Süddeutsche Zeitung

Benediktbeuern:Ein Skibergsteiger auf der Suche nach Schnee

Toni Lautenbacher ist einer von nur fünf professionellen Skibergsteigern in Deutschland. In die Europameisterschaft startet er am Wochenende dennoch als Außenseiter.

Von Sebastian Winter, Bad Tölz

Mitten im Winter herrscht Frühling in Bad Tölz, zwölf Grad hat es an diesem Februardienstag, die Terrassen der Cafés an der Isarbrücke sind voller Menschen. Sie tragen Sonnenbrillen, trinken Latte macchiato und schauen auf den mächtig angeschwollenen Fluss, der fast über die Ufer tritt. Schneeschmelze.

Toni Lautenbacher trinkt Espresso und Apfelschorle, er hatte gerade Physiotherapie und er wünscht sich keinen Frühling. Er wünscht sich diesen Schnee zurück auf den Hängen, jetzt, da er wieder bereit ist nach seinem im November erlittenen Syndesmoseband-Riss.

Lautenbacher ist gelernter Konditor, seine Lieblingstorten: Prinzregenten und Schwarzwälder Kirsch, die Klassiker. Aber der 24-Jährige, dessen Körperbau eher dem eines Marathonläufers gleicht, bereitet nur noch nebenbei süße Sünden zu, er nennt das eine Art Abwechslung zum durchaus zehrenden Alltag.

Lautenbacher ist einer von nur fünf Profis im Skibergsteigen

Lautenbacher ist seit ein paar Jahren Skibergsteiger, einer von nur fünf Profis in Deutschland, die zugleich die Nationalmannschaft bilden. An diesem Wochenende startet er bei der Europameisterschaft in Les Marécottes im Unterwallis - als Außenseiter, obwohl er eigentlich Medaillenträume hatte: "Es ist schon traurig, ich habe mich super gefühlt. Jetzt starte ich eben ohne große Hoffnungen, aber auch ohne Druck."

Skibergsteigen ist die schnelle und extrem fordernde Variante des immer beliebter werdenden Tourengehens, bei dem Naturverliebte Hügel und Berge auf eigenen Skiern und eben nicht am Schlepplift oder in der Gondel erklimmen und wieder hinunterfahren. Es gibt einen Weltcup mit mehreren Disziplinen, die gängigsten sind Individual, Vertical und Sprint. Individual ist die Königsdisziplin, der Athlet meistert mindestens drei Aufstiege und Abfahrten mit rund 2000 Höhenmetern - und das in eineinhalb bis zwei Stunden.

Bei Vertical-Rennen geht es nur bergauf, bis zu 1000 Höhenmeter. Am besten vermarktbar ist der Sprint, ein Rundkurs über rund 100 Höhenmeter, den die Skibergsteiger in drei Minuten absolvieren. Im K.-o.-System kommen die Schnellsten eine Runde weiter. Der Rosenheimer Seppi Rottmoser ist Sprint-Weltmeister, Toni Palzer (Ramsau) gilt ohnehin als einer der Besten der Welt. Lautenbachers bestes Sprint-Resultat ist bisher Platz drei bei einem Weltcup-Rennen, im Vertical ist er WM-Siebter.

Manchmal müssen sich die Sportler im Team anseilen

Skibergsteiger nutzen je nach Disziplin präparierte Skipisten, an deren Rand sie aufsteigen, oder die kaum präparierte Wildnis für ihre Rennen. An die Unterseiten ihrer Ski klemmen sie Felle, um bei sehr steilen Anstiegen nicht abzurutschen. Neben dem Fellwechsel vor der Abfahrt gibt es weitere technische Elemente, wie Trage- oder Klettersteigpassagen. Bei einigen hochalpinen Abfahrten müssen sich die Sportler im Team anseilen.

Die Athleten tragen spezielle Skistiefel und wie vom internationalen Verband vorgeschrieben immer einen Rucksack mit Lawinensonde, Schaufel, Piepser, Helm, Überjacke und -hose und einer Rettungsdecke. Alles aus extrem leichtem Material, der Rucksack wiegt nicht einmal ein Kilogramm. "Die Sicherheit des Athleten kommt immer zuerst. Aber du selbst musst auch Respekt haben vor dem Berg", sagt Lautenbacher, der noch zu Hause in Benediktbeuern wohnt, am Fuße der Benediktenwand.

