Stadtplanung:Warum sich München schnell ändern muss

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Wie sieht München in 20 Jahren aus? Wissenschaftler haben verschiedene Szenarien aufgezeigt.

(Foto: Dennis Schmidt)
  • Im Auftrag des Planungsreferats haben Wissenschaftler drei Szenarien für München im Jahr 2040 entwickelt.
  • Aus dieser und anderen Zukunftsstudien versucht die Stadt abzuleiten, wie sich die Entwicklung steuern lässt.
  • Von der Theorie zur Praxis aber ist es ein langer Weg - denn oft gibt es zu viele Bedenken.

Von Thomas Anlauf

Ein paar Radler-Symbole auf die Fahrspur pinseln, Tempo-30-Schilder dazu und schon funktioniert's mit dem gemeinsamen Auto- und Radverkehr auf der Rosenheimer Straße. Einfach mal machen statt Machbarkeitsstudien erstellen. Oder so: Blumenkübel auf die Straße, Kontrollen für diejenigen, die partout keine Verkehrsschilder lesen können - und fertig ist die neue Fußgängerzone in der Sendlinger Straße. Geht doch!

Andererseits: Der Entscheidung, die Rosenheimer Straße zu entschleunigen und für Radler weniger gefährlich zu gestalten, ging eine mehrjährige, in manchen Zügen schon groteske politische Debatte voran. Es wurden Gutachten erstellt und wieder verworfen, mal sollten Dutzende Bäume gefällt, mal sollte der Gehweg verschmälert werden, damit ja der Autoverkehr weiter fließt. Geht's noch?

Gerade das ist das Dilemma der Stadtplanung. Viele Beteiligte und Betroffene diskutieren mit, was einerseits gut ist. Die Zeiten, in denen über die Köpfe der Münchner hinweg entschieden wurde, gehen zu Ende. Doch in den Stadtratsdebatten schwingt oft die Angst vor dem Wähler mit, in den Gängen der Referate die Furcht vor dem Wutbürger. Weniger Autoverkehr will jeder, aber weniger Parkplätze vor der Haustür kaum einer. Visionäre Vorschläge von Stadtbaurätin Elisabeth Merk, wie der Verkehr der Zukunft aussehen könnte, stoßen zumindest in großen Teilen des Stadtrats auf Zustimmung.

Wenn Mitarbeiter des Planungsreferats in einer Einwohnerversammlung aber dann diese Ideen vorstellen, müssen sie sich oft auf Buhrufe und Beschimpfungen einstellen. In den Referaten werden deshalb lieber zu viele und zu akribische Gutachten und Machbarkeitsstudien erstellt, um ja nichts bei einem der Protagonisten falsch zu machen. Viel zu oft geht dann lange Zeit doch nichts weiter, zum Beispiel beim Klenzesteg über die Isar. Längst ist er beschlossen - nach drei Jahrzehnten der Diskussion. Doch die Fuß- und Radwegbrücke existiert bislang weiter nur auf dem Papier.

Es liegt nicht einmal am fehlenden Willen von Verwaltungsmitarbeitern, dass in München oftmals Veränderungen nur schleppend vorankommen. Es ist eine gefährliche Melange aus Bürokratie und den Bedenken vor möglichen Bedenken. Denn Visionen sind durchaus da, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte.

Vorreiter bei der Stadtentwicklung

München gilt bundesweit als einer der Vorreiter, was strukturierte Stadtentwicklung angeht. Seit 1998 gibt es das Stadtentwicklungskonzept "Perspektive München", das mittlerweile mehrmals fortgeschrieben worden ist. Eine vom Planungsreferat in Auftrag gegebene Studie, die vom Fraunhofer-Institut erstellt wurde und derzeit in der Verwaltung und im Stadtrat diskutiert wird, ist dabei Teil des Zukunftspakets.

"München muss aufgrund seiner besonderen Situation früher als andere deutsche Städte neue Lösungen entwickeln und weiterdenken", sagt Bernd Bienzeisler, Projektleiter der "Zukunftsschau 2040+", die vergangene Woche öffentlich vorgestellt und mit Experten diskutiert wurde. Schließlich ist München die größte Kommune Deutschlands (sie ist im Gegensatz zu Hamburg und Berlin kein Stadtstaat). Der Siedlungsdruck ist größer als sonstwo im Land. Andererseits hat die Stadt kaum noch Flächen, die sie für Wohnungen, Gewerbe oder Freiflächen nutzen kann. Der Druck ist also groß, dennoch sei es "nicht selbstverständlich, dass München so ein ausgereiftes Stadtentwicklungskonzept hat", findet der Wissenschaftler.

