Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in der Funkkaserne:"Dort herrschen Bedingungen, dass es der Sau graust"

  • Aus der Funkkaserne wurde in der Vergangenheit von untragbaren Zuständen für die Bewohner berichtet.
  • Die dort lebenden Flüchtlinge protestierten. Es kam zu Einsätzen der Polizei.
  • Im Münchner Stadtrat diskutieren die Fraktionen nun, wie sie auf die Zustände in der Funkkaserne reagieren können.

Von Thomas Anlauf

Maria Els steigt aus ihrer schwarzen Limousine, das schiefe Metalltor zur Flüchtlingsunterkunft am Frankfurter Ring ist noch mit einer Kette verriegelt. Die Regierungspräsidentin will sich an diesem Freitagmittag ein Bild machen von den Zuständen in der Funkkaserne, die von der Regierung von Oberbayern geführt wird. "Ich möchte es mir erst mal anschauen", sagt die Juristin. Sie sei "in besonderer Weise darauf aufmerksam gemacht worden", dass es Probleme mit den Räumlichkeiten in der sogenannten "Anker-Dependance" im Münchner Norden gebe. Das Tor öffnet sich, Els steigt wieder in ihren Dienstwagen und verschwindet in der abgeriegelten ehemaligen Kaserne.

Die Süddeutsche Zeitung hatte berichtet, dass in der Flüchtlingsunterkunft derzeit in neun Zimmern 18 Familien mit Kindern leben müssen. Insgesamt hausen dort etwa 230 Geflüchtete zum Teil auf engstem Raum, darunter mehr als 80 Kinder. Für diese gibt es kaum Spielmöglichkeiten, viele Eltern sind traumatisiert. Die Bewohner müssen oftmals deutlich mehr als ein Jahr in der Baracke verbringen. Eigentlich sollten Geflüchtete, seit die Staatsregierung die Massenunterkünfte im vergangenen Jahr eingeführt hat, möglichst schnell wieder aus diesen Sammellagern in normale Unterkünfte kommen - oder aus Deutschland abgeschoben werden. In der Funkkaserne leben zum großen Teil Menschen aus Nigeria, darunter viele Christen, die in ihrer Heimat verfolgt werden. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Berichten des christlichen Hilfswerks "Open Doors" in Nigeria Hunderte Christen ermordet.

Im Münchner Stadtrat diskutieren die Fraktionen nun, wie sie auf die Zustände in der Funkkaserne reagieren können. Die SPD will am Montag in ihrer Fraktionssitzung über einen Dringlichkeitsantrag beraten. "Die ,Ankerzentren' sind eine völlige Verfehlung der Flüchtlingspolitik", sagt der sozialpolitische Sprecher der SPD, Christian Müller. In der Funkkaserne leben "relativ viele Kinder, die dort auch auf die Welt gekommen sind. Dort herrschen Bedingungen, dass es der Sau graust." Die SPD habe bereits intern das Sozialreferat gebeten, sich in der Unterkunft "ganz deutlich um den Kinderschutz zu kümmern". Das Sozialreferat bestätigt, dass sich Stadtdirektor Sebastian Groth, Stellvertreter von Sozialreferentin Dorothee Schiwy, nun auch ein Bild von der Lage in dem "Ankerzentrum" machen will. Vor kurzem haben sogar die Gewerkschaftsvertreter im Sozialreferat Alarm geschlagen. Sie fordern "eine klare Haltung des Sozialreferats München zum uneingeschränkten Jugendhilfezugang für begleitete minderjährige Flüchtlinge".

Einfachen Zutritt zu dem "Ankerzentrum" haben weder Stadträte noch Mitarbeiter des Sozialreferats. Dominik Krause, stellvertretender Fraktionschef der Grünen, spricht von "unhaltbaren Zuständen". Die Stadt habe "keinen Zugriff" auf die Menschen dort. "Es fehlt an Jugendhilfe". Er halte "Ankerzentren" für "menschenverachtend", sagt Krause. Auch Linken-Stadträtin Brigitte Wolf erklärt: "Wir können nicht einfach zuschauen, was da passiert." Es gehe auch um das Kindeswohl, "dafür ist die Stadt auf jeden Fall zuständig". Am Freitag berieten SPD, Grüne und Linke über einen interfraktionellen Dringlichkeitsantrag, um einen besseren Einblick in die Zustände zu bekommen.

Erst am vergangenen Montag musste die Polizei anrücken

Die Regierung hat immerhin angekündigt, nun einen Spiel- und Aufenthaltsraum in der Unterkunft einzurichten. Bislang mussten Kinder zum Spielen und zur Sozialbetreuung mit einem Shuttlebus in das Familyhouse in der Bayernkaserne gebracht werden. Doch von den etwa 80 Kindern können nur etwa zehn das Angebot nutzen. In der Funkkaserne werden die Geflüchteten von Mitarbeitern der Inneren Mission betreut. Es gibt ein gewisses Hilfsangebot, das von der Regierung und dem Sozialreferat finanziert wird. Doch das reicht nach Ansicht von Andrea Betz, die bei der Inneren Mission für Flüchtlinge, Migration und Integration zuständig ist, bei Weitem nicht aus. "Wir sind im Gespräch mit der Regierung von Oberbayern. Aus unserer Sicht gibt es jetzt einige konkrete Maßnahmen, die umgesetzt werden müssen, um die Situation vor Ort zu stabilisieren", sagt Betz. Menschen, die dort untergebracht sind, protestieren immer wieder gegen die Zustände dort. Erst am vergangenen Montag musste die Polizei anrücken, um die Lage zu beruhigen.

Unterdessen plant die Regierung von Oberbayern, eine weitere Dependance der umstrittenen "Ankerzentren" am Moosfeld zu eröffnen. Mehr will die Regierung noch nicht sagen.

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SZ vom 16.03.2019/smb
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