Sein Sport birgt Gefahren, die Lawinenlage ist oft nicht einfach abzuschätzen, Felsen und Sträucher verstecken sich bei Abfahrten oft hinter dem Schnee. Wenn es überhaupt Schnee gibt. Manchmal müssen sie ihre Ski schultern, um in Höhen aufzusteigen, wo sie eine ausreichende Grundlage haben.

Die Wurzeln des Skibergsteigens reichen bis zu den Anfängen des alpinen Skisports zurück, als es weder Schlepplifte noch Gondeln gab. Militärteams traten damals gegeneinander an, der Patrouillenlauf war zwischen 1924 und 1948 mehrmals Demonstrationswettkampf bei Olympischen Spielen. Durchgesetzt hat sich Skibergsteigen aber bis heute nicht: Weil es extrem herausfordernd, wenig medientauglich und auch nicht ungefährlich ist.

Bei der WM 2006 in Cuneo ging während eines Wettkampfs eine Lawine nieder und verschüttete drei Athleten. Sie blieben unverletzt, aber die anwesenden Delegierten des Internationalen Olympischen Komitees waren geschockt - und sahen davon ab, Skibergsteigen bei den Spielen 2010 in Vancouver als Demonstrationswettbewerb zuzulassen. Im Hintergrund wird dennoch weiterhin daran gearbeitet, dass es aufgenommen wird, 2022 ist das nächste Ziel.

Olympia ist trotz allem auch ein großer Traum von Lautenbacher. Wie sein Bruder und seine Schwester war auch er früher passionierter Langläufer, bayerische Auswahl, über die Bundeswehr kam er dann zum Skibergsteigen, wurde nach dem Grundwehrdienst wieder Konditor, doch Tortenbacken und Leistungssport, das ließ sich für ihn nicht vereinbaren. Jedenfalls nicht so, dass man in die Weltspitze fahren kann.

Lautenbacher erklomm bereits den Mont Blanc und fuhr ins Tal hinunter

2012 wurde Lautenbacher Mitglied des Nationalteams, 2014 bekam er einen Anruf vom Gebirgsjägerbataillon 231 in Bad Reichenhall, sie brauchten einen starken Skibergsteiger. Dort ist er nun stationiert, kann aber die meiste Zeit daheim "trainieren wie ein Profi, das ist mein großes Glück". Im Sommer fährt er Rad, klettert, startet erfolgreich bei Laufwettbewerben in der Region.

Alles zur Vorbereitung auf den Winter, der in dieser Saison so bitter begann für den so fröhlich, optimistisch wirkenden Mann. Er ist Individualist, was eine Voraussetzung ist für diesen Sport, aber auch ein zäher Liebhaber der Wildnis. "Du bist in der einzigartigen Natur, kannst am freien Berg trainieren. Keine Menschenmassen, die Stille - ich genieße das und muss zu jedem Gipfelkreuz hinauf." Einer seiner Höhepunkte war vor fünf Jahren eine private Tour. Zusammen mit seinem Cousin erklomm er den Mont Blanc und fuhr von 4800 Metern Höhe auf seinen Skiern wieder ins Tal hinunter.

Bei der EM in Les Marécottes lässt Lautenbacher das Individual-Rennen aus, zu groß wäre die Belastung für seinen Knöchel. Er möchte ja einen weiteren Höhepunkt im April nicht verpassen. "La Grand Course", vier Teamrennen, bei denen bis zu 10 000 Höhenmeter und Dreitausender überwunden werden. "Das ist knallhart", sagt der Konditor außer Dienst. Lautenbacher trinkt seinen Espresso aus, läuft an den Torten in der Auslage vorbei, schaut sie kurz an. Dann fährt er los Richtung Brauneck, auf der Suche nach Schnee.

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SZ vom 04.02.2016/mkro
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