Süddeutsche Zeitung

Stadtmagazin:Man kennt sich

Hubertus Becker und Mirko Hecktor machen seit sieben Jahren das aufwendig produzierte "Super Paper". Was es genau ist, wissen sie selbst nicht

Von Christiane Lutz

Es gibt Abende, da ist gefühlt die ganze Stadt am selben Ort. Ein Abend im April zum Beispiel, da drängt man sich nicht im Gärtnerplatzviertel, sondern in die Alte Börse, wo eine Party stattfindet. Im Zentrum des Raums steht ein Typ ohne Haare, besser gesagt: hüpft ein Typ ohne Haare herum, der grüßt und winkt und schüttelt Hände und umarmt. München ist zu Gast bei Hubertus Becker. Es ist die Party einer seiner vielen Kunstprojekte, der "First Page Gallery" und der Abend illustriert sehr gut, was Hubertus Becker so formuliert: "Ich kenn halt echt viele." Gemeinsam mit Mirko Hecktor (DJ, Veranstalter, kennt auch echt viele) macht Becker seit ziemlich genau sieben Jahren das Stadtmagazin Super Paper . Wobei Stadtmagazin schon mal nicht ganz stimmt. Denn das Super Paper ist kein muffiges Veranstaltungsblättchen, sondern eine aufwendig produzierte Zeitung, die zudem so gut aussieht, dass es Menschen gibt, die sie sich in ihren Flur hängen. Auch Becker und Hecktor fällt es nicht ganz leicht, ihr Magazin zu kategorisieren. "Wir machen keinen klassischen Journalismus. Wir machen auch Kunst", sagen sie. Oder: "Es ist das Stadtleben, durch unseren Filter betrachtet". Das bedeutet: Das Super Paper weist beispielsweise nur auf Veranstaltungen und Künstler hin, die Hecktor und Becker gut finden.

Seinen Anfang nahm das Projekt in London, wo Hubertus Becker, 41, gelernter Kommunikationskaufmann, bis 2004 lebte, wo er "Partys machte und auflegte". Dort gab es eine Art Wundertüte, in die Flyer verschiedener Veranstaltungen gesteckt waren. "Das war ja vor Facebook", sagt Becker und startete die Wundertüte auch in München. Aus der Wundertüte wurde ein kleines Pocket-Magazin namens Spy Munich. Dann lernte er Mirko Hecktor, 42, kennen, "im Nachtleben". Der arbeitete damals an seinem Buch "Mjunik Disko" und war sofort angefixt von Beckers Ideen. 2009 entstand schließlich das Super Paper, ein Magazin auf Zeitungspapier in DIN A3. "Das Zeitungsformat finde ich total sexy", sagt Hubertus Becker in einem Café in der Maxvorstadt, auf seinem Pulli die Rolling-Stones-Zunge. "Eine Zeitung hat einen ganz anderen Charme, eine andere Haptik." Das Magazin lebt von seiner Objekthaftigkeit. Vom Siegeszug der sozialen Netzwerke blieb das Super Paper all die Jahre daher auch unbeeinflusst. Es existieren zwar eine Website und eine Facebook-Auftritt, aber darauf angewiesen, im Netz mitzumischen, sind Hecktor und Becker nicht.

Die Auflage von 15 000 Exemplaren hat sich seit dem Start nicht verändert, das Format ebenfalls nicht. Auch nicht die Tatsache, dass Hubertus Becker das Super Paper noch immer einmal im Monat gemeinsam mit seiner Frau an die rund 300 Stellen ausfährt, wo es in München ausliegt: Kneipen, Theater, Galerien, Clubs, Restaurants. Becker sagt, er mache das, weil es ihm wichtig sei, mit den Leuten zu reden. Natürlich aber checkt er auch, ob sein Magazin so ausliegt, wie er sich das vorstellt. Gekostet hat das Super Paper noch nie etwas, es finanziert sich durch Anzeigen - wieder von Theatern, Galerien, Clubs. Und weil die opulente Optik des Magazins nicht nur Zeitungsfans gefällt, sammelt inzwischen auch die Neue Sammlung der Pinakothek der Moderne je zwei Ausgaben.

Seine opulente Optik hat das Super Paper dem "Bureau Mirko Borsche" zu verdanken, einem der führenden Grafikdesignstudios des Landes, das auch das Zeit Magazin gestaltet. Qualität, die normalerweise ihren berechtigten Preis hätte. Hätte. Hubertus Becker bekommt einen Freundschaftspreis. Er kennt Borsche seit Jahren. Nachtleben natürlich. Dank ihm entdeckt die Redaktion immer wieder junge Künstler, die fürs Super Paper ein paar Seiten gestalten, wie zuletzt den Amerikaner Cleon Peterson, den plötzlich alle kannten, als er unter dem Eiffelturm ein riesiges Bild auf den Boden malte. Auch im Inneren sieht das Super Paper jede Ausgabe anders aus, Texte verlaufen tropfenförmig, Schriftarten ändern sich. Für das Auge ist das ungewöhnlich. Originalität kommt stets vor Lesbarkeit.

Mal gehen die Zeitungsmacher 24 Stunden auf Tour durch die Stadt und berichten von ihren Erlebnissen, dann machen sie ein monothematisches Modeheft, für das sie alle Fotostrecken selbst produzieren ("Den Fotografen Armin Smailovic, den kennen wir halt."). Seit ein paar Ausgaben liegt dem Super Paper noch ein anderes Magazin bei, das Village Voice, in dem Mitarbeiter der Redaktion fiktive Interviews mit Menschen wie Mario Götze oder Boris Becker führen. Hubertus Becker und Mirko Hecktor fanden, es sei an der Zeit, "sich selbst im eigenen Heft zu verneinen", ein Gegenheft zu produzieren, quasi. Um das Prozesshafte, sich ewig Weiterentwickelnde, darum gehe es ja auch bei der Arbeit. "Vielleicht ist das Super Paper auch Theater?", fällt Hecktor dazu noch ein.

Für beide ist das Magazin inzwischen zum Hauptberuf geworden, auch wenn Hecktor weiterhin als DJ auflegt und - wie Becker - Kulturevents und Partys organisiert. Demnächst starten sie "Next to Guccis", ein Zwischennutzungsprojekt direkt an der Maximilianstraße, das genaue Programm ist noch geheim. Am Freitag gibt es jedenfalls erst einmal die große Super-Paper-Geburtstagsparty, wieder in der Alten Börse am Lenbachplatz. Wenn Hubertus Becker beschreibt, was da passieren wird, klingt das so: "Die Betty macht Videokunst, der Moritz Butschek legt auf und der Klaus aus der Goldenen Bar macht uns einen eigenen Drink." Sie wissen einfach, wer in der Stadt was Spannendes macht, und verstehen es, sich mit diesen Menschen zu verbinden. "Wir sind wie Facebook, nur auf Print", sagt Hecktor. Das beschreibt es gar nicht schlecht, denn auch Facebook versammelt Menschen, ist Hochkultur und Subkultur, ist Stadtgeflüster und Lärm zugleich.

83 Magazine

Die erste Ausgabe des Super Paper erschien im November 2009. Seitdem sind 83 Magazine gefolgt, in einer steten Auflage von 15 000 Exemplaren. Das Heft liegt in Münchner Bars, Museen, Restaurants und Clubs umsonst aus. Die Chefredakteure Mirko Hecktor und Hubertus Becker werden von freien Autoren und ihrem Münchner Netzwerk unterstützt.

Dass das Konzept allerdings unweigerlich an ihre Personen gebunden ist, wissen die Blattmacher. "Ich kann nie wieder aus dieser Stadt weg", hat Becker einmal betrunken und betrübt zu Hecktor gesagt. "Ich bräuchte hundert Jahre, um all das woanders aufzubauen." So bleiben sie eben in München. Da sind sie ja sehr, sehr gern.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2016
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