Stadt als Geschäftsmodell:München ist trunken vor Münchenliebe - oder schon besoffen?

Stadt als Geschäftsmodell: Wer zeigen möchte, wie gern er aus München oder Bayern kommt, aber keine Lust auf muffige Lederhosn und billige Touri-Shirts hat, der greift zu münchnerischen Shirts.

Wer zeigen möchte, wie gern er aus München oder Bayern kommt, aber keine Lust auf muffige Lederhosn und billige Touri-Shirts hat, der greift zu münchnerischen Shirts.

(Foto: Suck my Shirt)

Wer stolz auf seine Heimat ist, ist heute kein Bierdimpfl mehr, sondern durchaus ein Hipster. Das ist gut so, solange das Bekenntnis niemanden ausgrenzt.

Von Laura Kaufmann

Die Bedienung bringt bayerische Tapas in Tracht zum Tisch, auf den Shirts der Gäste steht "Heimatliebe". Es läuft Musik von La Brass Banda oder einer anderen Band aus der Umgebung, man spricht über den letzten Wanderausflug, und eine Freundin zeigt einer anderen gerade den auf Instagram geposteten Schnappschuss vom Marienplatz mit dem Kommentar: "München ist die schönste Stadt der Welt!"

München ist trunken vor Münchenliebe. Heimat ist hip. Kleine Modelabels produzieren im Akkord Shirts mit Sprüchen wie "What happens in the Biergarten stays in the Biergarten" oder "Can you Hendl this", ein Restaurant nach dem anderen baiert auf der Speisekarte munter vor sich hin, und Blogs produzieren mit "11 Dinge, die du nur kennst, wenn du aus München bist"-Artikeln ihre Klicks. Das "schönste Stadt der Welt"-Mantra plätschert so penetrant die Isar hinunter, dass sich langsam die Frage stellt, ob die Stadt nicht nur trunken ist vor Münchenliebe, sondern längst besoffen.

Die Wiederentdeckung der Heimat ist nicht allein ein Münchner Phänomen. "Aber wie in München das Heimatthema mit zeitgenössischer Ästhetik und Popkultur verbunden wird, ist besonders", sagt die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Simone Egger ("Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden"). Man könnte natürlich annehmen, das rühre daher, dass München und seine Umgebung eben besonders schön und anbetungswürdig sind, was aber vielleicht keine hundertprozentig objektive Sicht der Dinge darstellt.

Die Münchenliebe, sie ist untrennbar verbunden mit der Liebe zum Drumherum. Nicht grundlos lobt ein jeder, wie schnell man doch von dieser Stadt aus in den Bergen und am See ist. Die Heimatliebe des Münchners umspannt immer auch das Umland; den Blick vom Bergesgipfel, den Sprung in den Starnberger See. Am Tegernsee stöhnen sie mittlerweile, wenn die Waldfeste anstehen. Für die Städter sind sie ein willkommener Anlass, ihre ansehnliche Trachtensammlung in pittoresker Umgebung auszuführen und dann Bilder mit Hashtag #Heimatliebe auf Instagram zu posten.

Anfang der Nullerjahre nahm die Heimatisierung schleichend ihren Lauf, als Wandern seine Spießigkeit verlor und zum Wochenendhobby immer jüngerer Münchner mutierte. In Dirndl und Lederhose auf die Wiesn zu gehen wurde plötzlich wieder schick. La Brass Banda schuf eine neuartige Volksmusik, und ein leichter Dialekt galt nicht mehr als provinziell, sondern als charmant. Das Geschäft "Servus Heimat" begann 2003 damit, Souvenirs abseits von Marienplatz-Schneekugeln und FC-Bayern-Schals zu verkaufen. Shirts und Strampler mit Brezn-, Gams- und "Spatzl"-Aufdrucken, Schlüsselanhänger, Brotzeitbrettl und Badeenten in Lederhosen werden mittlerweile in fünf Läden angeboten und finden ihre Käufer - Touristen wie Einheimische.

Und "Servus Heimat" ist nicht das einzige Label geblieben, das sich des Themas Heimatliebe angenommen hat. "Suck my Shirt", "Bavarian Couture" oder "FyFy" nennen sich ganz unbairisch die Startups, die den Trend monetarisiert haben und hippe Shirts mit bayerischen Sprüchen oder Logos vertreiben. Da steht dann "Skandal um Rosi", "Strangers call it Karlsplatz" oder "Minga crew" drauf. Und das Streetwear-Label "Gym Yilmaz" designt schlichte Sweatshirts mit dem kryptischen Aufdruck "Brrrp! Munich". Der Hype befällt also nicht nur Fans des Barden Andreas Gabalier, auch der Hipster findet ein Label, mit dem er ein Bekenntnis zur Stadt abgeben kann.

Der kulinarische Trend zur Regionalität wuchs symbiotisch mit der Heimatliebe. Wurde 2010 der "Duke"-Gin gefeiert, den zwei Münchner in einem maxvorstädtischen Hinterhof brannten, ist es heute schwer, den Überblick über die hiesigen Gin-Marken zu behalten. Dazu kommen Wodka, Limonaden, Wasser und natürlich Craft Beer, alles aus der eigenen Stadt.

