Stadtrat:Ohnmächtige Anwälte der Bürger

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  • Die Bezirksausschüsse der Stadt München nennt man auch die "Stadtteilparlamente". Sie wissen genau über die jeweilige Situation im Viertel Bescheid.
  • Recht viel entscheiden dürfen die Vertreter aber nicht. Sie haben dafür umso mehr Pflichten. Es gibt Klagen, dass die Fraktionen im Stadtrat den Ausschüssen kaum zuhören.
  • Die Ausschüsse wollen daran etwas ändern und verlangt von der Stadt, in bestimmten Angelegenheiten eigenmächtig entscheiden zu dürfen.

Von Renate Winkler-Schlang

Wohin mit dem neuen Glascontainer? Wann endlich kommt ein Denkmal auf dem Sinti- und Roma-Platz? Sibylle Stöhr sagt, sie hätte das eine längst geregelt, das andere beherzt auf den Weg gebracht, die Stadt aber komme einfach nicht zu Potte. Stöhr (Grüne) ist die Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA) Schwanthalerhöhe. Die Mitglieder leben im Viertel, wissen, wovon sie reden. Sie haben jede Menge Pflichten - doch wenig zu sagen. Clemens Baumgärtner (CSU), Vorsitzender des Bezirksausschusses Untergiesing-Harlaching, kennt diese Momente der Ohnmacht - etwa, wenn die Sportfreunde Säbener Straße sich vergeblich auf dem Rasen des Theodolindengymnasiums Licht wünschen: "Könnte ich, hätte ich es längst in die Wege geleitet, und ich hätte dabei gegen kein Gesetz verstoßen", sagt der Jurist.

Und Robert Kulzer (SPD), Chef in Berg am Laim, will ein neues Konzept für das Gewerbegebiet Neumarkter Straße, im Referat für Arbeit und Wirtschaft, sagt er, rede er gegen eine Wand. Mehr als reden und Anträge stellen kann er nicht...

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Seit vielen Wochen nun wabert eine Welle von Tagesordnungspunkten durch die Gremien mit der Überschrift "Kompetenz vor Ort anerkennen und wertschätzen - den Bezirksausschüssen mehr Entscheidungsrechte übertragen". Ihren Ausgangspunkt hat diese Flut in Ramersdorf-Perlach; dort hatte die SPD in der Satzung Punkt für Punkt herausgefieselt, wo mehr drin sein müsste. Direkt entscheiden will man etwa über Fußgängerunterführungen oder Kindertagesstätten, die Förderung von Vereinen, die Lage der Wahllokale; wenigstens angehört werden will man beim Verkauf oder Tausch städtischer Flächen im Viertel.

Das Direktorium der Stadt hat diese Liste in 28 Forderungen zerlegt, zu jedem Punkt erst das Bau-, Bildungs- oder Planungsreferat eine Empfehlung schreiben lassen und dann alle 24 anderen Bezirksausschüsse "angehört". Monatelang ging das hin und her, manches Gremium stöhnte schon. Inzwischen hat Ramersdorf-Perlach zwölf der Einzelanträge zurückgezogen. Von den anderen entstanden mit all den Kommentaren von allen anderen schnell mal Papierpacken von 40 Seiten für die Satzungskommission. Der erste Schwung hat bereits den Stadtrat passiert - und ein wenig hat sich getan: Bei den in der ersten Tranche schon beschlossenen Punkten ist wohl am bedeutsamsten der mit dem sperrigen Titel "Sämtliche Vorlagen an die Stadtratsausschüsse oder an das Plenum, soweit offene Planung beschlossen ist".

Allerdings werden die Bürgergremien auch in diesen Fällen künftig nur angehört. Immerhin eine Kompetenz-Mehrung, denn bisher werden sie bloß unterrichtet. Hie und da wird es wohl eine weitere neue, kleine Verantwortung für die Gremien geben, wenn der Stadtrat die nächste Tranche abgesegnet hat: Die aus Mitgliedern des Stadtrates und der Bezirksausschüsse zusammengesetzte Satzungskommission tagt am 24. Januar. Auf manche der geforderten neuen Rechte haben auch die anderen Gremien gerne verzichtet: Sie haben etwa eingesehen, dass es reicht, über neue Wegweisertafeln auch weiter nur unterrichtet zu werden. Eine Frage des Aufwandes.

