Stadtjäger Wolfgang Schreyer:Jagdszenen auf dem Messegelände

Stadtjäger Wolfgang Schreyer: Stadtjäger Wolfgang Schreyer mit seinem Bussard "Frau Ziegler".

Stadtjäger Wolfgang Schreyer mit seinem Bussard "Frau Ziegler".

(Foto: Stephan Rumpf)

Wildtiere wie Füchse, Kaninchen, Möwen und Waschbären werden zunehmend zum Problem in der Stadt. Wolfgang Schreyer rückt ihnen zu Leibe - mit Greifvögeln, Frettchen und zur Not auch mit dem Gewehr.

Von Franziska Pudelko

Es könnte tödlich enden. Für das Tier. Wolfgang Schreyer beobachtet das Wildkaninchen durch sein Fernglas. Der Stadtjäger mit den kurzen braunen Haaren sitzt in seinem Wagen, den er auf einem Feldweg geparkt hat. Neben ihm liegt auf dem Beifahrersitz ein grober, brauner Handschuh. Er ist ein Teil seiner Waffe, auf diesen Handschuh setzt Schreyer seinen Wüstenbussard. Noch sitzt dieser in einer kleinen Box im Kofferraum. Schreyer sieht weiter durch das Fernglas und entscheidet dann: "Das Kaninchen ist gesund, ich muss es nicht töten lassen." Frau Ziegler, wie er seinen Bussard nennt, kommt nicht zum Einsatz. Noch nicht.

Schreyer fährt zurück auf die Straße und weiter zum Messegelände. Dort hat der 58-Jährige einen Auftrag: Möwen vertreiben. Er schaut nach vorne, verdächtige Bewegungen nimmt er im Augenwinkel trotzdem sofort war. "Mit der Zeit bekommt man einen Blick dafür, ob sich da gerade ein Tier bewegt."

Nachts verfolgt Schreyer die Tiere mit dem Gewehr

Erfahrung hat Schreyer genug. Seit 28 Jahren arbeitet er im Auftrag der Stadt oder für Firmen in Münchens Norden und in der Innenstadt als Stadtjäger, und die Aufträge kommen fast täglich. Seine Beute ist kleiner als die der Jäger im Wald: Wildkaninchen, Füchse, Marder und seit Kurzem auch Waschbären. "Die breiten sich gerade in München aus. Jetzt müssen wir den Winter abwarten, um zu sehen, welchen Schaden sie anrichten, und dann eingreifen", sagt Schreyer. Nachts verfolgt er die Tiere mit dem Gewehr, tagsüber mit Frettchen oder Greifvögeln - weil die nur bei Helligkeit jagen können und er dann nicht schießen muss und so Bewohner gefährden könnte. Die Schusswaffe benutzt Schreyer nachts, wenn niemand auf der Straße ist außer den Tieren.

"Es gibt zu viele Wildtiere in der Stadt", sagt Alexander Kummerow von der Abteilung Jagdwesen im Kreisverwaltungsreferat. Das viele Futter lockt immer mehr an, sie ernähren sich von weggeworfenen Essensresten und vermehren sich schnell. Deswegen sind neben Schreyer neun weitere Jäger im Stadtgebiet Münchens tätig. "Sie müssen den Bestand regulieren, Tierseuchen verhindern und Gefahren abwehren", sagt Kummerow.

Gefährlich wird es zum Beispiel, wenn sich die Tiere bedroht fühlen. "Als mich die Polizei zu einem angefahrenen Fuchs mit verletzter Wirbelsäule gerufen hatte, musste ich schnell handeln", erzählt Schreyer ernst. "Denn wenn der Fuchs Angst hat, beißt er." Bevor er einen Menschen verletzen konnte, griff Schreyer ein und erschoss den Fuchs.

Wüstenbussard gegen Möve

Schreyers Arsenal umfasst dreizehn Vögel: Falken, Adler, Bussarde und ein Uhu gehören dazu, den verwendet er allerdings nur für sein Programm "Lernen in der Natur" mit Schulklassen im Wald. Wann immer es geht, nutzt er die Vögel statt seines Gewehrs. "Mit denen kann nichts passieren", sagt Schreyer. Nur: An einem Ort mit viel Glas kann er die Vögel nicht einsetzen, weil sie die nicht erkennen und dagegen fliegen würden. Zwei Vögel hat er in 14 Jahren verloren. Einer flog in eine Glasscheibe. "In der Stadt setze ich hauptsächlich Wüstenbussarde ein", sagt der Stadtjäger, "die sind nervenstark und erschrecken vor nichts, da ist die Unfallgefährdung gering." Ein Wüstenbussard kann alle Tiere bis zur Größe eines Hasen greifen, Schreyers Steinadler sogar ein Rehkitz.

