Sprachen lernen:Viel mehr als die Vermittlung des Dativs

Sprachen lernen: Andrea Enthofer (rechts) ist bei Tandem Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache.

Andrea Enthofer (rechts) ist bei Tandem Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache.

(Foto: Robert Haas)

Jutta Huber und Marcelo Avalos gründeten vor mehr als 30 Jahren die Sprachenschule Tandem. Ihre Anschubfinanzierung: Idealismus.

Von Sabine Buchwald

Warum sie DaF, also Deutsch als Fremdsprache, studiert hat? Jutta Huber antwortet sofort: "Weil ich einen Beruf wollte, mit dem ich ins Ausland gehen kann." Sie hat viele Länder gesehen, weil sie gerne reist. Aber ihr Leben ist anders verlaufen, als sie es sich Anfang der Achtzigerjahre als DaF-Studentin selbst einmal vorgestellt hatte.

Jutta Huber lebt in München und leitet mit Marcelo Avalos die Sprachenschule Tandem, die sie vor mehr als 30 Jahren zusammen mit Studienfreunden gegründet haben. DaF hat beide an München gebunden. Sie haben sich gegen ein Leben als Expats entschieden.

Minimum sieben Mitglieder braucht es für einen gemeinnützigen Verein. Sie waren acht damals im Herbst 1988. Acht DaFler der Ludwig-Maximilians-Universität, der LMU, die Lust hatten, mit Menschen aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen. Von dem damals noch frischen Begriff der Interkulturellen Kommunikation hörten sie in Seminaren oder Vorlesungen, an dem zu dieser Zeit ebenfalls noch jungen DaF-Institut. Mit der Gründung des Vereins Tandem lernten sie die Praxis.

Jedes Mitglied hatte dabei sein individuelles Motiv. Marcelo Avalos zum Beispiel ist zweisprachig mit einer deutschen Mutter und einem chilenischen Vater aufgewachsen. Er zog mit seiner Familie häufig um und musste sich immer wieder in eine neue Kultur einfinden. Dabei erlebte er, was es bedeuten kann, wenn man mit jemandem über etwas spricht, das einem fremd vorkommt: Es wirkt weniger bedrohlich. Das mag ein muffeliges, aber nett gemeintes "Grüß Gott" eines Münchners sein; oder der sächliche Artikel, den manche Lerner als deutsche Hinterhältigkeit empfinden.

Die Grundidee von Tandem ist, Sprachpartnerschaften zwischen Muttersprachlern zu vermitteln, egal welcher Sprache. Nach klaren Regeln sollen sie außerhalb des Unterrichts vor allem sprechen üben. Das Prinzip ist nicht neu. Es gibt Quellen, die von Lerninitiativen dieser Art schon im England des 18. Jahrhunderts berichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es deutsch-französische, mit dem Gastarbeiterstrom deutsch-türkische Austauschprojekte.

Jürgen Wolff, ein ehemaliger Lehrer des Goethe-Instituts, griff die Idee auf und legte 1979 in Madrid den Grundstein für das Tandemnetzwerk. Vor 40 Jahren also, auch das ein Jubiläum. 19 Schulen in Europa und Südamerika gehören derzeit dazu. Insgesamt acht sind es in Deutschland. Die Schule in Frankfurt ist die größte im deutschen Netzwerk. Tandem München steht mit etwa 1700 Schülern pro Jahr auf stabilen Beinen. Dass sie jemals so viele Kurse geben würden und sich ein festes Gehalt zahlen können, hatten Huber und Avalos anfangs nicht erwartet.

Nach der Vereinsgründung vermittelten sie nur Tandem-Partnerschaften, drei Kontakte für eine Bearbeitungsgebühr von 15 Mark. Namen und Adresse, das Sprachniveau, nach dem sie die Duos zusammenstellten, waren auf Karteikarten vermerkt. Werbung machten sie mit kopierten Flyern. Irgendwann gab es das erste binationale Liebespaar, und auch Huber und Avalos heirateten.

Sprachen lernen: Jutta Huber und Marcelo Avalos boten in ihrer Sprachenschule im Sommer 1989, also vor 30 Jahren, die ersten Deutschkurse an.

Jutta Huber und Marcelo Avalos boten in ihrer Sprachenschule im Sommer 1989, also vor 30 Jahren, die ersten Deutschkurse an.

(Foto: Robert Haas)

Im Sommer 1989 boten sie die ersten Deutschkurse an, weshalb sie heuer ihr 30-jähriges Bestehen feiern. Sie fanden Unterschlupf bei einer anderen Sprachenschule. Ihr Büro war ein Schrank mit einem Anrufbeantworter. Mit Nebenjobs verdienten sie das Geld für die Tandem-Miete und ihren Lebensunterhalt. Sie saßen an ihren Magisterarbeiten und hatten etwas aus dem Bauch heraus begonnen, das man heute Start-up nennen würde. Nur: "Wir waren ein Start-up ohne Businessplan", sagt Avalos.

