Ausstellung:Kunstsinnige Krieger

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Kampfszene: Ein schwer bewaffneter samnitischer Krieger erschlägt seinen gestrauchelten Gegner. Bildnis auf einem tönernen Weingefäß, einem sogenannten Glockenkrater, aus dem späten 4. Jahrhundert vor Christus. Museo del Sannio Caudino, Montesarchio. (Foto: Ministero della Cultura, Fototeca Direzione Regionale Musei Campania (O. Fabozzi))

Die Staatliche Antikensammlung zeigt die Samniten als "letzten Rivalen Roms". Es ist die erste umfassende Schau über dieses vergessene Volk außerhalb Italiens.

Von Michael Zirnstein, München

Über das Vitrinenglas streicht der Zeigefinger von Florian Knauß entlang der Buchstaben auf dem Kalksteinbrocken. Von rechts nach links, wie üblich in dieser oskischen Schrift. "Safinim", skandiert Knauß. Der Direktor der Staatlichen Antikensammlung lässt das Wort ehrfürchtig im Raum stehen. So nannten die Samniten ihr Land. Und so ist diese Inschrift von 125 vor Christus aus dem Heiligtum von Pietrabbondante ein Beleg dafür, dass die vier vor allem Vieh hütenden Stämme aus den Hügeln und Tälern im Hinterland Neapels, die als Krieger gefürchtet waren und von römischen Propagandaschreibern als "Wilde aus dem Bergen" diffamiert wurden, überhaupt eine gemeinsame Identität und Kultur hatten.

Vor drei Jahren wandte sich Enrico de Agostini, der gerade sein Amt als italienischer Generalkonsul in München angetreten hatte, an Knauss. Er schlug vor, zusammen eine Ausstellung über die Samniten zu machen, die alten Bewohner seiner Heimat Samnium oder Sannio. "Ich muss einräumen, dass ich kaum etwas über dieses altitalienische Volk gewusst habe", sagt der Archäologe. Nur an das Übersetzen des Textes von Livius über das "Caudinische Joch", der (wohl etwas zu) farbig den Triumph der Samniten über die Römer schildert, erinnerte er sich. Außer den drei Samnitenkriegen von 343 bis 290 vor Christus gegen ein noch ebenbürtiges Rom hat die klassische Archäologie diesen Teil des Altertums auf der gestiefelten Halbinsel übersehen. Und so äußerte Knauss seinen Zweifel, dass das historisch sicher lohnende Thema über "Roms letzten Rivalen" substanziell eine Ausstellung tragen würde. "Dann fahren wir dahin", sagte der Konsul, und führte Knauß und dessen Stellvertreter Christian Gliwitzky ein Wochenende lang durch die dortigen Museen, die alle stolz das "Sannio" im Namen tragen. Zurecht, findet Knauß: "Wir waren beeindruckt von der Fülle und dem Charakter der Objekte. Das hat uns gezeigt, dass die samnitischen Hirten, oder wenigstens eine breite Oberschicht, keine Hinterwäldler waren. Die Reise hat uns in den Bann gezogen."

Mit diesem Dreischeibenpanzer aus Bronze (aus dem vierten Jahrhundert vor Christus, gefunden in Alfedena) schützten samnitische Krieger ihren Oberkörper. (Foto: Soprintendenza Archeologia, Belle Arti e Paesaggio per le province di Chieti e Pescara / Aquila e Teramo)

Gerade hat de Agostini wieder ein Grüppchen Journalisten durchs Sannio geführt, um sie für diese bergig-grüne Region Kampaniens und Molises zu gewinnen. Natürlich, Pompeji, das Wunderland der Archäologie am Fuß des Vesuv, ist den meisten eh mehr, als sie fassen können. Aber, wer sich wirklich interessiert, kann auch ohne Touristengeschiebe in die Geschichte eintauchen: Auf 1000 Metern Höhe im 7,5 Hektar großen Pietrabbondante, das seinem Namen gemäß ("viele Steine") prima erhaltene Reste einer Anlage aus Tempeln, Kammern und einem Theater mit ergonomischen Rückenlehnen zu bieten hat. Wozu das alles diente? Keiner weiß es wirklich. Man vermutet, dass sich Stammesvertreter der Carricini, Pentri, Caudini und Hirpini hier in einer Art Bundesheiligtum trafen, um für gemeinsame Schlachten zu opfern, beraten und delegieren.

Diese Geheimnisse machen es spannend. Auch die Ausstellung in München, die erste umfassende Samniten-Schau außerhalb Italiens überhaupt. Die Samniten haben kaum Schriftliches hinterlassen, umso bedeutender ist die Bronzetafel von Agnone im ersten Saal, den eine Panoramakulisse von Pietrabondante dominiert. Unweit der Kultstätte, in einem heiligen Hain, fand man die Platte, die für Knauss so wichtig war, dass er sie beim British Museum in London erbat: 15 Altäre sind darauf verzeichnet und dazu die Namen ihrer Götter. Das ist aufschlussreich, da die Samniten wie anfangs auch die Römer erst keine vermenschlichten Götter kannten, sondern wohl eher Naturgeistern huldigten, die sie im Kontakt mit den griechischen Siedlungen in deren passende Heilige kleideten. Etwa in den Wettergott Zeus oder in die über Schwefelquellen und damit die Unterwelt gebietende Mefitis, die in einer bezaubernden Bronzestatuette mit einem Entlein zu sehen ist.

Prunkstück: Ein bronzener Kriegerhelm aus Lavello aus dem 4. Jahrhundert, der Zeit der samnitischen Kriege. (Foto: Direzione Regionale Musei Basilicata (Museo Archeologico Nazionale, Massimo Pallotino, Melfi))

So puzzelt man sich, geleitet vom 120-seitigen Katalog, das Leben der Samniten, von deren Vorgängern in der Eisenzeit bis zum Verschwinden im ersten Jahrhundert vor Christus, zusammen. Vor allem anhand von Fundstücken aus 3000 Gräbern, welche die Museumsdepots in Molise und Kamapnien reich füllen. "Sie haben uns das Beste aus ihren Ausstellungen geschickt", sagt Knauß dankbar. Ehrensache, sagt etwa der Kollege Marcello Rotili aus Benevent, und zeigt eine leere Stelle, wo die Marmorstatue eines Feldherren stand, sowie Handyfotos von Kisten und Kränen. "Molto complicati!" Vor allem Keramik ging auf die Reisen, auch aus dem Museum Caudini di Montesarchio. "Wir wollen, dass die Leute dann zu uns kommen, und den Rest anschauen", sagt die örtliche Tourismus-Chefin Morena Cecere. Dort sind die feinst Schwarz auf Lehmrot mit Göttergeschichten bemalten Gefäße zum Mischen des Weins, "Krater", in Gefängniszellen eines Kastells in Multimedia-Projektionen in Szene gesetzt. "Funktioniert gut", sagt Knauß in München anerkennend. Er präsentiert die Vasen schlicht in Vitrinen - dafür aber auch das begehrteste Samniten-Gefäß, auf das der Künstler Asteas eine der schönsten Darstellungen des Raubes der Europa auf dem Rücken des Zeus-Stieres übers Meer gemalt hat.

Kunstsinnig waren die Samniten, auf anderen Grabbeigaben sind Theater-Motive aus Possenspielen zu sehen, die sie auch selbst verfasst haben. Weinselig bei Dionysos-Banketten (Symposien), an denen möglicherweise anders als bei den Griechen auch Frauen (nicht nur Hetären) teilnahmen. Und tatsächlich kriegerisch, um neues Land für die wachsende Bevölkerung zu gewinnen, wovon allerlei Brustpanzer, Speere und schmucke Helme zeugen. Dennoch wurden sie schließlich von Rom unterjocht und latinisiert. Ein Nachfahre, Pontius Pilatus, richtete in Jerusalem über einen gewissen Jesus von Nazareth. Andere Samniten-Namen tauchen auf einer großen Bronzetafel von 102 n. Chr. auf, die von Kaiser Trajans Einsatz für die Landbevölkerung im Sannio zeugt. Sie beschäftigte schon die Ur-Archäologen Theodor Mommsen und Heinrich Brunn, später Leiter der Glyptothek München. Gefunden aber hat sie Giosuè de Agostini, der Ururgroßvater des Konsuls. Der würde sie am liebsten nach der Ausstellung in einem Museum der Region haben, und nicht im Nationalmuseum von Rom. "Aber dann haben wir den vierten samnitischen Krieg", sagt Florian Knauss, der sich freut, ein vergessenes Volk wieder zum Leben erweckt zu haben, gerade dessen friedliche Seite.

Samium und die Samniten - der letzte Rivale Roms, 11. Mai bis 25. Sep., Di.So. 10-17 Uhr, Staatliche Antikensammlung München

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