Stadtpolitik:Sparen auf münchnerisch

Lesezeit: 4 min

Der Unterhalt für kreiseigene Infrastruktur kostet immer mehr Geld. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Die Gesamtausgaben der Stadt sollen sich 2017 auf 7,2 Milliarden Euro belaufen, bis 2020 sollen weitere 6,1 Milliarden in verschiedene Investitionen fließen.
  • Im Vergleich mit anderen Großstädten hat München eine sehr geringe pro-Kopf-Verschuldung von 498 Euro.
  • Dennoch gibt es in manchen Bereichen Nachholbedarf: So könnten mehr Gelder in den öffentlichen Nahverkehr oder marode Schulgebäude gesteckt werden, anstatt die Etats für immer mehr zusätzliches Personal auszugeben.

Von Heiner Effern

Eine Milliarde auf dem Girokonto, wer träumt nicht davon. Diese Milliarde in nur drei Jahren ausgeben, was für ein Rausch. Und dann gleich noch einmal eineinhalb Milliarden Schulden aufnehmen. Dreht hier jemand durch? Dreht diese Stadt durch?

Nicht nur das Schicksal der schwindsüchtigen Milliarde vom Girokonto des Kämmerers lässt viele Bürger ratlos zurück. Die Finanzen einer Kommune sind so schwer zu durchblicken wie das Unterholz im kongolesischen Regenwald. Viele verschiedene Posten, Zwänge und komplizierte Rechnungen im Haushalt provozieren die Frage: Versteht das städtische Milliarden-Spiel jemand außer dem Kämmerer und den 81 Menschen im Rathaussaal, die Ausgaben und Investitionen beschließen?

In diesen Tagen purzeln jedenfalls die Millionen und Milliarden wieder einmal so durcheinander, dass dem gewöhnlichen 20-Euro-Tanker der Kopf schwirrt. Die Gesamt-Ausgaben der Stadt zum Beispiel sollen sich im Jahr 2017 auf 7,2 Milliarden Euro belaufen, so steht es im gerade vorgestellten Haushaltsplan. Daneben gibt es einen Überblick von Investitionen, welche die Stadt bis 2020 schon beschlossen hat: 6,1 Milliarden. Darüber hinaus existiert eine Liste mit Vorhaben, die bis 2030 gewünscht sind. Weit mehr als elf Milliarden.

Stadtpolitik in München
:Was sich München leisten muss - und leisten will

45 neue Schulen, die Sanierung des Gasteig, eine Express-S-Bahn zum Flughafen - ein Überblick über die größten Investitionsvorhaben der Stadt.

Ein Blick auf andere Großstädte zeigt: Diese Stadt ist jedenfalls im Moment tatsächlich wohlhabend bis reich. Die Schulden sind so niedrig wie zuletzt 1982, auf jeden Bürger kommen 498 Euro. In Frankfurt sind es 2250 Euro, in Essen sogar 6390 Euro. Von einer Milliarde auf dem Girokonto dürften beide Städte nur träumen. Ebenso von der halben Milliarde auf dem Sparkonto, die auch bald aufgebraucht sein wird. Wenn es im Rathaus heißt, das Geld wird knapp, droht bisher nur eine besondere Münchner Variante des Sparens: Es wird nichts gestrichen, es dürfen nur die Ausgaben nicht mehr ganz so rasant wachsen wie in den Vorjahren.

Diese Einsicht teilen wohl die meisten der 80 Stadträte und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Damit aus dieser geteilten Einsicht auch Ideen kommen, wo die Ausgaben am vernünftigsten gebremst werden könnten, bat Reiter alle Fraktionen und Gruppen zu mehreren Treffen. Vergeblich, wie er am Dienstag in einer aufrüttelnden Haushaltsrede im Stadtrat bestätigte.

Das vorherrschende Prinzip bei diesen Sitzungen: Wer sich als erster bewegt, der verliert. Es blieb bei erwartbaren Anregungen, die Lieblingsprojekte des politischen Gegners zu streichen. Dabei wissen die Stadträte, dass längst nicht so viele Milliarden in der Kasse sind, wie sie geistig bereits ausgeben. Ein Wort macht nun die Runde, das den unersättlichen Politiker so erschauern lässt wie die Nulldiät den Vielfraß: Priorisierung.

Dabei geht es nur um das Überlegen, wie es jeder Münchner kennt: Was muss man sich leisten, um den Alltag hinzubekommen, auch in Zukunft? Was sollte man investieren, damit das Eigentum den Wert behält? Was wäre wünschenswert, kann man aber schieben oder im schlimmsten Fall streichen?

München
:Stadtratsbeschluss: 870 Millionen Euro für neue Wohnungen

Städtische Grundstücke sollen nur noch im Ausnahmefall an Investoren verkauft werden. Mehr als die Hälfte der Münchner könnte künftig ein Anrecht auf eine geförderte Wohnung haben.

Von Heiner Effern

Das Bündnis aus CSU und SPD hat bisher eine ganz eigene Form der Priorisierung entwickelt: Bis auf wenige Ausnahmen wird einfach alles beschlossen. Doch die heftige Reaktion des OB lässt darauf schließen, dass diese Wohlfühlphase zu Ende geht. Reiters Auftritt interpretieren Freunde und Gegner je nach Gusto. Für die einen hat ein kraftvoller Chef ein Machtwort gesprochen, für die anderen ist hier einer so verzweifelt, dass er zum öffentlichen Schlag ausholen muss, weil keine der Regierungsfraktionen auf ihn hört. Zu beobachten ist: Bei sehr vielen teuren Entscheidungen gibt es sehr wenige Gegenstimmen, meist auch aus der Opposition.

Die schwindenden Milliarden und die dringend nötigen Investitionen, um angesichts des immensen Wachstums immer mehr Münchnern eine funktionierende Stadt zu bieten, werden die Politiker nun also zwingen, ihre Wünsche und die der Verwaltung stärker zu hinterfragen.

Sehr bald wird der Reflex auf den Prüfstand kommen, auf jede neue Herausforderung mit neuen Stellen zu reagieren. 3184 zusätzliche beschloss der Stadtrat alleine 2015 und 2016. Kosten fürs Personal - mehr als zwei Milliarden sind 2017 geplant - sind auf Dauer so nicht mehr unter Kontrolle zu halten. Jedes Referat muss viel stärker prüfen, ob es seine Mitarbeiter optimal und effizient einsetzt. Dazu könnten etwa digitale Verfahren und Angebote nicht nur Kosten, sondern auch Arbeit sparen.

Die Gegenwart der Stadt spiegelt sich in den Etats der Referate, die Zukunft in den Investitionen. Auch dort gibt es Zwänge, und die liegen auch in der Milliarde auf dem Girokonto begründet. In den letzten Jahren unter dem damaligen Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hat das rot-grüne Bündnis eisern gespart, allerdings mit dem Ergebnis, dass manches Schulklo nicht nur aussah wie das WC einer Bahnhofskaschemme, sondern auch so roch.

Und die Toiletten stehen in den oft maroden Gebäuden als Beispiel fürs Ganze. Das kostet nun viel Geld, ebenso der Bau neuer, bezahlbarer Wohnungen. Der Nachholbedarf macht sich in beiden Bereichen bereits schmerzlich bemerkbar. Daneben gilt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs als unumstritten nötig.

Doch schon bei diesen Investitionen lässt sich, wie übrigens auch im Tagesgeschäft der Verwaltung, darüber diskutieren, ob überall die Münchner Perfektion der Maßstab sein muss. Die Stadt bietet ihren Bürgern am liebsten den Standard eines Fünf-Sterne-Hotels. Schon bei der Aussicht auf die Kategorie vier Sterne dreht sich manchem Verwaltungsmitarbeiter, Planer und Politiker der Magen um, dabei ließe es sich dort noch trefflich überleben.

Auch Vier-Sterne-Hoteliers bieten ihren Gästen nicht nur schöne Zimmer, sondern ein Unterhaltungsprogramm. Auf ein ansprechendes Kulturangebot kann und soll auch eine Kommune wie München nicht verzichten. Sie muss sogar aus Kalkül darauf achten, für alle Bürger und besonders auch für Angestellte der großen Unternehmen attraktiv zu bleiben, die mit ihren Gewerbesteuermillionen zu einem großen Teil die Stadt finanzieren. Allerdings muss auch die Kunst akzeptieren: Nicht jeder Wunsch wird sofort zu erfüllen sein.

Die Münchner Variante des Sparens mit einer abgespeckten Münchner Perfektion in Einklang zu bringen, darum wird es die kommenden Jahre gehen. Dazu kann eine wirtschaftlich gesunde Stadt auch Schulden aufnehmen, jedoch klug genutzt und nicht unbegrenzt. Das gilt umso mehr in Zeiten, in denen die Einnahmen so üppig sprudeln wie derzeit. Der Luxus, Milliarden ausgeben zu können, ist auch in München kein Naturgesetz. Das wird sich spätestens bei der nächsten Wirtschaftskrise zeigen. Dann wird nicht nur die Münchner Perfektion überholt sein, sondern auch die Münchner Variante des Sparens.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Digitale Revolution
:Smartphones, Notebooks und Tablets für die Stadt

München will seine IT komplett neu organisieren. Dazu gehört auch, die Mitarbeiter mit moderner Technik auszustatten - für etwa 20 Millionen Euro.

Von Heiner Effern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: