Stachus-Untergeschoss:Labyrinth mit Gleisanschluss

Das Stachus-Untergeschoss ist das größte unterirdische Bauwerk Europas - seine aufwendige Technik wird derzeit saniert.

Dominik Hutter

Es sieht gefährlich aus: An der Wand blitzt ein rotes Alarmlicht auf, immer wieder und wieder - ein Rauchmelder im zweiten Untergeschoss hat angeschlagen. Konrad Steiner, auf einem Bürostuhl in einem fensterlosen Raum eben dieses Geschosses, bleibt ruhig. "Das ist das Wichtigste."

Der Mann in der Zentralwarte schickt erst einmal zwei Kollegen des Betriebsdienstes los, um den Alarmort zu inspizieren. Parallel laufen diverse Automatismen an: Zwei Löschzüge der Feuerwehr werden angefordert, das rauchabweisende Überdrucksystem in den Fluchtgängen schaltet sich ein. "Jeder Alarm wird ernstgenommen", versichert Steiner. Evakuiert wird aber natürlich nur bei einer konkreten Gefahr.

Ortskenntnis ist das A und O bei den Mitarbeitern des Stachus-Teams, deren Arbeitsplatz getrost als mehrgeschossiges Labyrinth mit Gleisanschluss bezeichnet werden kann. Die Warte, in der Konrad Steiner den Computerbildschirm im Auge behält, ist mit 15.000 übers gesamte Bauwerk verteilten Datenpunkten verbunden, die rund um die Uhr die Lüftung, das Klimasystem, die Brandmeldeanlagen, die Grund- und Abwasserpumpen und noch einiges mehr überwachen.

"Am Anfang ist es schwierig, sich zurechtzufinden", berichtet Michael Desing, Vize-Chef des Stachus-Teams. Ohne ortskundige Führung oder zumindest einen detailgetreuen Plan verliert man sich schnell in Gängen, Räumen und Hallen, zwischen den zahllosen Treppenhäusern und Stahltüren. Das, was Passanten und MVV-Fahrgäste kennen, also Einkaufszentrum, Bahnsteige und vielleicht noch das Parkhaus, bildet nur einen Teil des aus Beton gefertigten Kellergiganten.

Zur Eröffnung 1970 war das Stachus-Untergeschoss das größte unterirdische Bauwerk Europas. Die Anlage mitten im Münchner Stadtzentrum ist 350 Meter lang und 150 Meter breit, von der Oberfläche bis zu den Grundwasserpumpen im sechsten Tiefgeschoss beträgt der Höhenunterschied 40 Meter.

Diese Pumpen sind einer der Gründe, warum die Betriebstechnik ständig überwacht werden muss. "Das Stachusbauwerk liegt wie eine Staumauer im Grundwasserstrom zwischen Alpen und Donau", erklärt Desing.

Damit sich trotzdem kein Wasser ansammelt, wird gepumpt - von Süden nach Norden, durch den sogenannten "Schluckbrunnen", der sich auf Höhe der alten Börse am Lenbachplatz befindet. Fallen die Anlagen aus, könnte das gesamte Bauwerk wie ein riesiger Korken aufschwimmen und schließlich zerbrechen. "Die Bodenplatte hält den Wasserdruck nicht aus", berichtet Desing. Klar, dass die Pumpen mehrfach abgesichert sind.

Es gibt Notstromaggregate, ein Wasserreservoir ("das gibt uns eine Stunde Zeit zum Reagieren") und eine Art Umleitung, um das Grundwasser über die Abwasserpumpen zu entsorgen. Ein bisschen unheimlich sieht es im sechsten Tiefgeschoss dennoch aus - der düstere graue Schacht, in dem das kalte Grundwasser gurgelt, ist nur mit einer dünnen Metallplatte abgedeckt.

Das Ende im Leben einer Rolltreppe

Die Pumpen haben gerade eine Generalüberholung hinter sich, die Elektro- und Steuerungsanlagen wurde sogar komplett erneuert. Denn das Stachus-Bauwerk ist in die Jahre gekommen. Die derzeit laufenden Sanierungsarbeiten umfassen nicht nur das für alle sichtbare Ladengeschoss, sondern auch die Betriebstechnik. Heizung, Lüftung, Klimaanlage - die energiefressende Technologie der späten 1960er Jahre wird durch moderne Geräte ersetzt. Auch diverse Rolltreppen haben das Ende ihrer Lebenszeit erreicht.

Einen Schwerpunkt der rund 30 Millionen Euro teuren Technik-Sanierung bildet der Brandschutz. So werden 700 neue Brandschutztüren montiert, berichtet Georg Barwitz, der Anlagenmanager der Stadtwerke für die unterirdischen Verkehrsstationen - das kommunale Unternehmen ist seit Oktober 2005 für das Stachus-Bauwerk zuständig.

