Staatsbibliothek:Die verzweigte Welt der Bücher

Millionen Bände lagern in der Bayerischen Staatsbibliothek an der Ludwigstraße. Der Aufwand, die riesigen Bestände zu verwalten, ist enorm. Ein Blick hinter die Fassaden.

Von Silke Lode und Stephan Rumpf (Fotos)

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Quelle: Stephan Rumpf

Die Staatsbibliothek München hat viele bekannte Gebäude, doch meist sind nur einzelne Bereiche öffentlich zugänglich. Vor 50 Jahren wurde der Erweiterungsbau an der Ludwigstraße eingeweiht, der auch den großen Lesesaal beherbergt. Die Nutzer können hier mit mehr als zehn Millionen Bänden arbeiten - zunehmend auch am eigenen Bildschirm.

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Abgestempelt

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Quelle: Stephan Rumpf

Die Bayerische Staatsbibliothek wächst jedes Jahr um 130 000 bis 140 000 Bände - also grob geschätzt um den Bestand von drei mittelgroßen Stadtbibliotheken. Einen guten Teil davon muss die Staatsbibliothek nicht einmal bezahlen: Sie tauscht mit anderen Häusern, bekommt Geschenke - und vor allem müssen alle Verlage in Bayern seit dem Jahr 1663 zwei Exemplare jedes neuen Buches an die Landesbibliothek abliefern. Hinzu kommen jedes Jahr 70 000 gekaufte Bände.

Eine ganze Abteilung, die Bestandsentwicklung und Erschließung, ist nur damit beschäftigt, neue Medien auszuwählen, zu bestellen und zu bezahlen. Schenkungen werden gesichtet und immer wieder auch abgewiesen. Als erstes landet alles Neue auf dem Tisch von Christine Mayer (Foto), die jeden Tag einen Berg an Paketen auspackt, den Inhalt kontrolliert und die Bände an die Sachteams weitergibt. Nur durch Stellwände abgetrennt sitzen rund um Mayer dutzende Bibliothekare in dem Großraumbüro, das den gesamten ersten Stock des Erweiterungsbaus einnimmt. Ihre Tische sind nach Fächern und Sprachen gruppiert, die Trennwände mit Topfpflanzen und Pappschubern verschönert, die es - anders als die Bücher selbst - nicht in den offiziellen Bestand der Bibliothek schaffen. Alle Neuzugänge werden von den Bibliothekaren inventarisiert und in den Katalog aufgenommen. "Wirklich Teil des Bestands sind die Bücher aber erst, wenn sie gestempelt wurden", erzählt Monika Moravetz-Kuhlmann, Chefin der Bestandsentwicklung für den Bereich Bücher.

Zwei Stempel finden sich in jedem Buch - stets auf den gleichen Seiten. Diese Präzision kann wichtig sein, denn wenn in einem umstrittenen Objekt just diese beiden Seiten fehlen, gilt es auch vor Gericht als gestohlen. Eine solche Inbesitznahme wird aber immer schwieriger: In Zeiten von E-Books und digitalen Medien haben klassische Stempel ausgedient.

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Lesen und verlieben

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Quelle: Stephan Rumpf

Wer kurz vor den Semesterferien oder zu Prüfungszeiten nichts ahnend etwas später am Tag in den großen Lesesaal kommt, wird sehr schnell wieder kopfschüttelnd vor der Tür stehen. Die 636 Plätze sind meist gleich in der Früh belegt.

Der große Lesesaal ist das Herzstück der Staatsbibliothek: Jeder hat Zutritt, 80 000 Bände stehen zur sofortigen Nutzung bereit. Geschlossen ist der Lesesaal nur an Feiertagen und tief in der Nacht, von Mitternacht bis acht Uhr. Nur wer auch Bücher aus dem Magazin bestellen will, braucht einen Nutzerausweis.

Der Saal wird immer wieder den Bedürfnissen der Nutzer angepasst: mehr Arbeitsplätze, kostenloses Wlan. Eine laptopfreie Zone wurde erst eingerichtet, dann verkleinert. "Fast alle Nutzer bringen eigene Computer mit, deshalb haben wir weniger Recherche-PCs - und dafür mehr Arbeitsplätze", erzählt der Leiter des Lesesaals, Wilhelm Hilpert (Foto).

Für die Dauergäste erfüllt der Lesesaal noch eine ganz andere Funktion: Er gilt als größter Akademiker-Heiratsmarkt der Stadt, so manche Liebe hat hier in aller Stille ihren Anfang gefunden.

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700 Seiten pro Stunde

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Quelle: Stephan Rumpf

Als die Staatsbibliothek im Frühjahr 2007 ankündigte, in Kooperation mit Google eine Million Bände aus dem eigenen Bestand zu digitalisieren, schien das ein Projekt für Jahrzehnte zu sein. Heute, keine zehn Jahre später, sind die Werke längst eingescannt und im Internet frei verfügbar. Möglich war das - zumindest in diesem Tempo - nur mit Hilfe von Scanrobotern, die für die Bestände der Staatsbibliothek erstmals in Deutschland eingesetzt wurden.

Vier solche Roboter sind derzeit in der Bibliothek in Betrieb. "Der Scanner liest immer zwei Seiten gleichzeitig ein", erklärt Klaus Kempf vom Münchner Digitalisierungszentrum. Mit Luft werden die Seiten angesaugt und umgeblättert, 600 bis 700 Seiten scannt ein Roboter so pro Stunde. In dieser Zahl ist sogar schon das letzte Stück Handarbeit berücksichtigt: Die Bücher müssen richtig eingelegt werden. "Sonst würden die Geräte doppel so viele Seiten schaffen", sagt Kempf.

Googles weltweites Buchprojekt ging mit einem langen Streit um Urheberrechte einher, der auch in München Spuren hinterlassen hat. Die Staatsbibliothek achtet genau darauf, dass nur Werke digitalisiert werden, bei denen es keine urheberrechtlichen Bedenken gibt. Ansonsten geht mit den Scanrobotern erstaunlich wenig schief: Weder bei der Massendigitalisierung durch Google noch bei den 200 000 weiteren Werken, die im Digitalisierungszentrum eingescannt wurden, ist laut Kempf je ein Schaden entstanden. Das ist vor allem bei wertvollen Handschriften und sehr alten Büchern wichtig, denn gerade die werden "zum Bestandserhalt" digitalisiert, wie Kempf erläutert.

Neben den Robotern sind noch zahlreiche andere Scansysteme und Kameras bei der Stabi im Einsatz. Manche Werke wurden wegen eines bestimmten Themenschwerpunkts zur Digitalisierung ausgewählt, andere, weil Nutzer dies bestellt haben - zum Teil als bezahlte Auftragsarbeit. Eine alte Karte von San Sebastian zum Beispiel, die ein Mitarbeiter gerade bearbeitet und in den Katalog einfügt. Auch mit 3-D-Scannern wird hier bereits gearbeitet - allerdings noch längst nicht, wenn es um Masse geht.

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Rauf und runter

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Quelle: Stephan Rumpf

Über das Prachttreppenhaus im zentralen Teil des Gärtner-Baus hält sich ein hartnäckiges Gerücht: Während der Regierungszeit von Ludwig I. durfte einzig der König die Treppe hinauf ins Licht des Wissens benutzen, wenn er im Haus war - die Mitarbeiter mussten sich andere Wege suchen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Treppenhaus zerstört. Seit dem Wiederaufbau kommt die immer noch prachtvolle Marmortreppe etwas schlichter daher: Auf die ausschmückenden Malereien im Dachgewölbe wurde komplett verzichtet. Im oberen Bereich des Treppenhauses wird heute gerne repräsentiert: Im sogenannten Fürstensaal finden Lesungen, Workshops und Ausstellungen statt.

Der Weg treppab ist für die Nutzer im Alltag deutlich wichtiger. Nicht weil hier der Ausgang ist. Nein, unten ist die Cafeteria - ein guter Ort, um mit der Bekanntschaft aus dem Lesesaal nach all den Blicken zwischen Büchern endlich auch Worte zu wechseln.

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Lieferservice

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Quelle: Stephan Rumpf

Früher war der Job, den Theodor Bauer (Foto) heute im Magazin macht, eine echte Plackerei. Auf bis zu zwölf niedrigen Etagen stehen in der Staatsbibliothek Bücher, 3,8 Millionen Bände sind es allein am Standort Ludwigstraße.

Bevor im Jahr 1926 der erste Lift eingebaut wurde, stiegen die Männer mit Bücherkraxen durch die engen Treppenhäuser. Ohne Tageslicht und mit Hitze im Sommer müssen Bauer und seine Kollegen auch heute noch klarkommen, dafür gibt es Förderbänder und Aufzüge.

Pro Tag trudeln mehrere tausend Buchbestellungen im Magazin ein - Nutzer haben hier keinen Zugang. Mehr als die Hälfte des Bestands lagert in Garching - und wird zwei Mal pro Tag mit einem Bücherauto in die Innenstadt gekarrt.

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Im Reich der Musik

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Quelle: Stephan Rumpf

Die Beliebtheit der Staatsbibliothek ist auch schon zum Problem geworden - für Forscher zum Beispiel, die mit Materialien arbeiten wollen, die nicht ausgeliehen werden dürfen. Wer erst nachmittags in den Lesesaal kam, fand keinen Platz mehr. Die Bibliothek arbeitet deshalb inzwischen mit Forschungsbereichen und Sonderlesesälen wie jenem für Musik, Karten und Bilder.

Im Reich von Reiner Nägele (Foto) hat grundsätzlich jeder Zutritt - "vorausgesetzt, er arbeitet mit unseren Beständen", sagt Nägele. Dazu gehören Nachlässe von Komponisten wie Orlando di Lasso, Max Reger oder Carl Orff, Karten, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen, das komplette Archiv des Schott-Verlags oder das Fotoarchiv von Heinrich Hoffmann, dem Leibfotografen Hitlers.

Eine Handbibliothek befindet sich auf zwei Galerien direkt über den Arbeitsplätzen. Und gelegentlich finden auch Konzerte statt - der gestiftete Bösendorfer-Flügel will schließlich auch genutzt sein.

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Die Schatzkammer

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Quelle: Stephan Rumpf

Längst nicht alle Bücher der Staatsbibliothek können ausgeliehen werden - trotzdem soll die Öffentlichkeit etwas von ihnen haben, das ist schließlich der Auftrag des Hauses. Also gibt es immer wieder Ausstellungen mit Werken, die von der kulturellen Bedeutung mit so manchem Exponat der Pinakotheken mithalten können.

Den Namen "Schatzkammer" hat der Ausstellungsraum verdient - auch wenn er im Vergleich zu den meisten Münchner Museen eher ein Nischendasein führt. Die Schätze, die derzeit in den Glasvitrinen liegen, stammen aus dem Spätmittelalter und der frühen Renaissance und geben Einblick in die mitteleuropäische Buchmalerei. Kunstvolle Bibeln gibt es genauso wie farbenfrohe Turnierbücher mit Ritterszenen. Gemeinsam ist ihnen eines: Schon zur Entstehungszeit waren dies echte Luxusbücher.

© SZ vom 25.10.2016/vewos/bica
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