Sprengung einer Bombe in Schwabing:Stille herrscht im Treppenhaus

Splitter und Scherben liegen herum, der Brandgeruch beißt noch immer in der Nase: Viele Häuser haben der Bombenexplosion zwar standgehalten, benutzbar sind sie aber noch lange nicht. Und was machen die Schwabinger? Die werden zwischen Krater und Schutt ihrem Ruf gerecht.

Anna Günther

Gerlinde Friese hatte großes Glück, ihr Friseurladen Calfati in der Marktstraße 3 wurde von der Sprengung der Fliegerbombe am Dienstagabend kaum beschädigt. "Im Geschäft ist alles noch heil und die Statiker waren auch schon da, aber ich darf trotzdem nicht arbeiten", sagt Friese aufgebracht. Ihr Laden befindet sich in einem der Häuser, die unmittelbar an den Krater grenzen.

Luftaufnahme am Tag der Bombensprengung in der Feilitzschstraße in Schwabing

Nur Geschäftsleute und Anwohner dürfen das Gebiet um den Krater in der Feilitzschstraße betreten.

(Foto: Klaus Leidorf)

Diese Gebäude wurden von der Wucht des Sprengkörpers am stärksten getroffen: Türen schließen nicht mehr, Fenster sind geborsten, Wohnraum und Waren wurden beschädigt. Auch am zweiten Tag nach der Sprengung wird der Zugang zu allen direkt angrenzenden Häusern in der Feilitzsch-, der Markt- und der Haimhauserstraße von der Polizei abgesperrt.

Nur Anwohner und Ladeninhaber dürfen auf die andere Seite des massiven Zauns. Polizisten bewachen die Sperrzone, um zu verhindern, dass Neugierige in die Gebäude gehen oder Schabernack getrieben wird. 25 beschädigte Häuser wurden von Statikern untersucht und freigegeben. Keines der Gebäude ist vom Einsturz gefährdet, die Schwabinger können nach drei Nächten in Notunterkünften oder bei Freunden wieder in ihre Wohnungen zurückkehren - doch viele Räume dürften unbewohnbar sein.

"Wir haben großes Glück gehabt. Wäre die Bombe am Montag hochgegangen, wir wären alle weg", sagt Friese. Die Wohnungen im Haus seien viel schlimmer getroffen als ihr Geschäft. Seit 30 Jahren schneidet sie im Herzen Schwabings Haare, zehn Jahre gibt es den Laden in der Marktstraße.

Idylle zwischen Krater und Schutt

Erst am Mittwochabend konnte Friese wieder hinein, "ich hatte 58 Anrufe auf der Mailbox, jetzt habe ich das Telefon aufs Handy umgestellt". Wann sie wieder öffnen kann, weiß die Friseurin nicht. Fremden und Kunden ist der Zutritt zur Sperrzone verboten. "Die Türen stehen ja alle offen", sagt Friese verständnisvoll. Auch die Anwohner passen auf, wenn die Polizei nicht vor ihrer Türe steht. Man kennt sich, fremde Gesichter werden argwöhnisch beobachtet.

Im Gebäude und dahinter im Innenhof wird die Wucht des Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg erst richtig deutlich. Schon außen, kurz vor der Haustüre, sticht der beißende Brandgeruch in die Nase, innen ist es kaum auszuhalten, überall im Flur liegen Scherben. Die Stille im Treppenhaus ist gespenstisch. Ein Schild auf der Türschwelle zum Hof warnt vor herunterfallenden Glassplittern, ein Teppich aus Bruchstücken bedeckt das Pflaster. Rasen, Beete und ein Baum wirken beinahe unecht - trotzige Idylle zwischen Krater und Schutt.

Nur eine blaue Plane und ein Bauzaun trennten die Bewohner des Hauses von der Baustelle. Und von der Bombe. Im Krater sammelt sich Wasser, nasses Stroh bedeckt das Areal, daneben stehen noch Ballen aufgetürmt. Die Druckwelle hat das Gebäude unmittelbar erwischt, alle Fenster sind zerstört, die Rahmen teilweise gebrochen, die Dichtungen hängen herunter. Notdürftig wurden die Öffnungen mit weißen Planen geschlossen. Sie selbst habe ja nur den Laden hier, aber die Nachbarn täten ihr leid, sagt Friese.

Schwabinger halten zusammen

Das Gemeinschaftsgefühl sei deutlich spürbar, bestätigt Till Hofmann, viele Nachbarn würden sich helfen und jetzt erst richtig kennenlernen. Der Geschäftsführer der Lach- und Schießgesellschaft verfolgte die Sprengung via Live-Ticker auf dem Heimweg aus dem Urlaub.

Keines seiner Cafés und Restaurants sei beschädigt worden, sagt Hofmann. Die Vorstellungen im Lustspielhaus mussten ausfallen, die Karten konnten zurückgegeben werden. Für ihn ist jetzt vor allem die Politik gefordert, damit die beschädigten Häuser nicht zu Spekulationsobjekten werden. Den Vermietern sollte geholfen werden, damit die Mieter bleiben können.

Polizei hält Eindringlinge fern

Auch die große Dankbarkeit gegenüber der Polizei und der Feuerwehr ist im Viertel spürbar - ob in den Gesprächen oder im direkten Kontakt zu den Beamten. Alexander Heintze bevorzugt Signalfarben: Konzentriert malt er mit blutroter Farbe auf eines seiner provisorischen Schaufenster "Wir bedanken uns bei Polizei und Feuerwehr". Das sei ihm ein ernstes Bedürfnis, sagt Heintze. Die Beamten haben auch sein Geschäft Bella Natura an der Ecke Markt- und Haimhauserstraße vor unbefugten Eindringlingen geschützt.

"Gestern haben wir um fünf Uhr morgens angefangen, hier aufzuräumen", sagt Heintze, fertig seien er und seine Frau noch lange nicht. Sein kleiner Sohn Diego schiebt mit den Füßen große Glassplitter über den Asphalt. Fünf Schaufenster wurden zerstört. Im Inneren seien die Schäden viel schlimmer, sagt Keyla Heintze. Die Druckwelle habe die verglaste Rückseite des Ladens bersten lassen und die Fenster aus ihren Rahmen gedrückt. Überall in Lager und Laden lägen Scherben. "Sogar ein Stück des Mauerwerks ist rausgeflogen."

Trotz der Sprengschäden wird Schwabing seinem Ruf auch zwei Tage danach gerecht: Flaneure spazieren durch die Straßen, vor den geöffneten Cafés genießen Sonnenhungrige die letzten warmen Strahlen - von Stroh auf den Straßen, Scherben und Spanplatten in den Fenstern lassen sie sich nicht irritieren.

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