Stadtplanung:Streit um Münchens Straßen und Plätze

Stadtplanung: Der Viktualienmarkt ist eigentlich Fußgängerzone. Trotzdem fahren hier Busse und in eine Richtung Taxis.

Der Viktualienmarkt ist eigentlich Fußgängerzone. Trotzdem fahren hier Busse und in eine Richtung Taxis.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Grünen wollen die Radler fördern, die SPD die Spaziergänger und die CSU hält weitgehend am Auto fest. Vielleicht würde ein Blick in die Schweiz helfen.

Von Thomas Anlauf

Mitten auf der gepflasterten Straße hat ein Kind das Spielfeld mit Kreide aufgemalt: Himmel und Hölle. Zwei Buben laufen die Straße entlang, ein Auto kommt ihnen entgegen und bleibt stehen, um die beiden durchzulassen. In der Haidhauser Preysingstraße, ganz hinten zwischen dem alten Kriechbaumhof und der Wirtschaft "Zum Kloster", geht es beschaulich zu.

Ein großes blaues Schild an der Straßeneinfahrt signalisiert, dass hier Kinder auf der Straße spielen dürfen. Seit 35 Jahren gibt es in Deutschland sogenannte verkehrsberuhigte Bereiche, im Volksmund auch Spielstraßen genannt. Eine Einrichtung, die sich bewährt hat. Anders als in Fußgängerzonen dürfen hier Autos fahren, wenn auch nur in Schrittgeschwindigkeit. Doch eine Spielstraße wie in Haidhausen funktioniert natürlich nur, wenn wenige Autos die Straße nutzen. Die Sendlinger Straße als Spielstraße wäre natürlich undenkbar. Dafür soll sie nun ganz für den Verkehr gesperrt werden, was bei einigen Anwohnern und Geschäftsleuten auf heftige Kritik stößt.

Die Stadt tut sich erstaunlich schwer damit, neue verkehrsberuhigte Bereiche auszuweisen. Außer der Sendlinger Straße und dem Marienplatz, wo künftig auch Radler nicht mehr fahren dürfen, gibt es derzeit keine offiziellen Pläne für Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigte Bereiche, wie das Planungsreferat mitteilt. Dabei wirbt ausgerechnet Stadtplanerin Elisabeth Merk seit geraumer Zeit dafür, deutlich mehr Raum für Fußgänger zu schaffen. Denn angesichts des rasanten Einwohnerwachstums - in 15 Jahren soll München fast 300 000 Bewohner mehr haben als die derzeit 1,5 Millionen Menschen - wächst auch der Bedarf an Aufenthaltsflächen. In den vergangenen Jahren ist es bereits merklich voller auf den Straßen und Plätzen der Stadt geworden.

Warum mehr Aufenthaltsflächen benötigt werden

Das liegt nicht nur an der steigenden Einwohnerzahl. Noch nie waren so viele Touristen in der Stadt wie in diesem Jahr, allein die Zahl der Übernachtungen in Hotels stieg um 5,4 Prozent auf 10,6 Millionen. Hinzu kommt, dass immer mehr Münchner das Auto stehen lassen. Oder sie haben gar keinen Pkw mehr.

Neue Freiflächen für Flaneure können aber nicht einfach herbeigezaubert werden. Es müssten Straßen umgewidmet werden - in klassische Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigte Bereiche. Nicht überall funktioniert das so gut wie am Weißenburger Platz und in der Weißenburger Straße. Dort sitzen schon morgens viele Menschen vor den Cafés, im Sommer ist abends vor den zwei italienischen Restaurants meist kein Platz mehr zu finden.

Zum Christkindlmarkt strömen derzeit schon mittags viele Haidhauser, um Freunde oder Kollegen zu treffen oder durch die Budengassen zu schlendern. Gleich um die Ecke bietet sich jedoch ein ganz anderes Bild: Die Steinstraße ist auf etwa 100 Metern zwischen Sedan- und Kellerstraße eigentlich eine Fußgängerzone, nur Trambahnen rumpeln dort regelmäßig vorbei. Doch die wenigen Fußgänger, die dort durch die dunkle Häuserschlucht laufen, gehen am Straßenrand, statt mitten auf der Fahrbahn zu flanieren. Aber warum?

Was München von der Schweiz lernen könnte

Bis heute werden Straßen von Stadtplanern oft als Durchgangsräume gesehen, die Aufenthaltsqualität scheint da zweitrangig zu sein. Eine Fußgängerzone oder ein verkehrsberuhigter Bereich wird aber nur von den Menschen gerne angenommen, wenn es dort entweder etwas Besonderes zu sehen gibt, etwa Auslagen in einer Fußgängerzone oder eine interessante Aussicht - das kann durchaus auch der Blick auf eine belebte Straße sein.

Wie leicht sich Verkehrstrassen in beliebte Aufenthaltsräume verwandeln lassen, zeigt das Beispiel Tal. Mit verhältnismäßig wenig Aufwand wurde die Straße zwischen Altem Rathaus und Isartor neu aufgeteilt, den Fußgängern deutlich mehr Platz eingeräumt. Auf Bänken ruhen sich nun gerne Touristen aus, die Straße wirkt nur noch wie eine schmale Furt, in der Autoverkehr zwar erlaubt, aber nur geduldet wird.

Trotzdem war der Umbau des Tals nur ein halbherziger Schritt: Statt der klaren Trennung zwischen Fahrbahn und Gehwegen hätte die Stadt hier einen Shared Space schaffen können - einen Raum, in dem sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt und nicht räumlich getrennt aufhalten können: Bus- und Autofahrer, Radler und Fußgänger. Um die Ecke am Viktualienmarkt wird das, zumindest zu bestimmten Tageszeiten, längst praktiziert.

Wie die Stadtpolitik reagiert

Fußgänger schlendern vom Petersplatz hinüber zum Markt, Radler nutzen die Strecke, um entweder schnell in Richtung Sonnenstraße oder Sendlinger Tor oder nach Norden in Richtung Odeonsplatz zu gelangen. Busse haben hier eine Haltestelle, und sogar Lieferfahrzeuge dürfen täglich bis 12.45 Uhr die Durchfahrt nutzen. Taxifahrer haben zwar einen Standplatz Richtung Norden, in die andere Richtung dürfen sie die Straße jedoch nicht mehr befahren. Seit einigen Monaten verbietet ihnen ein Schild die Passage in Richtung Rosental, zum Ärger der Taxler, die nun Umwege fahren müssen.

Anders als in der Schweiz, wo es seit 14 Jahren sogenannte Begegnungszonen gibt, die Fußgängern Vorrang vor dem Kfz-Verkehr einräumen, hat München in der Vergangenheit vor allem auf die Beschleunigung einzelner Verkehrsmittel gesetzt. In den Sechzigerjahren wurden Straßen wie die Ifflandstraße zu halben Autobahnen ausgebaut, um den Kfz-Verkehr zu fördern. Seit zehn Jahren werden die Linienbusse der MVG mit eigenen Busspuren beschleunigt. Und in jüngster Zeit entstehen auch Radtrassen auf der Fahrbahn.

Das führt bisweilen zu regelrechtem Chaos: Am Baldeplatz bei der Wittelsbacherbrücke kommen sich Autofahrer, Radler und Busfahrer oft gefährlich nah, weil viele auf das Recht ihrer Spur pochen. Auch in der Münchner Verkehrspolitik herrscht ein Neben- statt Miteinander: Die Grünen wollen die Radler fördern, die SPD die Fußgänger und die CSU hält weitgehend am Auto fest. Eine reine Fußgängerzone am neuen Hauptbahnhof lehnt sie kategorisch ab.

8 Fußgängerzonen

gibt es in München, in denen generell keine Radler fahren dürfen. Das sind der Marktbereich des Viktualienmarkts, Weißenburger Straße und Platz, Schützenstraße, Salvatorplatz, Platzl, Peters-, Hohenzollern- und Curt-Mezger-Platz. In der Altstadt-Fußgängerzone dürfen Radler seit April 2014 zwischen 22 und 8 Uhr fahren. Ganztägig erlaubt ist es derzeit in der Maffeistraße, auf der Straße am Viktualienmarkt, der Diener- und Residenzstraße, außerdem am Harras, Dominikus-, dem Klaus-Mann-, Konrad-Zuse-, Nordhaide-, Sankt-Jakobs- und Sebastiansplatz, Platz der Menschenrechte, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz, Rudi-Hierl-Platz, Steinstraße, Wiener und Willy-Brandt-Platz.

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