Staatstheater Augsburg:Aufwühlendes auf Ackergrund

Staatstheater Augsburg: Gerald Fiedler spielt in Augsburg den Schuster Kraus. Ihm stellt Regisseurin Susanne Lietzow überzeichnete Kinder-Erzähler zur Seite.

Gerald Fiedler spielt in Augsburg den Schuster Kraus. Ihm stellt Regisseurin Susanne Lietzow überzeichnete Kinder-Erzähler zur Seite.

(Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Am Augsburger Staatstheater inszeniert Susanne Lietzow "Unruhe um einen Friedfertigen" nach Oskar Maria Graf. Aus der sperrigen Vorlage macht sie einen faszinierenden Abend.

Von Yvonne Poppek, Augsburg

Die Ackerfurchen verzeihen nichts, keinen unbedachten Tritt, kein hastiges Gehen, kein falsches Schuhwerk. Aurel Lenfert hat sie auf die große Bühne im Martinipark bauen lassen, überdimensioniert, grob, abweisend, von einem dunklem Braun. Auf diesem Boden erzählt Regisseurin Susanne Lietzow knapp zwei Stunden lang die Geschichte vom Schuster Julius Kraus und von einem Dorf in der bayerischen Provinz vor und zwischen den Weltkriegen. Es soll ein Abend werden, der genauso ist wie dieser Grund, gleichsam spröde und faszinierend, sperrig und doch von feinen Linien durchzogen, aufgebrochen wie fruchtbarer Boden, in dem die Saat erst noch aufgehen muss.

"Unruhe um einen Friedfertigen" ist der Titel dieser Uraufführung am Staatstheater Augsburger. Sie gehört wie die Uraufführung "Frauen der Unterwelt. Sieben hysterische Akte" wenige Tage zuvor zum Themenschwerpunkt "Zukunft der Erinnerung" und setzt sich mit dem Nationalsozialismus auseinander. Der Abend basiert auf Oskar Maria Grafs gleichnamigem, rund 450 Seiten starkem Roman. Graf schrieb ihn im amerikanischen Exil, dort erschien er 1947. Es ist eines der wenigen Bücher, das die Realität zwischen 1918 und 1933 auf dem Land abbildet. Im Roman ist das der fiktive Ort Auffing in der Nähe von München. Der Erste Weltkrieg bricht über den Bauernalltag herein, die jungen Männer müssen an die Front. Der Krieg lässt viele von ihnen dort sterben, sie fallen weit weg vom Dorf, in dem sehr bald die Lebensmittel und die Alltagsgüter knapp werden. Kriegsende, Revolution, in Auffing spürt man davon immer nur die Folgen. Ebenso vom heraufziehenden Faschismus.

Graf hat ein großes Dorfpanorama entworfen, von dem Lothar Trolle für die Augsburger Bühnenfassung naturgemäß vieles wegstreichen musste. Geblieben sind die Schlüsselfiguren, der Heingeiger-Bauer, dessen Sohn Silvan, der der erste Dorfnazi sein wird. Heingeigers Tochter Elies und ihr uneheliches Kind Peter. Dann gibt es noch den Ludwig, einen aufrichtigen Kommunisten, und Figuren wie Pfarrer, Drogist, Kinder, Bäuerinnen. Und natürlich den Kraus, von dem niemand weiß, dass er ein Jude ist, und sein Sohn Hans, der den Vater bald im Streit verlässt, nach Amerika auswandert, dort stirbt und Kraus ein Millionenerbe vermacht.

Trolle hat von der Handlung und deren vielen Verästelungen kurze Episoden, manchmal nur Fetzen übrig gelassen. Dabei setzt er zum Teil auf eine dialogische Struktur, zum Teil nimmt er aber einfach Grafs Schilderungen. Dadurch hat man Figuren und Erzähler auf der Bühne, ein wilder Wechsel, von dem nicht klar ist, ob auch diejenigen ihn verstehen, die vorher nicht den Roman gelesen haben. In jedem Fall sperrt sich Trolles Text gegen eine brodelnde Bühnendynamik. Was die Figuren sprechen und tun, davon wird oft nur berichtet. Die Sprache wird vom eigentlichen Sprecher entkoppelt, die Handlung vom Handelnden. Es ist, als hätte man sich weitmöglichst vom Erzählgegenstand entfernen wollen, um ja kein Bauerntheater zu machen, das Dörfliche, das Graf so meisterhaft ausmalt, ist auf eine abstrakte Ebene gewuchtet.

Staatstheater Augsburg: Eine Wirtshausschlägerei wird in Augsburg zu einer famosen Wrestling-Einlage.

Eine Wirtshausschlägerei wird in Augsburg zu einer famosen Wrestling-Einlage.

(Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Das kann mitunter ganz schön zäh sein, man wünscht sich oft, die Darstellenden dürften mehr ins Spielen kommen. Natalie Hünig zum Beispiel, die mit feinen Nuancen mehrere Rollen ausdeutet, von der schwatzhaften Bäuerin bis zur ängstlichen Verlobten. Oder Paul Langemann, der fies und fanatisch den Silvan zeichnet, Jenny Langners zarte Episoden könnten auch mehr Platz gebrauchen oder Gerald Fiedlers in sich gekehrter Schuster.

Trotzdem wird einem dieser Abend nicht lang. Warum? Weil er über einen enormen inszenatorischen Witz verfügt und emotionale Bilder entwirft, die im Gedächtnis bleiben. Schon der Anfang ist umwerfend. Aus dem Hintergrund der Bühne tauchen drei Kinder auf, Jenny Langner, Patrick Rupar und Kai Windhövel haben sich hierfür riesige Köpfe übergestülpt, wie bei Kleinkindern reichen ihre Arme nur knapp über die Ohren. Sie kraxeln zwischen den Furchen, der Bub tritt nach den Madeln, die nehmen sich tapsig und treu bei der Hand und dann beginnen sie zu erzählen vom Schuster Kraus. Grafs Sprache weht still und zart über die Bühne, der Schuster kommt daher, um einstweilen auf diesem Acker zu bleiben. Nach wenigen Minuten rutscht Natalie Hünig als tote Gattin in den Ackergrund. Das Tempo ist enorm, das Begreifen funktioniert über die Bilder.

Grandios gerät eine Szene mit Wirtshausschlägerei

Was mit Kraus und dem Dorf passiert, tupft Regisseurin Lietzow auf die Bühne wie kurze Farbsequenzen in einen krisseligen Schwarz-Weiß-Film. Man sieht den Schuster arbeiten und die Leute zu ihm kommen, die ihm ihr Geschwätz aufdrängen. Man sieht, wie er den Peter liebt, den Ludwig rettet und vom Silvan bedroht wird. An allem ist er seltsam unbeteiligt, ist der Friedfertige, der sich nicht einmischen will. Grandios ist das in einer Szene mit Wirtshausschlägerei zu sehen, aus der Lietzow einen überdrehten Wrestling-Einschub gezaubert hat. Der Schuster steht einsam am Rand, ausgeklammert von den Turbulenzen und dem Leben um ihn herum.

Am Ende kann er sich der Gewalt dennoch nicht entziehen, wird als Jude gedemütigt und stirbt. Da sitzen dann wieder die Kinder auf der Bühne, nah beim toten Schuster, zupfen an ihre Kleidern, Unschuld, Schutzbedürftigkeit und Mord dicht zusammengespannt. Das trifft ins Mark und lässt einen noch lange nach dieser raschen, holprigen Reise durch Oskar Maria Grafs Roman über aufgewühltem Ackergrund nicht los.

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