Der Vorstoß der Perlacher aber hat die Politiker zwischen Allach und Zamdorf wieder sensibilisiert, die Debatte generell darüber entfacht, ob man so gießkannenartig in Mini-Schritten weiterpuzzeln möchte. Die wachsende Stadt brauche vielleicht ganz andere Strukturen. In der SPD befasst sich eine von Kulzer geleitete Arbeitsgruppe mit einer möglichen BA-Reform. Derzeit werden die 50 Rückmeldungen ausgewertet, die auf eine Umfrage unter BA-Genossen gekommen sind; in Kürze soll das Ergebnis im Parteivorstand diskutiert werden, dann mit der Stadtspitze.

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Baumgärtner, Vorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung der CSU, denkt ebenfalls in Richtung Reform, die bisherige Rechte-Erweiterung sei stets nur "in homöopathischen Dosen" erfolgt, kritisiert er. Leider seien viele BA-Mitglieder ob der ganzen Placebos müde geworden, verlören sich im "Kleinklein". Er selbst wünscht sich mehr Kompetenzen in Verkehrsfragen, aber auch im Sozialen.

Schließlich, sagt Baumgärtner genau wie Stöhr, werde ein Vorsitzender im Viertel oft wahrgenommen wie draußen in einer Gemeinde der Bürgermeister - die Stadtverwaltung aber besinne sich vor allem dann auf die BAs, wenn zwei Referate uneins seien: "Dann schieben sie uns den Schwarzen Peter zu", sagt Stöhr. Auch der Stadtrat nehme ein Bezirksausschuss-Votum meist nur ernst, wenn es ihm in den Kram passe, sagt etwa Georg Kronawitter (CSU) aus Trudering-Riem, langjähriger erfolgloser Kämpfer vor allem für das Recht, jegliche Art von Straßen benennen und Gedenktafeln anbringen zu dürfen.

Er empfindet die Kluft zum Stadtrat "wie eine Horizontalsperre". Nehme ein BA-Vorsitzender sein Rederecht im Stadtrat wahr, treffe er auf Fraktionen, die alles intern vorbesprochen haben und dann auch dabei bleiben wollen. Auch Astrid Schweizer, SPD-Fraktionsvorsitzende in Ramersdorf-Perlach, dem größten Bezirk mit mehr als 100 000 Einwohnern, pflichtet bei: "Uns fehlt die Anerkennung. Wären wir eine selbständige Stadt, hätten wir einen eigenen Oberbürgermeister."

Stichwort Oberbürgermeister: Dieter Reiter (SPD) hatte im Wahlkampf versprochen, die Bezirksausschüsse zu achten und zu stärken. Doch auch er gibt Rechte, die er delegieren dürfte, nur aus der Hand, wenn ein konkreter Anlass auftaucht - zuletzt, dass BAs selbst Spenden bis 10 000 Euro für ihr Budget oder ihre Veranstaltungen entgegennehmen dürfen. Michael Schlachter, Leiter der BA-Abteilung im Direktorium der Stadtverwaltung, sieht das alles nicht so pessimistisch.

Er verweist auf den "durchaus umfangreichen Katalog bestehender Rechte" und darauf, dass dieser sich dynamisch ändere, denn immer wieder kommen neue Anträge. Etwa auf Anhörungsrecht in Oktoberfest-Angelegenheiten für die Ludwigsvorstadt oder zuletzt aus Trudering-Riem der Antrag auf Anhörung bei "Wohnen für Alle"-Projekten. Doch meist sind es eben nur Anhörungs- und Unterrichtungsrechte, die gewährt werden. Das letzte Wort hat ein Bezirksausschuss selten. Dabei erweist sich oft im Nachhinein, wie recht er gehabt hätte - so haben etwa die Truderinger lange vor der Stadt erkannt, dass die kinderreiche Messestadt dringend weiterführende Schulen braucht.

