Sprechblasen zum Oktoberfest:Die Wiesn - ein Comic

Eine höllische Nacht für den Anzapfkönig: 20 Münchner Zeichner haben der Jubiläumswiesn einen Comicband gewidmet, der nicht nur die schönen Seiten des Oktoberfests ins Bild setzt.

Michael Zirnstein

Das echte Oktoberfest lockt diese zwei jungen Münchner kaum. "Ich geh' vielleicht mal am Vormittag drüber, wenn kein Trubel ist", sagt Frank Cmuchal, "aber zwei Wochen lang Halligalli und Biersaufen, das ist nichts für mich." Tatsächlich fällt es schwer, sich den Hünen samt Künstlerbart und Rastazöpfen in Tracht vorzustellen.

Sprechblasen zum Oktoberfest: G'schichten von der Wiesn gibt's jetzt auch als Comic.

G'schichten von der Wiesn gibt's jetzt auch als Comic.

(Foto: Volk Verlag)

Jan Reiser, wie Cmuchal Vorsitzender des Münchner Strichkunst-Vereins Comicaze, kann sich ebenso wenig für den Trubel erwärmen, höchstens für gebrannte Mandeln. "Schnell rein und wieder raus", sagt er. Er wohnt gleich ums Eck in der Lindwurmstraße. "Den ganzen Sommer über ist's gemütlich bei uns, aber bei der Wiesn ist's vorbei."

Ausgerechnet diese Wiesn-Schwarzseher sind verantwortlich dafür, dass der Rummel nun in prächtigsten Farben gefeiert wird - im ersten offiziellen Comic zum Oktoberfest: "Wiesn G'schichtn", erschienen mit festem Einband im Volk-Verlag für 16,90 Euro.

Zwanzig Mitglieder und Freunde des Münchner Comicaze-Vereins haben ein gutes Jahr lang für 15 Episoden auf 87 DIN-A4-Seiten recherchiert, getextet, gezeichnet, coloriert und sich in regelmäßigen Redaktionssitzungen ausgetauscht - "das war echte Team-Arbeit", sagen die Herausgeber.

Bei aller Buntheit ist nicht alles rosig auf der Comic-Wiesn. In "Udes Alptraum" lässt Cmuchal den Oberzapfmeister eine höllische Nacht vor dem Anstich durchleiden: Er steht schwitzend vor einer Jury, bestehend aus Rudolph Moshammer, Edmund Stoiber und Dieter Bohlen, nachdem zunächst Thomas Wimmer (19 Schläge) und Arnold Schwarzenegger (ein Schlag, Fass kaputt) versagten.

Doch "Tock Tock Tock Tock Tock Tock Tock" tönt es über der Stadt mit volltrunkenem Vollmond, und nach einer Nacht des Übens im Keller kann ein "Ozapft is" in der Ude'schen Sprechblase erscheinen, und ein "Puh - geschafft!" in der Denkblase.

"Wer ko, der ko!"

Ein weiterer Herrscher taucht immer wieder auf, in sehr unterschiedlichen Stilen gezeichnet: Ludwig. 1810 ist von ihm als Kronprinz die Rede, zu dessen Hochzeit mit Prinzessin Therese ein Pferderennen auf einer Wiese zwischen München und Sendling veranstaltet wird. Bald ist er als König Ludwig I. von Bayern in seiner Kutsche im Englischen Garten zu sehen, verdutzt dem ihn überholenden Sechsergespann des Franz Xaver Krenkl nachplärrend: "Aber, Krenkl, weiß er denn nicht, dass er das nicht tun darf?", daraufhin den legendären Münchner Ausspruch hörend: "Majestät, wer ko, der ko!"

Und als Griechenland liebender Stadtplaner beauftragt Ludwig Ferdinand von Miller mit dem Guss der Bavaria. Vor deren Fertigstellung muss er abdanken, weil er sich von der obszönen, gar verbotenerweise im Freien rauchenden Tänzerin Lola Montez den Kopf verdrehen ließ.

Historische Details mit geflunkerten Episoden

Alles Münchner Geschichten und Geschichte - eine gelungene Fortführung des ersten Historien-Comics "Anno Domini", den der Comicaze-Verein zum Stadtfest 850 Jahre München veröffentlicht hat. Zum großen Wiesn-Jubiläum haben sie erneut Kurioses, Bedrückendes und Interessantes aus Text- und Bildarchiven aufs Zeichenpapier gebracht: Wer die stärkste Frau war auf der Theresienwiese; warum die Hitlerjugend 1939 auf dem "Großdeutschen Volksfest" pöbeln, aber kein Bierzelt betreten durfte; oder wie es zum Denkmal für die Opfer des Attentats kam.

Sprechblasen zum Oktoberfest: 20 Münchner haben für die Jubiläumswiesn einen Comic-Band gezeichnet.

20 Münchner haben für die Jubiläumswiesn einen Comic-Band gezeichnet.

(Foto: Volk Verlag)

Als Lektüre für den Geschichtsunterricht taugt das Comic-Buch allerdings trotz der präzise umgesetzten historischen Bild-Details nicht. So stimmt es zwar, dass Albert Einstein mit neun Jahren als sauber gescheitelter Bub bei der Elektrifizierung des Schottenhammel-Zelts mithalf, nicht aber, wie er durch einen haarsträubenden Zwischenfall zu seiner berühmten Frisur kam.

Jan Reiser hat sich das zusammengesponnen. Aber er hat beim Recherchieren auch "einen Haufen gelernt" über sein Viertel: Dass die Einsteins eine elektrische Manufaktur in der Lindwurmstraße 127 hatten, wusste er von der Plakette an dem Haus, nicht aber, dass sie die ganze Wiesn und Schwabing verkabelt haben, dass die Fabrik später das jüdische Gemeindezentrum und zur Nazi-Zeit ein Krankenhaus nur für Juden war. Da sage noch mal einer, Comics machen dumm.

Es wird natürlich viel geflunkert: Etwa, wenn zwei Herren den sagenumwoben kräftigen Steyrer Hans, der in einer Keilerei mit der Polizei auf gallische Art die "Einzugsermächtigung" für alle Wiesnwirte erkämpft, fragen: "Sagen sie, Monsieur Steyrer, wie sind sie eigentlich so stark geworden?" - "Mai, wia i noch a kloana Bua gwen bi, do bin i amoi in a Faßl mit Starkbier einigfoin . . ." Eingeweihte erkennen in den beiden Franzosen übrigens René Goscinny und Albert Uderzo, die Erfinder von "Asterix".

"Hier schlägt das wahre Herz Deutschlands"

Auch wenn Reiser und Cmuchal mit dem auf Bavarica und Historisches spezialisierten Volk-Verlag schon über das nächste Comic-Projekt verhandeln, vielleicht nehmen sie sich heuer doch einmal Zeit für einen Wiesnbesuch.

Literarisch angeregt von einem mit Kugelschreiber bebilderten Brief Thomas Wolfes. Der schrieb, noch unter dem schmerzlichen Eindruck eines Hiebes mit einem Bierkrug: "Hier schlägt das wahre Herz Deutschlands, nicht das der Dichter und Denker. Sie essen und trinken sich in einen bestialischen Zustand tierischen Stumpfsinns hinein. Wunderbar!"

Der Verein Comicaze stellt den Wiesn-Comic auf seinem Stand am Sonntag, 12. September, auf dem Streetlife-Festival (Leopold- und Ludwigstraße) aus. Am Dienstag, 14. September, 17.30 Uhr, signieren einige der beteiligten Zeichner im Buchkaufhaus Hugendubel am Marienplatz.

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