Dazu kommen knapp 7000 neue Sprinklerköpfe, eine moderne Entrauchungsanlage, Brandschutzklappen und ein weiterer Tank für Löschwasser. Am Beispiel des Löschwassers lässt sich übrigens gut darstellen, über wie viele Rückfallebenen die Sicherheitssysteme des täglich von Zehntausenden durchquerten Baus verfügen. Sollte einmal die Wasserzufuhr von außen ausfallen, lagern in einem der unterirdischen Betriebsräume unter Überdruck 40.000 Liter Wasser für die Sprinkleranlage. Reicht das nicht aus, kann eine Reserve angezapft werden - ergänzt durch noch einmal 100.000 Liter Wasser aus einem weiteren Reservoir.

Brennpunkte der Sanierungsarbeiten

Was den Stachus besonders unübersichtlich macht, ist das sieben Kilometer lange Netz aus Fluchtgängen - neben der Evakuierung der Ladenpassagen und der Bahnhöfe muss auch die Flucht aus Werkstätten und Betriebsräumen in den ganz unteren Etagen gewährleistet sein. Ein ausgeklügeltes System leitet selbst Ortsunkundige sicher ins Freie: Die Türen lassen sich stets nur in die "sichere" Richtung öffnen.

Dieses Prinzip hat sich auch der Oetker-Erpresser Dieter Zlof zunutze gemacht, als er am 16. Dezember 1976 den Bruder des Entführten in einer Art Schnitzeljagd durch die Münchner Innenstadt und schließlich ins Stachus-Untergeschoss lotste. August Oetker musste den Alukoffer mit 21 Millionen Mark Lösegeld vor einer Stahltür des Fluchtsystems abstellen. Zlof, der die Anlage zuvor genau ausgekundschaftet hatte, befand sich im Gang hinter der Tür, öffnete kurz, griff sich den Koffer und floh in "falscher" Richtung zum unterirdischen Ladehof, wo sein Fahrzeug parkte - die Verfolger der Polizei scheiterten vor verschlossener Tür.

Sogar der Straßenverkehr beeinträchtigt

Die Tür neben der Apotheke gibt es bis heute - in diesem Bereich, der sogenannten A-Passage, liegt derzeit einer der Brennpunkte der Sanierungsarbeiten. Dabei kümmern sich die Experten auch um Betonstruktur und Abdichtung des Bauwerks - eine Arbeit, die sogar den Straßenverkehr beeinträchtigt.

Denn an die Dichtungsfugen kommt man nur von oben heran, im vergangenen Jahr traf es die Bayerstraße, heuer ist die Sonnenstraße an der Reihe. Die Betonsanierung hat sich als aufwendiger und zeitraubender erwiesen als zunächst erwartet. Schuld daran ist nicht zuletzt der einst sehr großzügige Umgang mit Streusalz, das die stählernen Betonbewehrungen angreift. Die Stachus-Sanierung soll frühestens Ende nächsten Jahres abgeschlossen sein.

Optisch werden die Passagen dann nicht mehr wiederzuerkennen sein. Bei der Technik freilich bleiben einige zuverlässige Veteranen weiter im Einsatz. "Wir halten unsere Anlagen stets in gutem Zustand", versichert Desing. Das Stachus-Team kann das meiste selbst reparieren, in einer der unterirdischen Werkstätten zerlegt ein Arbeiter gerade einen betagten Lüftermotor. In einem haushohen Kellerraum prüfen Elektrotechniker den Motor eines riesenhaften Rotors, der zur Erstausstattung gehört, aber bis heute treu seinen Dienst versieht: die Luft, die über einen Turm nahe der Tiefgaragenzufahrt angesaugt wird, im gesamten Gebäude zu verbreiten.

Das rote Blinklicht in der Zentralwarte ist wieder erloschen. "Es hat nur jemand gebohrt", berichtet Konrad Steiner - das löst den Rauchsensor aus. Normalerweise müsste eine solche Arbeit vorher beim Stachus-Team angemeldet werden. Nun aber muss der unvorsichtige Bohrer die kostspieligen Konsequenzen tragen: "Ein solcher Alarm beschäftigt bis zu zwei unserer Leute für bis zu zwei Stunden", erklärt Steiner. Die Überdruckbelüftung muss abgeschaltet, die Brandklappen deaktiviert werden, da kommen schnell 1500 bis 2000 Euro zusammen. Dazu kommt die Rechnung der Feuerwehr - nochmal rund 1500 Euro.

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