Dem nicht genug, setzt neuerdings jede zweite gastronomische Neueröffnung voll auf den Heimathype. Im "Bapas" an der Leopoldstraße gibt es bayerische Tapas; die schwere heimische Kost zeitgemäß aufbereitet. Das "Servus Heidi" in der Landsberger Straße nennt sich denglisch "Modern Bavarian Wirtshaus" und die "Westend Factory" am Heimeranplatz spricht von "Moagndrazal" und "was Sias", was die armen Geschäftsreisenden aus dem Sheraton nebenan wahrscheinlich ähnlich schwer entschlüsseln können wie der dialektkundige Einheimische.

Nichts bleibt von der "Heimatisierung" verschont

Mittlerweile gibt es nichts, was von der Heimatisierung verschont bleibt. Erfindet eine Münchnerin einen neuartigen BH, nennt sie ihn "Bravaria", formiert sich eine neue Band, nennt sie sich "Isarkind", und auf Instagram fungiert die Stadt selbst als Cheerleader für die Heimatliebe und postet 365 Gründe, warum wir München lieben sollen.

Man kann das in dieser Fülle bemüht finden, anbiedernd oder auch nervig. Es ist eine Frage des Geschmacks. Simone Egger zum Beispiel sieht viel Positives an dem Trend. "Der Stereotyp des dumpfen, konservativen Bierdimpfl ist mit der aktuellen Heimatbegeisterung in den Hintergrund getreten. Und nicht zuletzt ist sie ein großes Angebot, indem sie Menschen die Möglichkeit gibt, sich zugehörig zu fühlen."

Der spielerische Umgang mit dem Thema Heimat, mit Tradition und Brauchtum; es bleibt nicht festgeschrieben, nicht definiert, was bayerisch bedeutet, was münchnerisch: Das lässt Raum für jeden, der sich als Münchner fühlen möchte. Egal, ob er schon in dritter Generation hier wohnt oder gerade erst angekommen ist.

Die Heimatliebe wird erst dann schwierig, wenn ihr etwas Ausgrenzendes anhaftet. Wir gegen die anderen. Wir sind großartig, toll, besonders, die anderen sind es nicht, und wir müssen dieses Großartige, Tolle gegen Einflüsse von außen verteidigen. Rechte Gruppen versuchen längst, die neue Liebe zu instrumentalisieren. Identitäre setzen auf die gleiche Ästhetik, wie es hippe Modelabels tun.

"Heimatliebe" steht nicht nur auf der Kleidung von "Suck my Shirt", "Heimatliebe" nennt sich auf Facebook auch eine Hetzseite aus dem rechten Spektrum. Man bekomme aber keinen Beifall von der falschen Seite, heißt es von den Gründern des Klamottenlabels. Ihre Models sind so international wie die vier Münchner selbst, mittlerweile gibt es von ihnen eine eigene Kollektion gegen Rassismus. "Wir lieben unsere Heimat, aber im Gegensatz zu den Rechten möchten wir niemanden ausschließen, sondern dieses Gefühl mit allen teilen", sagt Alexander Kral, Geschäftsführer bei "Suck my Shirt".

Auch Kulturwissenschaftlerin Egger sieht keine Gefahr darin, Begriffe zu verwenden, die, besonders in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, sehr negativ besetzt waren. "So lange das Heimatthema so bespielt wird, dass es offen ist für Neues, für unterschiedliche Leute, dann ist es etwas Modernes. Etwas, dass sich öffnet statt verschließt", sagt sie. "Wer sich von einer Auseinandersetzung mit dem Heimatbegriff distanziert, überlässt das Thema anderen. Wenn es aber viele Stimmen dazu gibt, haben die Rechten nicht die Deutungsmacht."

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(Foto: Servus Heimat)

Gemeinsames Anhimmeln? Gemeinsames Granteln!

In Zeiten, in denen der Ton in gesellschaftlichen Debatten immer rauer wird, tut es manchmal einfach gut, sich am Viktualienmarkt zuzuprosten und sich unverfänglich gegenseitig zur schönen Stadt zu gratulieren, auch wenn man sich vielleicht nicht einig ist, ob das Land zu viele Flüchtlinge aufnimmt oder nicht oder ob Brust nun besser ist als Fläschchen geben. Verbindender als gemeinsames Anhimmeln der Stadt ist nur gemeinsames Granteln.

Das kippt, auch wenn das Granteln an sich etwas wunderbar Münchnerisches ist, bei Übertreibung allerdings ebenso schnell ins Alberne wie kritiklose Vergötterung. Etwa wenn ein Münchner Musiker die Stadt verklagen will, weil ihr angeblich spießiges Image seine Erfolgschancen dezimiere. Sebastian Schnitzenbaumer vom Münchner Plattenlabel "Schamoni Musik" war vergangenen Herbst tatsächlich mit dem Plan zu klagen an die Öffentlichkeit gegangen. Auf viel Wirbel folgte allerdings bisher nichts, München grübelte einmal mehr über sein Coolness-Problem.

Statt sich derart zu produzieren, scheint es doch sinnvoller, sich bewusst zu machen, dass es einem bei aller Jammerei doch ziemlich gut geht hier in der Stadt. Ob man dieses Gefühl nun mit einem "Skandal um Rosi"-Shirt zur Schau trägt oder nicht.

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