"Keine Grenze beim Zulauf nach München"

Aber genügt ein solches Papier für die großen Herausforderungen, vor denen München jetzt steht? Der ohnehin dichte Verkehr nimmt weiter zu, gleichzeitig zeigt die alarmierende Studie der Staatsregierung zur Stickoxidbelastung, dass der Individualverkehr eigentlich massiv reduziert werden müsste. Die Mieten erreichen Jahr für Jahr neue Rekordzahlen, dabei stehen Tausende Menschen auf der Straße - die Zahl der akut Wohnungslosen hat sich seit 2008 von 2466 Menschen auf mehr als 7200 erhöht und damit fast verdreifacht.

Bis 2030 werden voraussichtlich mehr als 1,8 Millionen Menschen in München leben, fünf Jahre später sollen es nach Prognosen des Planungsreferats schon 1,85 Millionen sein - 300 000 Menschen mehr als heute. Oberbürgermeister Dieter Reiter hatte Anfang Mai betont, er sehe "keine Grenze beim Zulauf nach München". Deshalb will der SPD-Politiker nun auch einen Zukunftsrat einrichten, denn "wir müssen weit über das hinaus denken, was wir uns in München gerade vorstellen können", so Reiter. Das Gremium könnte aus allen Schichten der Gesellschaft zusammengesetzt sein, es soll Ideen entwickeln, wie München die Zukunft bewältigen kann.

Dafür gibt es eigentlich schon heute viel Personal in der Verwaltung - im Planungsreferat natürlich, aber auch im Sozial- und dem Umweltreferat sowie dem Referat für Arbeit und Wirtschaft. Dort werden zum Beispiel seit einiger Zeit neue Wege gesucht, Start-up-Unternehmen nach München zu locken und ihnen hier gute Arbeitsgrundlagen zu geben. Gemeinsam mit der TU München soll etwa im Kreativquartier das "Munich Urban Colab" entstehen, das Start-ups, etablierten Unternehmen und Wissenschaftlern Raum gibt, um gemeinsam an Innovationen zu arbeiten.

"Die Stadt soll sich als Living Lab begreifen, wo man etwas ausprobieren kann", sagt Gunda Opitz, die an der TU den Aufbau von wachstumsorientierten Start-ups unterstützt. Vor wenigen Tagen habe der Stadtrat beschlossen, einen Innovationswettbewerb auszurufen, sagt Kurt Kapp, stellvertretender Leiter des Wirtschaftsreferats. Darin sollen Ideen entwickelt werden, wie die Münchner Probleme der Gegenwart und der Zukunft gelöst werden könnten.

In Freiham wiederum entsteht derzeit so eine Art Stadt der Zukunft, zumindest in Ansätzen. Die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG versucht dort spezielle Car-Sharing-Konzepte und sogar sogenannte Sharing-Boxen sollen dort mal stehen, in denen Nachbarn Haushaltsgeräte wie Bohrmaschinen gemeinsam nutzen können. Der neue Stadtteil im Münchner Westen soll ein urbanes Gebiet werden mit innovativen Energiekonzepten, mit Bildungscampus und vielen Grünflächen. Doch schon jetzt sind sich wieder einmal die verschiedenen Protagonisten nicht einig, wie die Verkehrsfragen gelöst werden können. Trambahn oder U-Bahn? Wie sieht es mit der Straßenanbindung aus? Es ist ein Modellgebiet, aus dem München für die gesamte Stadt lernen kann.

Doch dazu gehört Mut. Gerade beim Verkehr, der sich so dringend ändern müsste, fehlt bislang der mutige Schritt. Zwar hat Oberbürgermeister Reiter kürzlich laut darüber nachgedacht, dass im Jahr 2030 vielleicht keine Autos mehr in die Innenstadt fahren dürfen. Doch ob die Fahrverbote kommen, ist völlig offen. Stadtbaurätin Elisabeth Merk hat ihre eigene Sicht dessen, wie man München planen müsste: "Wir sollten an bestimmten Stellen der Stadt radikaler und großzügiger sein, an anderen strenger." Bislang sieht es nicht danach aus, dass die Strenge die Autofahrer hart treffen wird.

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