Süddeutsche Zeitung

Sportvereine:Wie Trainer Gehirnerschütterungen beim Sport verhindern wollen

  • Bei vielen Sportarten geht es rustikal zu. Damit Kinder keine bleibenden Schäden erleiden, wurde in den USA ein generelles Kopfballverbot für Nachwuchskicker erlassen.
  • Das Thema spielt auch in München eine immer größere Rolle, die Trainer sind vorsichtiger geworden.
  • Vor allem in Football- und Eishockey-Mannschaften hat ein Umdenken stattgefunden.

Von Christoph Leischwitz

Christian Leischnig sagt, man gehe sehr "offensiv" damit um, dass man in Sachen Kopfverletzungen vorsichtiger geworden ist. Der Jugendtrainer des Footballklubs Munich Cowboys erzählt, dass "wir das auf Elternabenden offen ansprechen, und zwar, bevor die Eltern fragen". Grundsätzlich habe im American Football, auch in Deutschland, aufgrund der Berichterstattung über horrende Langzeitschäden schon ein Umdenken stattgefunden. Regeln seien bereits geändert worden, so soll beispielsweise niemand mehr mit dem Helm voraus einen Gegenspieler anlaufen.

Und ohnehin starten Kinder nicht mit der Tackle-Variante dieses intensiven Kontaktsports, sondern mit der deutlich sanfteren Variante namens Flag-Football. Das bedeutet: Um einen Spielzug zu beenden, muss man den Ballträger nicht zu Boden werfen, sondern lediglich ein Stück Stoff aus dessen Gürtel ziehen. Ab der U 15 kann man sich bei den Cowboys dann entscheiden, ob man zum Tackle-Football wechseln möchte. Große Bedenken scheinen die meisten Eltern aber nicht zu haben. Obwohl die Sportart in Deutschland zurzeit Zulauf hat, werden die Flag-Teams nicht größer.

Leischnig, selbst ehemaliger Spieler, sagt aber auch, dass es unrealistisch wäre, Kopfverletzungen komplett auszuschließen. Deshalb sei es immens wichtig, diese sofort zu erkennen, und einen Spieler dann aus dem Spiel zu nehmen. Hier seien aber auch alle Beteiligten vernünftiger geworden. Die im Football viel diskutierten Langzeitschäden rührten vor allem daher, dass in den Siebziger- und Achtzigerjahren ganz anders gespielt wurde. "Damals war es ja geradezu toll, nach dem Training Kopfweh zu haben", sagt Leischnig.

Auch im Eishockey hat bereits ein Umdenken stattgefunden. Wobei Ron Chyzowski betont, dass die Gefahr von Körperverletzungen bei Eishockey spielenden Kindern per se nicht sehr groß sei. "Grundsätzlich besteht ein großer Unterschied betreffend Tempo und Härte" zwischen Erwachsenen und jungen Sportlern, sodass ein Aufprall selten bleibende Schäden hinterlasse. Trotzdem ist Tackeln vorsichtshalber verboten: Es könnte sonst ja passieren, dass ein 80-Kilo-Brocken auf einen 40-Kilo-Hänfling trifft.

Der 53-jährige Kanadier ist ehemaliger Profi und seit 20 Jahren Coach, er hat schon Spieler wie NHL-Profi Leon Draisaitl trainiert und betreut zurzeit die U 17 des EHC München. Das ist die erste Altersklasse, die mit Körperkontakt spielt. Das größte Problem bezüglich Kopfverletzungen ist aus seiner Sicht, "wenn ein Spieler gecheckt wird, ohne dass er den Gegner kommen sieht". Dann ist beispielsweise ein Schleudertrauma nicht ausgeschlossen. Das zweite Problem: Bodychecks an der Bande, bei denen der Angegriffene möglicherweise mit dem Kopf gegen das Plexiglas knallt. Für beide Fälle gibt es eine recht einfache Lehrtechnik, die Chyzowski seinen Spielern eintrichtert: Wenn man das Wappen auf der Brust des Gegners sieht, darf man tackeln. Wenn man die Rückennummer sehen kann, nicht. Damit ist gewährleistet, dass der Gegner zumindest eine Chance hat, den Angreifer kommen zu sehen.

Ein Stoppschild auf dem Rücken

In Kanada, erzählt Chyzowski, sei man schon einen Schritt weiter: Dort haben Trikots von Jugendspielern oft schon ein kleines Stoppschild auf den Rücken genäht. Die Grundlagen für ein sauberes, erlaubtes Checken werden allerdings auch schon gelegt, bevor Checks erlaubt sind. Für Chyzowski sinkt die Wahrscheinlichkeit für schwere Unfälle merklich, je besser die Spieler in der Kindheit das Schlittschuhlaufen lernen. Danach gehe es dann darum, das Ungestüme zu zähmen: "Sechzehnjährige sind voll mit Energie. Die wollen am liebsten körperbetont spielen. Da ist es wichtig, dass bis dahin die Körperbeherrschung stimmt."

Im Fußball sind Kopfverletzungen zwar deutlich seltener als bei den amerikanischen Kontaktsportarten. Das macht die Problembehandlung aber nicht unbedingt einfacher. Erstens scheint das Bewusstsein für die Gefahr von Gehirnerschütterungen in der Bundesliga noch lange nicht so ausgeprägt, wie der Fall Christian Mathenia zeigt: Anfang Februar spielte der Torwart des 1. FC Nürnberg in der Partie gegen Werder Bremen bis zum Schlusspfiff durch, obwohl er in der 60. Minute nach einem Zusammenstoß bewusstlos war.

Zweitens ist die Frage noch ungeklärt, inwiefern Kopfbälle Langzeitschäden auslösen können. Der Mediziner Werner Krutsch, der für den Bayerischen Fußball-Verband eine Studie erstellt hat, sagt, es läge noch zu wenig Studienmaterial vor. Stand jetzt sei es nicht gerechtfertigt, einen "elementaren Bestandteil des Fußballs" einfach wegzulassen oder einzuschränken. Umgekehrt könne man aber auch nicht beweisen, dass Kopfbälle unbedenklich sind. Und zeigt sich deshalb beruhigt darüber, dass beispielsweise das klassische Pendeltraining mit Dutzenden Kopfbällen am Stück kaum noch angeboten wird.

Jugendtrainer treffen ihre Entscheidung weitgehend ohne medizinische Vorgaben. Klaus Tobis zum Beispiel sagt, ihm verbiete schon sein Bauchgefühl und sein gesunder Menschenverstand, Kindern Kopfballtraining anzubieten. "Ich bin der Meinung, dass Kopfballtraining im F- und E-Juniorenbereich nicht angebracht ist. Sollte im Spielbetrieb situationsbedingt zufällig Kopfballspiel stattfinden, ist das normal", sagt der Jugendleiter des SV Neuperlach, der früher für das Nachwuchs-Leistungszentrum der SpVgg Unterhaching verantwortlich war. Außerdem werden leichtere Bälle eingesetzt, die nur rund 290 Gramm wiegen (ein Ball für Erwachsene wiegt mindestens 410 Gramm). Eltern, sagt Tobis, sei das aber immer noch oft ziemlich egal.

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SZ vom 01.04.2019/vewo/kast
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