Süddeutsche Zeitung

Stadtgründungsfest:Banjos, Bier und Erdmännchen zum 861. Geburtstag

Der Marienplatz verwandelt sich in einen Biergarten, den Oberbürgermeister zieht es auf die Musikbühne und die Münchner feiern ihre Stadt - auch wenn sie immer wieder Rätsel aufgibt.

Von Wolfgang Görl

Wenn der Oberbürgermeister persönlich beim Stadtfest als Musikant auftritt, kann das zweierlei Gründe haben. Entweder die Stadt ist pleite, so dass der OB, um die Kosten für eine Profikapelle zu sparen, zur Selbsthilfe greift, oder der Rathauschef ist in den verborgensten Winkeln seiner Seele ein Musiker und zudem eine Rampensau. Was Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) betrifft, dürfte Letzteres zutreffen, wenngleich man die Sache an Anbetracht der Würde des Amtes natürlich vornehmer formulieren müsste.

Jedenfalls sitzt Reiter am Samstagnachmittag beim Stadtgründungsfest auf der Bühne, singt und spielt Gitarre, wobei die musikalische Hauptlast die Paul Daly Band trägt, eine überwiegend irisch klingende Truppe mit Musikern aus aller Herren Länder. Und was soll man sagen? Die Daly-Reiter-Band klingt wirklich gut, was die Besucher des zum Biergarten umfunktionierten Marienplatzes in Mitklatsch-, Tanz- und Singstimmung versetzt, die nicht allein dem kostengünstigen Vier-Euro-Bier geschuldet ist.

Wer hier der Star auf der Bühne ist, merkt man schon beim Soundcheck, während dem die Keyboarderin der Paul Daly Band den Oberbürgermeister für ein Selfie an ihre Seite bittet. Gemeinsam lächeln, dann bitte noch mal mit Blick ins Publikum. Der umschwärmte Reiter ist seit zehn Jahren mit Daly, der in München zwei irische Pubs betreibt, befreundet, und vor allem ist es die Musik, die die beiden Männer verbindet. Weniger einig sind sie sich in puncto Bier: Während Reiter das Münchner Bier bevorzugt, ist Daly, so deutet er vorsichtig an, eher dem Guinness zugeneigt. Dann aber geht es schon los, Rea Garveys "Oh my Love" ist die erste Nummer, dann der Gassenhauer "Will the Circle be Unbroken". Reiter gibt einen respektablen Frontman ab, getragen vom wunderbaren Chorgesang der richtigen Musiker, und am Ende des Konzerts verlässt man den Marienplatz mit dem guten Gefühl, dass wenigstens ein Politiker der krisengeschüttelten SPD ein zweites Standbein hat.

In der Theatinerstraße hat Betina Fichtl-Haberland ihren Stand errichtet, in dem sie neben Gemälden kolorierte Holzskulpturen ausstellt. Die gebürtige Münchnerin, die in Zwiesel aufgewachsen ist und jetzt in Dachau lebt, hat eine bildhauerische Ausbildung absolviert und arbeitet unter anderem mit der Kettensäge. Das klingt martialisch, wenn nicht gefährlich, aber dann staunt man, wie virtuos sie mit dem Gerät, das in Horrorfilmen oft als Mordwaffe dient, aus Fichtenholz einen Kakadu, ein Huhn, ein Erdmännchen oder einen Wolfskopf zu schneiden versteht. Das Holz, erzählt sie, hat sie aus dem Bayerischen Wald, wo das Klima rauer und die Jahresringe somit enger seien. "Das ist stabiler." Namentlich an dem Huhn hat ein Stadtfestbummler einen Narren gefressen, und zwar so heftig, dass er die Henne gleich kauft. Knapp 1500 Euro legt er dafür hin, tauft das Huhn "Emma" und zieht um ein hölzernes Federvieh reicher von dannen.

Auf dem Odeonsplatz spielt die "Münchner Banjoband", ein Ensemble aus zumeist in Ehren ergrauten Herren, die allesamt ein Banjo schlagen - nur einer bläst in die Tuba. Insgesamt ergibt das einen metallisch hämmernden Sound, der gut zum dort errichteten Handwerkerhof passt. Während an den Ständen der Glaser-, Dachdecker- oder Sattlerinnung im Augenblick wenig los ist, bildet sich vor der Metzgerhütte eine Schlange. Nicht Wissensdurst ist der Grund, sondern Hunger auf eine Bratwurst, die es umsonst gibt. Edeltraud Schropp, die beim Kürschnermeister Rudolf Stadler arbeitet, zeigt derweil, wie man aus einem Fuchsfell einen Kragen macht. Hin und wieder muss sie auch Fragen beantworten. "Die meisten Leute wollen was übers Umarbeiten wissen", erzählt sie. Also zum Beispiel wie man einen Mantel in eine Jacke verwandelt. Mit Abschneiden allein ist es da längst nicht getan.

Friseurmeisterin Elfi Zeidler bietet mit ihrer Kollegin Theresa Essendorfer vor dem Alten Rathaus traditionelle Flechtfrisuren zu 15 Euro an. Der Andrang ist groß, gerade hat Elfi Zeidler das lange Haar eines Mädchens in Arbeit. Eine kunstvoll geflochtene Frisur, die zu ihrem Dirndl passt, hat die junge Dame in Auftrag gegeben, wobei Dirndl und Flechtfrisur so miteinander harmonieren sollen, dass sich die Trägerin beim abendlichen Andreas-Gabalier-Konzert im Olympiastadion sehen lassen kann. "Dreiviertel der Frauen, die sich heute frisieren lassen, gehen zu Gabalier", verrät Elfi Zeidler. Ach ja, der Austrovolkstümler Gabalier tritt auf - deshalb die hohe Dirndl- und Lederhosendichte beim Stadtgründungsfest, die den Vergleich mit dem Oktoberfest nicht zu scheuen braucht. Hey, sagt eine Frau, die mit ihrem Mann gerade an der Friseurbude vorübergeht. "Hey, die machen so eine Frisur . . ." Weiter kommt sie nicht. "15 Euro" sagt der Mann nur und zerrt sie fort.

Während die Besucher auf dem Marienplatz Weißwürste und auf Odeonsplatz Fish and Chips (eine Art Brexit-Gedächtnis-Speise) verzehren, bieten die Infostände des Bennofests eher geistige und geistliche Nahrung an, die nicht ganz so enthusiastisch nachgefragt wird wie die Wurstkreationen der Metzger-Innung. Auf dem Bennofest feiern Münchens Katholiken den Stadtpatron, den Heiligen Benno, dessen Reliquien sich in der Frauenkirche befinden. Großer Beliebtheit erfreut sich eine Schreibtafel am Rande der Infostände, auf der die Leute den Satz "Bevor ich sterbe, möchte ich . . ." ergänzen können. Einer hat "leben" geschrieben, ein anderer "viel lachen" und ein Dritter "mit einer Ente befreundet sein". Die 861 Jahre alte Stadt München gibt immer wieder Rätsel auf.

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SZ vom 17.06.2019/smb
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