner Wiesn-Stadtrat hingegen soll Bindeglied zwischen den sogenannten Beschickern des Oktoberfests - also Wirten, Budenbetreibern und Schaustellern - und der Stadtverwaltung sein. Was das genau bedeutet, weiß mancher frisch gewählte Wiesn-Stadtrat selber nicht so genau. Der kürzlich wegen einer Kokain- und Rotlichtaffäre zurückgetretene Georg Schlagbauer (CSU) kam jedenfalls bei seinem ersten Interview nach seiner Wahl 2014 ein wenig ins Schwimmen, als er seinen neuen Job genauer beschreiben sollte.

Aber es geht ja um das Oktoberfest, das muss eigentlich als Aufgabenbeschreibung genügen. Von weiten Teilen der Öffentlichkeit wird ein Oberbürgermeister schließlich nicht danach bewertet, was er beispielsweise gegen den Mietenwahnsinn oder gegen die fast schon institutionalisierten Abweichungen vom Fahrplanablauf bei der U-Bahn zu unternehmen versucht. Sondern man beurteilt ihn danach, wie viele Schläge er zum Anzapfen des ersten Fasses im Schottenhamel-Zelt benötigt. Dass der CSU-OB Erich Kiesl dieser heiligen Handlung anfangs so unwillig nachging, hat ihm gewiss bei einer breiten Menge an Wählern Vertrauen gekostet. Er wurde dann ja auch nicht wiedergewählt.

Jedenfalls glauben viele Münchner, ihr Wiesn-Stadtrat erfülle eine wichtige Aufgabe und übe großen Einfluss aus. Das schmeichelt natürlich einerseits der Eitelkeit eines jeden Kommunalpolitikers. Andererseits hat es die ärgerliche Nebenwirkung, dass man einem Menschen mit dermaßen großem Einfluss selbstverständlich jede Sauerei zutraut. Und das dann auch noch in einem Umfeld wie dem Oktoberfest, in dem man als "Beschicker" binnen Kurzem so viel Geld verdienen kann wie sonst das ganze Jahr nicht.

Gerüchte aus den Fünfzigern bis heute

Wenn es um die Wiesn geht, brodeln die Gerüchte. So kann man nach wie vor hören, der seit 2014 neueste Wiesnwirt Siegfried Able vom Marstallzelt sei mit einer nahen Verwandten der Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) verheiratet. Ersatzweise mit der Schwägerin von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der wiederum mindestens Taufpate von Ables Töchtern sei. Ist zwar alles falsch und längst dementiert, bleibt aber in der Welt.

Ebenso verhält es sich mit dem langjährigen Wiesn-Stadtrat Hermann Memmel (SPD). Noch heute wird immer wieder kolportiert, der selbstständige Versicherungskaufmann Memmel habe einen Standplatz auf der Wiesn gern mit der Wahl der richtigen Police in Verbindung gebracht. Einen Hauch von Beweis hat freilich keiner der Kolporteure. Es ist halt so, dass man jemanden kennt, der jemanden bei der Stadt kennt, und dann kennt man sich ja aus.

Freilich, handfeste Skandale rund um die Wiesn gab es tatsächlich immer wieder mal. Im Herbst 1955 zum Beispiel, im damaligen Wirtschaftsreferat der Stadtverwaltung, das auch für das Oktoberfest zuständig war. Der damalige Referent Karl Eckhardt (SPD) durfte die Konzessionen an Festwirte und Schausteller vergeben. Dann aber kam heraus, dass er seit 1949 regelmäßig von den Wiesnwirten an Weihnachten mit Geld, Gänsen und Wein beschenkt worden war.

"Außerdem wurden ihm gewisse verwandtschaftliche Interessen nachgesagt", schreibt Karl Stankiewitz in seinem "Weißblauen Schwarzbuch": "So soll er als siebte Bierhalle das Hofbräuzelt zugelassen haben, dessen Pächterin die Schwiegermutter seines Sohnes war, der wiederum selbst beteiligt war, während sein Schwiegervater eine Hühnerbraterei beträchtlich erweitern konnte." Wirtschaftsreferent Eckhardt gab die Geschenke zu, hatte sie aber regelmäßig an seine Angestellten weitergegeben. Von Bestechung könne man deshalb nicht reden. Damit war die Sache erledigt, man speicherte das damals noch unter dem Titel: "Hund sans scho!" ab, und Eckhardt blieb auch nach der Stadtratswahl 1956 im Amt.

So etwas wäre heute nicht mehr vorstellbar. Der Einfluss der jeweiligen Wiesnverantwortlichen ist stark eingeschränkt durch einen ausgefeilten Punktekatalog, nach dem die Konzessionen vergeben werden. Der lässt zwar Spielräume zu, aber die sind eng, verglichen mit der Machtfülle eines Referenten der Fünfzigerjahre.

Es ist also kaum zu erklären, warum es um den viel unbedeutenderen Job des Verwaltungsbeirats so ein Hauen und Stechen gibt. Die Rathaus-CSU sah sich aufgrund des großen Interesses gar gezwungen, überraschend ein Projekt aus den Anfangstagen der Grünen aufzugreifen, über das sie sich früher nur lustig machte: das Rotationsprinzip. Denn der jetzt eigentlich bis 2020 gewählte Wiesn-Stadtrat Otto Seidl soll nach zwei Jahren sein Amt wieder abgeben, an Manuel Pretzl, der bis dahin Fraktionsvorsitzender der CSU sein soll. So jedenfalls der Plan. Münchens CSU, unterwegs zur neuen Spontipartei? Die Wiesn macht eben viele Dinge möglich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: