Stadtpolitik:Das sind die Stressfaktoren des Münchner Rathaus-Bündnisses

Blick auf München, 2013

24 Jahre lang hatte Rot-Grün unterm Rathausturm das Sagen, bei der Kommunalwahl 2014 wurde das Bündnis abgewählt.

(Foto: Veronica Laber)

Seit exakt zwei Jahren regieren CSU und SPD gemeinsam im Rathaus - mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Eine Zwischenbilanz.

Von Heiner Effern und Dominik Hutter

Ein Selbstläufer war das nicht gerade: Anfangs suchte der frisch gewählte Oberbürgermeister Dieter Reiter noch einen Juniorpartner für die seit 24 Jahren bestehende rot-grüne Koalition. Als das schiefging, begann ein erbittertes Hickhack um Schwarz-Rot-Grün. Am 13. Mai 2014 scheiterten auch diese Gespräche, nach einem letzten missglückten Rettungsversuch stimmten schließlich die Parteitage von CSU und SPD für ein Bündnis ohne Grün. Zwei Jahre ist das nun her, Zeit für ein Resümee und einen Ausblick samt Prognose des Stressfaktors. Denn die beiden Partner wirken derzeit so, als sei das Gemeinsame schon abgearbeitet.

Verkehr

Der Start verlief rasant: U 5 nach Pasing, eine U 9 durch die Innenstadt, Tunnel am Mittleren Ring, Nord-Süd-Querung der Altstadt, Radwege in der Rosenheimer Straße - plötzlich kam alles aufs Tapet, was unter Rot-Grün vor sich hin gedämmert hatte. Konkret passiert ist seitdem aber nicht viel, was zugegebenermaßen in der Verkehrsplanung eher die Regel ist.

Eine klare politische Linie ist nicht erkennbar, eher schon der Wille zum Kompromiss zwischen zwei Partnern mit unterschiedlicher Ausrichtung. Motto: Jeder kriegt ein bisschen was, Geld ist ja vorhanden. In der Debatte blieb selbst ein unrealistisches Projekt wie die neue U 26 im Norden - um des lieben Friedens willen.

Stressfaktor: Allmählich stehen die kontroversen Themen an, das Symbol dafür ist die von der CSU bekämpfte Tram-Westtangente. Es wird ungemütlich.

Wohnen

Eines der großen gemeinsamen Projekte von SPD und CSU. Das Ziel für die städtischen Bauvorhaben erhöhten sie auf ehrgeizige 10 000 Wohnungen im Jahr. Dafür diskutieren sie, Parkplätze und sogar das Trambahndepot zu überbauen. Standards stehen auf dem Prüfstand, die Verwaltung soll schnelleres Bauen ermöglichen. Erste Projekte sollen noch heuer stehen. Die Stadt geht zudem auf das Umland zu, das Wachstum wird nur gemeinsam zu meistern sein. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Zahl der Wohnungslosen zunimmt. Viele Mieter leben am Anschlag. Für eine Stadt, in die jährlich bis zu 30 000 Menschen ziehen, geht es in dieser Frage um die Zukunft.

Stressfaktor: Hohes Potenzial, Baublockaden möglich. Das Ziel eint CSU und SPD bisher, doch künftig wird wegen der knappen Flächen jeder große Neubau umkämpft sein. Die CSU wird massiven Druck ihrer klassischen Wähler aus den Gartenstädten bekommen.

Kliniken

Die finanzielle Schieflage des städtischen Klinikums bestimmt die Kommunalpolitik seit Herbst 2010 - seit dem Skandal um verunreinigte OP-Bestecke. Zwar waren sich CSU und SPD von Anfang an einig, dass die Krankenhäuser gerettet werden und in kommunaler Hand bleiben. Der Weg dorthin war jedoch umstritten. Exakt bis zu den Bündnisgesprächen vor zwei Jahren. Seitdem ist - mit wenigen Ausnahmen - Friede an der Klinik-Front, die CSU ist auf SPD-Linie eingeschwenkt.

Stressfaktor: Die schwierigste Phase im Sanierungsprozess steht noch bevor. Vor allem der Abbau fast jedes vierten Arbeitsplatzes wird Unruhe erzeugen, speziell im Verhältnis zu den Gewerkschaften. Im Rathaus-Bündnis sind jedoch keine ernsten Differenzen zu erwarten, bei diesem Thema harmonieren die beiden Partner.

Schulen

Die maroden Toiletten und damit ganz allgemein der bauliche Zustand der Schulen zählte im Wahlkampf zu den Lieblingsthemen der CSU. Tatsächlich hat sich das schwarz-rote Bündnis von Anfang an intensiv darum bemüht, die Defizite zu beseitigen. Ergebnis ist das laut Rathaus größte kommunalpolitische Schulbauprogramm in Deutschland. Neun Milliarden Euro sollen bis 2030 für Schulen ausgegeben werden, die Toiletten wurden innerhalb kürzester Zeit auf Vordermann gebracht.

Stressfaktor: Aus heutiger Sicht nahe null. Allerdings kann sich das ändern, sobald Probleme bei Einzelprojekten auftreten. Vieles wird von der neuen Bildungsreferentin Beatrix Zurek abhängen, die anders als ihr Vorgänger nicht aus der Verwaltung, sondern aus der Politik kommt.