Aus Schreyers Handy tönt Blasmusik. Ein Anruf: Er soll auch noch in der Kläranlage die Möwen kontrollieren. Findet er dort mehr als 20 Vögel, wird er sie mit seinem Wüstenbussard vertreiben. "Vor zehn Jahren hat man mich zum ersten Mal auf das Gelände der Kläranlage gerufen", berichtet Schreyer. "Damals war der ganze Boden weiß - alles Kot." Der gefährdete die Gesundheit der Arbeiter. Täglich fuhr er zu unterschiedlichen Uhrzeiten mit seinem Wanderfalken zur Anlage und ließ ihn fliegen, um die etwa 3000 Vögel zu verscheuchen. "Einen entscheidenden Fehler habe ich aber gemacht", sagt Schreyer und lacht. "Beim ersten Vertreibungsflug stand ich genau unter den Möwen und war danach komplett weiß." Töten musste er in diesen zehn Jahren nur sieben kranke Möwen. "Die Tiere dürfen nicht leiden", sagt er, als sei die Regel eines der zehn Gebote.

Wildkaninchen sind ein neues Problem

Ein Zwischenstopp also auf dem Weg zum Messegelände. Schreyer fährt die Klärbecken ab, sichtet an diesem Tag aber keine Vögel. Die Abschreckung hat funktioniert: Inzwischen leben nur noch knapp hundert Möwen auf dem Gelände.

Und trotzdem muss er kommen. Auch weil ein neues Problem aufgetreten ist: Wildkaninchen. "Wegen des milden Winters haben die sich buchstäblich vermehrt wie die Karnickel und machen Gärten und Grünflächen kaputt", schimpft Schreyer. Grünanlagen sind ideal für die Wildkaninchen, aber für die jungen Bäume eine Bedrohung. Sie nagen die Rinde ab und zerstören die Sträucher. "Einmal haben Wildkaninchen die Erde unter einer Garage so lange umgepflügt, bis die Garage abgesunken ist", erzählt Schreyer.

Nächster Ort, nächstes Problem. Schreyer hält vor dem künstlich angelegten See am Haupteingang des Messegeländes. Frau Zieglers Einsatz ist gekommen. Der Stadtjäger zieht sich den Handschuh über, öffnet den Käfig und greift nach dem Vogel, so vorsichtig, als wäre der Bussard eine wertvolle Porzellanvase. Mit einer Schnur, die er am Bein des Bussards befestigt, bindet er Frau Ziegler an seinem Handschuh fest. Mindestens 60 Vögel sitzen am Teich, nur 20 dürfen es sein, so wünscht es der Auftraggeber.

Frau Ziegler breitet immer wieder ihre Flügel aus. Noch hält Schreyer sie an der Schnur fest. Die Möwen schlagen mit den Flügeln, bemerken den Bussard, ihren Feind. Einige flattern schon davon. Dann lässt der Jäger seinen Vogel los. Frau Ziegler fliegt los, geradewegs auf sie zu, die Möwen starten ebenfalls, wild durcheinander. Der Greifvogel umkreist den Messesee, immer wieder, bis nach etwa zehn Minuten keine Möwe mehr zu sehen ist, dann landet er auf einer Straßenlaterne und wartet. Mit einem toten Küken und einem lauten Schrei lockt Schreyer seinen Vogel zurück zum Handschuh, er schnappt nach der Belohnung.

Umsiedeln statt Töten

Anschließend lässt der Jäger Frau Ziegler noch einmal fliegen, bevor sie zurück in die Box muss. Geschnappt hat sie keine der Möwen. "Das passiert nur ganz selten, wenn ein Tier sichtlich krank ist", sagt Schreyer. Ein Kommando muss er dafür nicht geben. "Der Greifvogel selektiert dann selbst."

Nur wenn es sich nicht vermeiden lässt, tötet Schreyer die Wildtiere in der Stadt. "Manchmal reicht es schon, sie umzusiedeln", sagt er und erzählt von seinen Marderfallen. Statt Gift setzt er in diesen ein Pulver ein, das den Tieren an den Pfoten kleben bleibt und sie vertreibt. Auch der Geruch von Menschen- oder Hundehaaren in der Motorhaube oder ein Gitter unter dem Auto können Marder verscheuchen.

Muss er doch mal schießen, trifft er besondere Vorkehrungen. "Sicherheit hat für uns Stadtjäger absoluten Vorrang, wir ballern nicht sinnlos herum", sagt Schreyer. In der Innenstadt ist er mit seiner Tochter unterwegs. Einer beobachtet die Umgebung und passt auf, dass keine Spaziergänger kommen. Derzeit ist er besonders häufig im Einsatz, die Jagdsaison geht los. Und trotzdem muss Schreyer sie Ende September gleich wieder für zwei Wochen unterbrechen: "Während der Wiesn schieße ich nicht, da ist zu viel los in der Stadt."

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