Sprachwissenschaft:Warum das Bairische einer Weltsprache ebenbürtig ist

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"Dialekt ist was Tolles", sagt der Sprachwissenschaftler Günther Grewendorf. Er ist ein sprachmächtiger Dozent. (Foto: privat)

Der Linguistikprofessor Günther Grewendorf begeisterte mit seinen Vorlesungen weltweit, jetzt befreit er in einem Buch das Bairische vom Ruch des "hinterwäldlerisch Verschrobenen".

Von Karl Forster

Es ist saumäßig steil. Es ist saumäßig eisig. Und auch noch duster und eng wie im Tunnel. Wer die Alpgartenrinne an der Nordseite des Lattengebirges Richtung Bad Reichenhall runterfährt, muss schon ein ziemlich guter Skifahrer sein. Wenn also der Linguistikprofessor Günther Grewendorf in einem Fragebogen des Börsenblatts des Deutschen Buchhandels angibt, der mutigste Moment in seinem Leben sei eben diese Abfahrt gewesen, darf man daraus schließen: erstens, dass die Antwort "Skifahren" auf die Frage nach seinen Hobbys ganz ohne Koketterie nach dem Motto "Schau eam o, da Professor fahrt Ski" beantwortet wurde; und zweitens, dass dieser Professor das Skifahren genauso gut beherrscht wie sein Fach, die Linguistik.

Man könnte jetzt den bairischen Spruch "Wer ko, der ko" anbringen und läge gar nicht so weit weg von der Profession des Günther Grewendorf. Der "ko" nicht nur gescheit Ski fahren. Die Linguistik ist eine ähnlich große Herausforderung innerhalb der Germanistik - scheuen doch viele Studenten dieses Spezialfach ob seiner vermeintlichen Theorielastigkeit wie der Teufel das Weihwasser. Nicht so beim Alpgartenrinnenbezwinger Grewendorf.

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Der schaffte es, der Linguistik so viel wissenschaftlichen Eros abzugewinnen, dass seine Vorlesungen rund um die Welt für Begeisterung sorgten, vom MIT in Boston bis zur ähnlich renommierten Keiō-Universität in Tokio. Jetzt bricht der Sprachwissenschaftler mit dem Dialekt-Erklärungs-Buch "I mog di obwoist a Depp bist - Warum Bairisch genial ist" eine Lanze für seine Heimatsprache. (Verlag Kunstmann, 20 Euro).

Günther Grewendorf, Jahrgang 1946, kommt, die Liebe zum Lattengebirge lässt es ahnen, aus Bad Reichenhall. Was das Bairische angeht, war er zwar erblich nicht vorbelastet, Vater aus Stettin, Mutter vom Bodensee. Doch wurde ihm der in Bad Reichenhall heimische Dialekt, mit Farbtupfern von Chiemgau und Rupertigau, von der Umwelt mitgegeben. Die Freunde nannten ihn "Grewei", weil man dort alle Familiennamen auf zwei Silben reduziert, wobei diese zweite dann durch ein "ei" ersetzt wird. Und dieses Aufwachsen führte sehr viel später zur Erläuterung über die "kritische Erwerbsphase" der Sprache in seinem Buch.

Grewendorfs Conclusio lautet, dass "Dialekte mit ihren spezifischen grammatischen Eigenschaften als eigenständige Sprachsysteme anzusehen" seien, die man sich am einfachsten in der Kindheit bis zur Pubertät aneignet. Sonst wird es so mühselig wie das Erlernen einer Fremdsprache mit all den Fallen bei Aussprache und Grammatik.

Diese und ähnliche wissenschaftlichen Schlüsse führten ihn zu der gerade für Bayern tröstlichen Erkenntnis, dass "die Geringschätzung, die Dialekten und Dialektsprechern häufig entgegengebracht wird", linguistisch absolut "ungerechtfertigt" sei.

Günther Grewendorf hat sich mit diesem Buch nach der Emeritierung von der Frankfurter Goethe-Universität, wo er von 1984 bis 2014 lehrte, selbst ein Geschenk gemacht, wie er fröhlich am Telefon zugibt. Das ist beim Lesen durchaus zu spüren, wenn der Autor genüsslich Sprüche von Karl Valentin, Gerhard Polt oder Bruno Jonas analysiert. Gerade Valentin muss herhalten, wenn Grewendorf sich und seine Arbeit beschreibt. Hat der Dichter sich doch gerne als "Wortsteller" bezeichnet; was Grewendorf für sich dann in "Satzsteller" wandelte - als einen, der die bairische Grammatik seziert, um so deren unsichtbare Feinheiten sichtbar zu machen. Zum Beispiel mit dem recht zeitgemäßen Satzteil "... Söder, der wo a Grüner worn is". Der linguistische Forschungsansatz gilt dabei dem Wörtchen "wo", so wie auch bei dem Satzfragment "Dea Mo, den wo dass-st du bschissn host". Grewendorf kann sich seitenweise über solche dialektischen Eigenheiten auslassen, ohne dass es auch nur einen Buchstaben lang langweilig würde.

Das liegt vielleicht auch daran, dass er sich in Frankfurt lange mit Ludwig Wittgenstein befasst hat. Dessen Arbeiten zur analytischen Sprachphilosophie gehören zum Kanon einschlägiger Wissenschaften wie der Satz "Mia san mia" zur Welt des Fußballs (und der wird hier kontrastiert mit der Erkenntnis "Mia samma mia", was wieder eine ganz andere Intension hat).

Zur Sprachforschung, wie Grewendorf sie betreibt, gehört auch die Sprachmelodie. Und da hat ihm vielleicht geholfen, dass er schon zu Gymnasialzeiten ("humanistisch, Latein, Griechisch, das volle Programm") Trompete in einer Dixielandband blies, mit dem gebürtigen Reichenhaller Georg Ringsgwandl an der Posaune. Heute spielt er den dreijährigen Enkel mit der Gitarre in den Schlaf.

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Grewendorfs großes Anliegen ist, das Bairische, respektive dessen Grammatik, vom Ruch des "hinterwäldlerisch Verschrobenen" zu befreien, ja gar zu einer den Weltsprachen ebenbürtigen Partner zu adeln. Zum Beispiel bei der doppelten Verneinung: Die führt in der deutschen Hochsprache, wenn sie überhaupt vorkommt, zu einer Bejahung ("Keine Macht für niemand", sangen Ton, Steine Scherben). Grewendorf führt hier das Beispiel an "Bei uns hod no nia koana Hunga ned lein miassn". Und freut sich diebisch, wenn man ihm erzählt, wie einst ein niederbairischer Bauer einem Hund ein Kompliment machte mit dem Satz: "Mei, du bis fei koa Schiacha ned!"

Günther Grewendorf ist, man hört das beispielsweise in einem Interview auf Bayern 2, ein sprachmächtiger Dozent und auch ein gewiefter Verkäufer seiner Wissenschaft und seiner selbst. So ist es kein Wunder, dass er das Bairische auch in den angloamerikanischen Sprachraum zu expedieren wusste, durch seine Dozentenarbeit in Boston etwa oder durch das Buch "Bavarian Syntax", das er mit dem Frankfurter Kollegen Helmut Weiß verfasst hat. Er steckte in der Uni am Main auch die Studenten aus Hessen an. Nicht dass die jetzt Bairisch hätten lernen wollen. Aber Lust am eigenen Dialekt hatten sie schon bekommen und "das Bewusstsein, dass Dialekt was Tolles ist", sagt Grewendorf.

Auch früher gab es an Münchens Volkshochschule schon Kurse in Bairisch. Die erschöpften sich aber in so profunden Erkenntnisse wie "Oa Oa und no a Oa san zwoa Oa."

Welch Sprachwunder vollbringen da im Gegensatz Grewendorfs Lieblingsprotagonisten wie Valentin, Polt oder Jonas. Aber wussten oder wissen sie um die grammatikalischen Feinheiten, die sie benutzen, oder kommt so was einfach aus dem Bauch, aus der Seele? Grewendorf ist sich sicher: "Ich glaube fest, dass die so gesprochen haben, ohne sich selbst im Klaren zu sein, was für wunderbare Phänomene sie da benutzen."

Er hätte, das gibt er auch zu, noch diverse Kapitel anzuhängen gewusst, vielleicht eines über den Unterschied zwischen Ober- und Niederbairisch, oder eines über den bairischen Konjunktiv, ein Thema, das wohl einer Promotion würdig wäre. "Aber irgendwann muss ein Ding ein Ende haben", sagt der Forscher. "Gnua is gnua!"

© SZ vom 24.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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