Verwaltung

Die Verwaltungsreform, die sich das Rathaus auf die Fahnen geschrieben hat, kommt nicht recht voran, die eigens gegründete Arbeitsgruppe wurde fürs Thema Haushaltsloch zweckentfremdet. Welche Probleme die städtischen Referate haben, ist dem Rathausbündnis durchaus bewusst: Neben der Dauer der Verwaltungsprozesse geht es um die Schwierigkeit, in allen Bereichen genug Personal zu finden, dazu kommt das leidige Thema Computertechnik.

Die Münchner kriegen dies bei den Warteschlangen im Kreisverwaltungsreferat mit. Die Personalpolitik des Bündnisses ist von Pleiten, Pech und Pannen geprägt: Markus Hollemann durfte nicht Umweltreferent werden, Sozialreferentin Brigitte Meier musste gehen - diese beiden Vorfälle sorgen bis heute für Verstimmung zwischen den Partnern. Dazu kommt viel Wirbel um die geplante parteipolitische Proporzlösung an der Spitze der beiden Wohnungsbaugesellschaften.

Stressfaktor: Die Stadträte sind vermutlich gut beraten, jede friedliche Phase zum Durchatmen zu nutzen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass weiterer Ärger bevorsteht - bisher konnte ja nicht einmal die vertraglich fixierte Aufteilung der Referentenposten zwischen CSU und SPD Streitereien verhindern.

Der größte Stressfaktor: Die Finanzen

Finanzen

Die ersten eineinhalb Jahre ihres Zusammenlebens waren sich SPD und CSU einig: Das bisschen Haushalt ist doch kein Problem. Bis Kämmerer Ernst Wolowicz im vergangenen Oktober erklärte: Das Geld geht aus. Eine beachtliche Leistung, denn zum Start ihrer Regierung hatten SPD und CSU mehr als eine Milliarde auf dem Konto. Dazu verzeichnete die Stadt 2015 einen Rekord bei den Steuereinnahmen mit etwa 2,4 Milliarden Euro. Die Regierungspartner übten Ende 2015 also zwei Disziplinen, die sie in den kommenden Jahren beherrschen sollten: Streichen und Sparen. Trotzdem werden neue Schulden nicht zu vermeiden sein.

Stressfaktor: Rekordverdächtig wie die Steuereinnahmen. Bisher deckte Geld alle Widersprüche zu. Streit ums Geld und um Großprojekte ist programmiert.

Kultur

Musik, Museen, Oper und Theater blühen in München, daran änderte sich im Positiven wie im Negativen in den vergangenen beiden Jahren kaum etwas. Eher verwelkt kommen allerdings die Bauten daher, in denen die Hochkultur austreiben soll. Deshalb beriet der Stadtrat (und der Freistaat, der in München einen neuen Konzertsaal hochziehen soll) eifrig über Sanierungen und Neubauten: Gewünscht sind neben der neuen Heimat für die klassische Musik ein neues Volkstheater, ein neuer oder aufgehübschter Gasteig und eine Frischekur fürs Stadtmuseum. Die Subkultur spielte nur eine Nebenrolle. Noch musste sie aber nicht unter den teuren Bauplänen leiden.

Stressfaktor: Dezente Disharmonien sind abzusehen, mehr nicht. Beide Seiten wissen, dass das Geld nicht für alle Baupläne reichen wird. Auch wenn es beim Streichen mal rumpeln könnte, die Kultur wird die Koalition nicht aus dem Takt bringen.

Soziales

Eine niemals für möglich gehaltene Zahl von Flüchtlingen kam an, die mit einer kaum für möglich gehaltenen Begeisterung empfangen wurden. Auch wenn sich OB Reiter und Bürgermeister Josef Schmid (CSU) zwischendrin angifteten, die Flüchtlinge wurden nach anfänglichen Schwierigkeiten bestens versorgt. Keine einzige Turnhalle musste als Notquartier herhalten. Die sich gewogenen Sozialexperten im Stadtrat bilden ein wichtiges Bindeglied des Bündnisses. Trotzdem entzündete sich an der Sozialpolitik mit die größte Krise der Legislaturperiode. Die CSU weigerte sich, Sozialreferentin Meier wegen Schlampereien bei der Abrechnung von Flüchtlingskosten wiederzuwählen.

Stressfaktor: Undurchsichtig. Die SPD hat der CSU den erzwungenen Meier-Abgang nicht verziehen. Solange die Zahl der Flüchtlinge nicht wieder drastisch zunimmt, dürfte es aber ruhig bleiben.

Umwelt

Steht auch als politischer Punkt im Regierungsvertrag. Herhalten müssen dafür die Stadtwerke, die zwischen dem Münchner Norden und Norwegen in alternative Energien investieren. Allerdings verbrennen sie in einem Heizkraftwerk so viel Steinkohle, dass die ÖDP ein Bürgerbegehren gestartet hat, die Anlage vorzeitig abzuschalten. SPD und CSU ignorieren die Initiative in großer Einigkeit. Im Übrigen glaubt die CSU, durch das Protegieren von Elektro-Autos eine Umweltpartei zu sein. Die SPD wiederum glaubt offenbar, dass ihr immer noch die Grünen diesen Teil der Regierungsarbeit abnehmen.

Stressfaktor: Mäßig. Für einen Zwist interessiert beide das Thema zu wenig.

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