Idealismus war ihre Anschubfinanzierung. Was sehr half, war das Tandemnetz, in das sie eingebettet waren, ein Networking, lange bevor dieser Begriff populär wurde. Schon damals gab es regelmäßige Treffen an den verschiedenen Tandemstandorten, zum Austausch, für Fortbildungen. Außerdem schickte man sich gegenseitig Schüler. Lehrer fanden sich im Umfeld des DaF-Instituts.

Nachdem die ersten Sommerkurse erfolgreich gelaufen waren, entwickelte sich dann doch die Vorstellung von einer eigenen kleinen Sprachschule. Einige Kommilitonen der ersten Stunde entschieden sich nach ihrem Abschluss für eine Karriere im Ausland, so wie es Jutta Huber ursprünglich im Sinn gehabt hatte. Sie promovierten, wurden Lektoren beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, arbeiteten für Goethe-Institute. Oder sie fanden Jobs bei Verlagen, die DaF-Lehrwerke konzipieren.

Huber und Avalos wagten den Schritt in die Selbständigkeit und mieteten im Glockenbachviertel eine Drei-Zimmerwohnung an, in der sie fortan rund ums Jahr Unterricht anboten. Dazu gab es ein buntes Kulturangebot mit Einkaufsbummel auf dem Viktualienmarkt und Konzerterlebnissen im Olympiapark. Intensivkurse endeten oft mit Parties an der Isar. "Damals lernten unsere Schüler Deutsch vor allem zum Spaß", sagt Avalos. Heute bräuchten viele die Sprache für die Arbeit und wollten Prüfungen machen, Zertifikate mitnehmen. Der kreative Unterricht leide unter dieser Zielstrebigkeit.

Inzwischen hat die Schule ihren Sitz am Kurfürstenplatz und bietet Kurse in vier Schichten an. Das Augenmerk liegt weiterhin auf Deutsch als Fremdsprache. Aber auch Englisch, Spanisch und Italienisch sind gefragt. "Die Konkurrenz an Sprachschulen in München ist riesig", sagt Avalos. Ihn ärgert die "Aldi-Mentalität", die Schulen mit Dumpingpreisen hätten. Manche Schüler reagieren entsprechend und stornieren in letzter Minute. Das macht es schwierig, Kurse zu planen. Dennoch kann Tandem seinen Mitarbeitern feste Verträge anbieten. "Darauf sind wir stolz", sagt Jutta Huber.

Feste Verträge sind in der Branche nicht überall üblich. Viele Sprachlehrer in der Erwachsenenbildung, die Mehrzahl sind Frauen, arbeiten auf Honorarbasis, ohne Altersabsicherung, Krankengeld und Urlaubsanspruch. Das macht den Beruf prekär.

DaF im In- oder Ausland heißt Botschafter sein für deutsche Kultur und Sprache, das geht weit über die Vermittlung des Dativs hinaus. Deutsche Kultur, das sind auch Gummibärchen. Eine Schale mit Süßkram steht bei Tandem immer auf dem Tresen. Zwischen den Unterrichtsstunden ist es eng und quirlig im Foyer. Die Schule könnte sich vergrößern und sucht dringend neue Räume.

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40 Jahre DaF

Gegründet wurde das Institut Deutsch als Fremdsprache (DaF) eigentlich schon 1978. Franz Josef Strauß war in jenem Jahr bayerischer Ministerpräsident geworden, und es heißt, die Gründung sei seine Initiative gewesen. Doch nicht er, sondern Harald Weinrich, mittlerweile 91 Jahre alt, gilt als Vater der Münchner DaFler, wie sich die Studierenden flapsig nennen. Jene, die das Privileg hatten, Vorlesungen des Romanisten und Germanisten zu hören, schwärmen: Tiefgreifend und doch verständlich waren sie, charmant und nie langweilig. Die Atmosphäre an dem noch jungen LMU-Institut an der Ecke Schelling- und Ludwigstraße war familiär. Niemand bestand auf seinen Titel und man hatte - anders als bei den Germanisten - mögliche Berufsbilder vor Augen: Deutschlehrer, Lektor, Dozent oder gar Leiter eines Goethe-Instituts. Vor allem lockte ein DAAD-gefördertes Praktikum im fernen Ausland. Man berichtete sich von Mexiko, Australien oder Thailand. Erasmus gab es damals noch nicht. In den vergangenen 40 Jahren hat sich viel verändert. Die Kulturen sind sich näher gekommen, Mehrsprachigkeit ist der Regelfall und die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich erweitert. Wie der Mensch zur Sprache kommt, ist bis heute eines der zentralen Lern- und Forschungsbereiche im Fach DaF. Das Institut ist in deutschlandweite Forschungsnetzwerke eingebunden. Die im November 2013 gegründete Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit (IFM) ist an das Institut angegliedert. Auch interkulturelle Aspekte in der Literatur stehen im Mittelpunkt des Studiums. Das alles wird auch in dem Symposium zum Jubiläum diesen Freitag zur Sprache kommen. Neben anderem wird Institutsleiterin Claudia Riehl über die Zukunftsperspektiven der Mehrsprachigkeitsforschung sprechen. Bevor es um 16.30 Uhr im Hauptgebäude (A120) um die Frage geht: Quo vadis DaF? Ab 18 Uhr wird in der Großen Aula gefeiert. bub

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