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Manchen Mitgliedern aber ist, genau wie beim wohl gescheiterten großen Wurf zum Bürgerhaushalt, der Preis für neue Rechte zu hoch, denn: Sie auszuüben, ist Arbeit. Zunehmendes Problem sei die hohe Belastung der ehrenamtlichen "Feierabendparlamente", sagen Kulzer, Stöhr, Baumgärtner und Schweizer unisono. Man wolle nicht nur Rentner im Gremium, junge Leute aber hätten wenig Zeit. Also müsse man über eine Stärkung der Geschäftsstellen mit Personal reden, auch über Durchgriffsrechte auf andere Referate. Schlachter kontert, der Stadtrat habe Assistenten-Stellen für die Geschäftsstellen genehmigt.

Verantwortung, das hat etwa die Bogenhauser Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) erkannt, ist sinnlos ohne Macht über Mittel. Kürzlich sprach sie sich gegen das Recht aus, öffentliche Toiletten einrichten lassen können: Was, wenn die Stadt Geld für insgesamt 20 solcher Adressen hat, jeder Bezirksausschuss allein in seinem Umgriff aber 20 sinnvolle Standorte nennen könnte? Man müsse die richtigen Schritte in der richtigen Reihenfolge gehen, sagte Pilz-Strasser. Man sieht: Das Thema ist äußerst komplex.

Entscheidend ist immer die Frage nach der Definition von Stadtteilbezug: Bezirksausschüsse dürfen über Bauprojekte bis zu einer Million Euro Investitionsvolumen entscheiden. Auch über eine Radwegverlängerung - auf Druck der Verwaltung aber nur noch, wenn der Radweg "keine überörtliche Bedeutung" hat. Der konkrete Fall, den Sibylle Stöhr schildert, betrifft die Landsberger Straße. Dabei habe sich der vom BA Schwanthalerhöhe bestellte Ausbau am Ende zum Segen für alle erwiesen, freut sie sich.

Aber was wäre, wenn München nach Berliner Vorbild echte Bezirksrathäuser bekäme? So weit wollen offenbar alle nicht denken. "Das wäre ein Schritt zu viel", sagt Baumgärtner. Man bräuchte eine zweistufige Verwaltung und dafür viel weniger, viel größere Bezirke mit wenigstens jeweils 300 000 Einwohnern, sagt Kronawitter: "Das würde ich mir dreimal überlegen." Da besinnt man sich lieber auf die reichlich informellen und "diplomatischen" Einflussmöglichkeiten, die man über Medien, Stadträte der eigenen Partei oder des eigenen Viertels und in der Zusammenarbeit mit aktiven Bürgern hat.

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Mancher, der am U-Bahnhof "Oberwiesenfeld" das schwarz-weiße Wandmuster sieht, erinnert sich vielleicht noch daran, wie der Bezirksausschuss Milbertshofen-Am Hart dort die Verwirklichung des erstplatzierten Entwurfes mit den düsteren Ameisen-Paraden des Wiener Künstlers Peter Kogler verhindert hat. Es hatte damals ein Dilemma gegeben: Dem BA stand laut Satzung die abschließende Entscheidung zu, gleichzeitig hatte der Stadtrat auch der Kunstkommission die Entscheidungsbefugnis übertragen - das lokale Gremium konnte sich durchsetzen.

Kulzer ist zudem sicher, dass gute Ideen auch die Stadtverwaltung früher oder später überzeugen. Kürzlich etwa verzichtete die Stadt nach massivem Protest aus Ramersdorf-Perlach auf die geplante Bebauung grüner Innenhöfe an der Ständlerstraße. "Die Arbeit rentiert sich schon", sagt Astrid Schweizer, "ich bin jetzt seit 14 Jahren dabei. Wenn ich gar nichts hätte bewirken können, hätt' ich doch längst aufgehört."

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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